Parteien:Le Pen auf deutsch

Die Rechtspopulisten der AfD und vom französischen Front National sind sich nicht eben unähnlich. Was Deutschland aus den Erfahrungen - und auch aus den Fehlern - im Nachbarland Frankreich möglicherweise lernen könnte.

Von Philippe Gustin

In Deutschland befürchten es seit dem Erstarken der rechtspopulistischen AfD viele, in Frankreich ist es bereits bittere Realität geworden. Der Siegeszug des rechtspopulistischen Front National (FN) begann in den Achtzigerjahren, als deren Vertreter 1986 erstmals in ein Parlament einzogen. 2002 dann schaffte es der Parteivorsitzende, die Stichwahl zum französischen Präsidenten zu erreichen - ein spektakulärer Erfolg. Zuletzt bei den Europawahlen im Mai 2014 ging die Partei sogar als stärkste Kraft in Frankreich hervor, ebenso wie beim ersten Durchgang der Regionalwahlen 2015.

Oft sind die Medien für diesen Aufstieg des FN mitverantwortlich gemacht worden. Während der Regionalwahlen im Dezember 2015 verzeichneten Marine Le Pen und ihre Nichte Marion Maréchal Le Pen, beide Spitzenkandidatinnen der Partei, die stärkste Medienpräsenz unter allen Kandidaten. Warum? Bereits in den Achtzigerjahren war die Berichterstattung über den FN umstritten - zu einer Zeit, als der FN nicht viel mehr als eine kleine Splitterpartei war. Im Laufe der Jahre balancierten die Journalisten im Umgang mit FN-Themen auf dem schmalen Grat zwischen Gleichgültigkeit und demonstrativer Ablehnung. Aber stets verschaffen sie dem FN überproportional Aufmerksamkeit. Ausdrücklich bedankt hat sich der FN natürlich nie. Er hätte aber Grund dazu.

Als Marine Le Pen 2011 den Vorsitz des FN übernahm, startete sie eine Strategie der "Entteufelung", indem sie einen gesellschaftsfähigeren Ton anschlug und sich von Positionen ihres Vaters beispielsweise in Bezug auf Antisemitismus und Abtreibung distanzierte. Das Manöver kam den FN teuer zu stehen, da die Partei in den Augen der Franzosen ins politische Horn der anderen blies. Um den Wahlkampf des FN zu torpedieren und sich gegenüber den Krisen, denen Frankreich bei Fragen von Demokratie, Identität, Sozialem und Wirtschaft gegenübersieht, zu behaupten, begannen andererseits Sozialisten und Konservative, ihren Ton in punkto Einwanderung und Integration zu verschärfen - sich also dem FN anzugleichen. Es hat den FN nicht gestoppt, sondern ihm eher noch genützt.

Heute beschäftigen sich alle Politikjournalisten mit dem FN, weil sich seine Muster an jene der anderen politischen Parteien annähern - sei es in den verschiedenen Strömungen oder den internen Rivalitäten. Die eigentliche Frage lautet also nicht, ob Marine Le Pen zum Interview eingeladen werden soll oder nicht, sondern vielmehr, welche Haltung die Journalisten gegenüber ihren Äußerungen einnehmen.

Keine Frage, es bleiben große Unterschiede zwischen Frankreich und Deutschland: Der Aufstieg des Front National in Frankreich beruht auf der Ablehnung der traditionellen Parteien, die unfähig sind, auf die Angst ihrer Wähler zu antworten, die mit Massen-Arbeitslosigkeit konfrontiert sind. Der Aufstieg der AfD hängt mehr mit der Ablehnung der Immigrationspolitik zusammen. Zu den zahlreichen Ähnlichkeiten zwischen dem FN und der AfD aber zählt sicher eine Wählerschaft, die sich durch das "Fremde", die Globalisierung und die Flüchtlingswelle bedroht fühlt. Die politische Strategie der AfD folgt diesbezüglich jener des "entteufelten" Front National. Beide Parteien besitzen zudem die Fähigkeit, Thesen aufzustellen, die auf Zustimmung bei denen stoßen, die den sozialen Abstieg fürchten und andererseits die etablierten Parteien dazu nötigen, ständig auf ihre Vorschläge einzugehen.

Es ist kontraproduktiv, wenn traditionelle Parteien den Populisten nacheifern

Es ist wichtig zu erkennen, dass der Vergleich schnell an die Grenzen der tatsächlichen Funktionsweise der Institutionen unserer beiden Länder stößt. Der FN ist in einzelnen Regionen stark vertreten, auf nationaler Ebene aber wegen des Mehrheitswahlrechts stark unterrepräsentiert. Sollte die AfD dieselben Prozentzahlen wie der FN erreichen, könnte sie hingegen mit tosendem Applaus 2017 in den Bundestag einziehen. Dann würden zum ersten Mal nach Ende des Zweiten Weltkrieges rechtsextreme Abgeordnete dem Bundestag angehören. Wird es der deutschen Demokratie gelingen, dieser Herausforderung zu begegnen?

Um zu verhindern, dass die AfD ähnlich erstarkt wie zuvor der FN in Frankreich, muss man meines Erachtens zwei französische Fehler meiden: erstens die Banalisierung dieser Partei, zweitens die fortschreitende Ausrichtung der traditionellen Parteien auf deren Leitsätze.

Philippe Gustin war Botschafter Frankreichs in Rumänien und ist derzeit Präfekt im nordfranzösischen l'Eure.

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