Parteistreit:Straßburger Sentenzen

Mit seinem "Weckruf 2015" versucht AfD-Gründer Bernd Lucke die Partei vor der Spaltung zu bewahren. Und warnt vor einem deutschen Front National.

Von Josef Kelnberger, Straßburg

Bernd Lucke trug einen dunkelblauen Anzug und eine gestreifte Krawatte. Er formulierte so akkurat, wie sein Haar gescheitelt ist, ganz der Professor. Kein Versprecher, kein Hänger unterlief ihm, als er die Malaise der Alternative für Deutschland (AfD) aus seiner Sicht schilderte. Aus einer an Sachfragen orientierten, in der Mitte der Gesellschaft angesiedelten Partei mit bürgerlichen Umgangsformen werde mehr und mehr eine Wut- und Protestpartei, die diffamiere und polarisiere. Deshalb wolle er mit seiner Initiative namens "Weckruf 2015" die einfachen Parteimitglieder hinter sich bringen und die AfD zu ihren Wurzeln zurückführen. Und falls ihm das nicht gelingt? Man darf Lucke an dieser Stelle nicht wörtlich zitieren. Aber er vermittelt den Eindruck, dass er es nicht für das schlimmste Schicksal hielte, sollte er demnächst wieder ganz in seinen Beruf als Wirtschaftsprofessor zurückkehren. So schmutzig, dieses politische Geschäft.

Er kann sich eine Rückkehr in den Beruf vorstellen - zu schmutzig ist das politische Geschäft

Steht die AfD vor der Spaltung? Geht sie unter? Gründet Lucke eine neue Partei? Der Vorsitzende hatte die Medien am Dienstag in eine Villa im Straßburger Osten geladen, Sitz der parlamentarischen Gesellschaft, Rückzugsort für die Europaparlamentarier. Es war eine in Teilen merkwürdige Veranstaltung. Geladen war zu einem "Hintergrund", und so ein Hintergrund ist im politischen Betrieb für gewöhnlich streng vertraulich. Lucke jedoch gab die Inhalte frei, lediglich ohne Verwendung wörtlicher Zitate und ohne Zuschreibung zu einer bestimmten Person. Zudem gab es hinterher eine offizielle Pressekonferenz. Und so kam es, dass sich die Äußerungen im Hintergrund und die Äußerungen im offiziellen Teil häufig unterschieden, ja an manchen Stellen sogar widersprachen. Das war nicht sehr professionell, zumindest nicht sehr konziliant.

Mit seinem "Weckruf 2015" wolle er die Partei vor der Spaltung bewahren, sagte Lucke. Denn mehr und mehr Mitglieder könnten sich mit dem tendenziell antiamerikanischen und antikapitalistischen, europa- und islamfeindlichen Kurs mancher neuer Führungskräfte nicht mehr anfreunden. Nach Luckes Auftritt vom Mittwoch ist allerdings schwer vorstellbar, wie sich diese Spaltung noch vermeiden ließe. Verbrannte Erde, so weit das Auge reicht.

Bernd Lucke hatte um sich geschart die Mitstreiter Hans-Olaf Henkel, Bernd Kölmel und Joachim Starbatty. Sie gehören wie er selbst dem Europaparlament an und unterstützen die Weckruf-Initiative. Zu besichtigen war eine Parade verwundeter Seelen, allen voran Hans-Olaf Henkel. Der ehemalige Chef des Deutschen Industrieverbandes verkörpert seit Gründungstagen der Partei mit Lucke die wirtschaftspolitische Kompetenz der AfD. Mittlerweile, so sagt er, fühle er sich von sogenannten Parteifreunden härter attackiert als von AfD-Gegnern. Und das würde etwas heißen, immerhin brauche er im Wahlkampf manchmal Polizeischutz. Dass ihm nun mehrere Parteikollegen empfehlen, die Partei zu verlassen, kommentiert Henkel mit dem Satz: "Das kümmert mich so viel, wie wenn in China ein Sack Reis umfällt." Und der ist ausdrücklich zum Zitieren.

Lucke kündigte im offiziellen Teil des Medientermins an, er wolle auf seine Stellvertreterin Frauke Petry zugehen. Er lade sie herzlich ein, den "Weckruf 2015" zu unterstützen. Im halboffiziellen Teil klang das anders. Lucke und seine Unterstützer sehen das Vertrauen massiv gestört, zumal Petry am Montag versucht habe, Lucke den Zugang zum E-Mail-Verteiler der Partei zu sperren. Lucke schaffte es dennoch, seine "Weckruf-Rundmail" an die Mitglieder abzusetzen. Wenn die Sächsin Frauke Petry nun immer wieder fordert, alle Positionen von rechts bis wirtschaftsliberal in die Partei zu integrieren, hält Lucke dagegen: Die Positionen seien unvereinbar. Es gelte, eine Grundsatzentscheidung über politische Inhalte und politischen Stil herbeizuführen. Als Schreckgespenst entwirft der Kreis um Lucke eine Art "deutscher Front National", zu der die AfD mutieren könnte, ausgestattet mit einem offenbar beträchtlichen Parteivermögen.

Wie viele Unterstützer sie brauchen, um beim Bundesparteitag im Juni die Partei auf ihren Kurs zu zwingen, darauf wollten sich die Weckrufer am Mittwoch nicht festlegen. Bernd Kölmel berichtete, binnen zwölf Stunden hätten sich tausend der 20 000 Mitglieder solidarisiert. Kölmel hat als Chef des AfD-Landesverbandes Baden-Württemberg die gleichen Richtungskämpfe auszutragen wie Lucke auf Bundesebene. Ob er bei der Landtagswahl 2016 als Spitzenkandidat antreten kann, sollte seine Partei den Weckruf nicht erhören? Darauf wollte Kölmel nicht eingehen.

Was Bernd Lucke betrifft, so dementierte er offiziell, er denke auch nur im entferntesten daran, eine neue Partei zu gründen. Im halboffiziellen Teil klang das ein klein wenig anders.

Lucke, party leader of the eurosceptic German party Alternative for Germany (AfD) (R), addresses journalists during a press briefing in Strasbourg

Liegt die Zukunft der Partei noch in seiner Hand? AfD-Chef Bernd Lucke (rechts) will retten, was zu retten ist.

(Foto: Vincent Kessler/Reuters)
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