Parteien:Zweite Sieger gibt es nicht

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Das Mehrheitswahlrecht bestraft Ukip trotz vieler Stimmen und belohnt die schottische SNP.

Von Alexander Menden, London

"Manche hier denken womöglich, ich hätte einen schlechten Tag", sagte Nigel Farage am Freitagmorgen. "Aber vor fünf Jahren überlebte ich einen Flugzeugabsturz. Im Vergleich dazu fühlt sich das hier ziemlich gut an!" Farage, Vorsitzender der UK Independence Party (Ukip), hatte gerade erfahren, dass sein Versuch gescheitert war, als Abgeordneter des südostenglischen Wahlkreises Thanet South ins britische Unterhaus einzuziehen.

Aber er wirkte nicht betrübt. Nicht einmal der Umstand, dass er gegen einen früheren Ukip-Politiker verlor, der zu den Tories gewechselt war, schien ihm besonders viel auszumachen. Er habe das Gefühl, als sei "eine gewaltige Last" von seinen Schultern genommen worden, sagte Farage. Tatsächlich hatte sich die Kampagne seiner Partei fast ausschließlich auf seine Person konzentriert. Kurz nach der Ergebnisverkündung machte Farage, der mit Gesundheitsproblemen kämpft, seine Ankündigung wahr, im Falle einer Niederlage vom Parteivorsitz zurückzutreten.

Die rechtspopulistische Ukip wird in Zukunft nur einen einzigen Abgeordneten in Westminster stellen. Douglas Carswell konnte sein Mandat in Clacton verteidigen. Dabei ist Ukip auf dem Papier einer der beiden großen Gewinner dieser Unterhauswahl. Der andere heißt Scottish National Party (SNP). Doch das britische Mehrheitswahlrecht ließ die Früchte dieses Erfolges für beide Parteien höchst unterschiedlich ausfallen. "Wie kann es fair sein", fragte Ukip-Vizevorsitzende Suzanne Evans, "dass wir mit 3,5 Millionen Stimmen nur einen Abgeordneten in Westminster bekommen, während die SNP anderthalb Millionen Stimmen, aber 56 Mandate hat?"

"Gewaltige Last von den Schultern": Ukip-Chef Nigel Farage tritt nach dem Debakel ab. (Foto: Gareth Fuller/AP)

Tatsächlich war Ukip in absoluten Zahlen die drittstärkste Kraft hinter den Konservativen und Labour. Doch das bleibt im britischen "first past the post"-System, in dem alle Verliererstimmen eines Wahlkreises verfallen, ein Ergebnis für die Statistiker. Denn Ukip legte zwar in vielen Wahlkreisen kräftig zu, kam aber fast immer nur auf Platz zwei. Die substanzielle Minderheit jener englischen Wähler, die aus unscharfer, aber oft umso heftigerer Angst vor Masseneinwanderung und Fremdbestimmung aus Brüssel Ukip gewählt hatten, sehen sich im Unterhaus nur mit einer einsamen Stimme vertreten - einer weniger als vor der Wahl. Als besonders folgenreich wird sich vermutlich Nigel Farages Niederlage auswirken. Der schillernde Vorsitzende war ein Medienliebling, weil er gern mit einem Glas Bier im Pub Hof hielt. Ohne diese Galionsfigur wird es schwer für Ukip, öffentlich präsent zu bleiben.

Botschaften für Westminster und ein Stachel im Fleisch des Premiers

Um Präsenz muss sich die Scottish National Party dagegen keine Sorgen machen. Bei der Volksabstimmung vergangenen Herbst verpassten die Nationalisten zwar ihr ehrgeizigstes politisches Ziel, die staatliche Unabhängigkeit Schottlands. Aber nun haben sie Labour aus deren traditioneller Hochburg nördlich des Hadrians-Walls vertrieben und können in Westminster Alleinvertretungsanspruch für ihr Land erheben. Nur noch drei der 59 schottischen Mandate sind nicht in SNP-Hand. Es ist der sensationellste politische Erdrutsch in Großbritannien seit dem Zweiten Weltkrieg.

Am besten symbolisierte dies wohl der Sieg der 20-jährigen SNP-Kandidatin Mhairi Black über Douglas Alexander, Labours außenpolitischen Sprecher, im Wahlkreis Paisley and Renfrewshire South. Die Studentin ist die jüngste Abgeordnete in der Geschichte des Unterhauses. Weder Ed Miliband noch der schottische Labour-Chef Jim Murphy, der sein Mandat ebenfalls verlor, konnten die Wähler davon überzeugen, dass ihre Partei die beste Fürsprecherin schottischer Interessen sein würde. Die "Erste Ministerin" Schottlands, SNP-Chefin Nicola Sturgeon, hingegen kandidierte zwar nicht einmal selbst für Westminster, führte aber einen brillanten Wahlkampf. Sie gilt als integer, klug und verlässlich. Sie hatte in den Fernsehdebatten mit den anderen Parteivorsitzenden vor der Wahl so gut abgeschnitten, dass zahlreiche englische Wähler sich ernsthaft erkundigten, ob sie für die SNP stimmen könnten.

Sturgeons Amtsvorgänger Alex Salmond, der vergangenes Jahr als schottischer Regierungschef und SNP-Vorsitzender zurückgetreten war, wird nun Chef einer überaus starken schottischen Oppositionsfraktion in London werden. Er verkündete mit gewohntem Pathos: "Der schottische Löwe hat gebrüllt!" Auch Nicola Sturgeon ließ keinen Zweifel an ihrer Zufriedenheit angesichts des Ergebnisses. Sie räumte jedoch ein, dass das Gesamtergebnis nicht ihren Wünschen entspreche: "Wir wollten David Cameron aus dem Amt jagen, aber Labour hat nicht genug getan, um die Konservativen in England zu schlagen." Dennoch sei die Botschaft klar: "Schottland will ein Ende der Sparpolitik. Es geht hier nicht um Unabhängigkeit, sondern darum, dass Schottlands Stimme gehört wird. Diese Botschaft werden wir ins Herz Westminsters tragen."

Tatsächlich geht es der SNP jetzt nicht vordringlich darum, möglichst bald ein neues Referendum auszurufen. Erst wenn sie sich einer komfortablen 60-Prozent-Mehrheit sicher wäre, würde Nicola Sturgeon ein weiteres Mal Anlauf auf die Unabhängigkeit nehmen. Bis dahin wird die SNP-Fraktion mit lautstarken Forderungen nach größeren legislativen Freiheiten und verstärkten Subventionen für Schottland ein Stachel im Fleisch des alten und neuen Premiers David Cameron sein.

© SZ vom 09.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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