Parteien:ÖVP und SPÖ - gefressen von Vereinfachern und Haudraufs

Presidential candidates Kohl and Hundstorfer react during a TV debate in Vienna

Die Kandidaten von ÖVP und SPÖ, Andreas Khol (li.) und Rudolf Hundstorfer, waren chancenlos bei der ersten Runde der österreichischen Präsidentschaftswahl.

(Foto: REUTERS)

Österreich könnte eine Musterdemokratie sein, der es gut geht. Stattdessen treiben die Rechtspopulisten die etablierten Parteien vor sich her.

Kommentar von Stefan Kornelius

Österreich könnte eine Musterdemokratie im Herzen Europas sein. Die ökonomischen Kerndaten des Landes machen den Wählern zwar Sorge, die Probleme sind aber vergleichsweise erträglich und ließen sich mit beherzter Reformbereitschaft lösen. Wer von einem anderen Kontinent auf das Land schaut muss den Eindruck gewinnen: Österreich ist satt und rund und zufrieden. Das Ergebnis der Präsidentenwahl aber zeugt von einer Republik im mentalen Ausnahmezustand. Die Traditionsparteien werden zermalmt. Ein Mann will Bundespräsident werden, der mit einem Putsch von oben droht ("sie werden sich noch wundern, was alles gehen wird"). Der andere Kandidat kündigt an, den nächsten Kanzler nicht zu vereidigen, wenn der von der falschen Partei komme. Das riecht nach Verfassungskrise. Wagt sich da also der Esel aufs Eis, nur weil es ihm zu wohl ist? Für die Eskalation gibt es einen vordergründigen und einen tiefer liegenden Grund. Vordergründig haben sich die etablierten Parteien der so genannten Mitte erschöpft in ihrem jahrzehntelangen Macht-Ringelrein. Allerdings erlaubt das Land auch einen klaren Blick auf jenes Selbstzerstörungsvirus, das satte und pluralistische Demokratien des Westens offenkundig gerade infiziert. Österreich ist deshalb ein gutes Beispiel, weil in kaum einem Land der Widerspruch zwischen den tatsächlichen Problemen und dem selbst erzeugten Drama so eklatant ist. Außerdem wurden nirgendwo in Westeuropa - vielleicht mit Ausnahme Frankreichs - die Abwehrkörper gegen das Virus so nachhaltig geschwächt.

Es geht also nicht nur um Wohlstand und Wählerstimmen. Die sind längst nicht mehr schicksalhaft miteinander verbunden. In den postideologischen Gesellschaften Westeuropas lassen sich Wähler auch nicht mehr in den politischen Lagern aus alten Tage verwalten. Lechts und rinks kann man leicht velwechsern, lehrte schon der Wiener Ernst Jandl.

Heute nutzen die Stimmungspiraten die Gunst des Augenblicks. Stimmungen sind per se nicht schlecht, sie zwingen zum Zuhören und schärfen die Argumente - auch bei etablierten Parteien. Schlecht ist es allerdings, wenn Parteien von diesen Stimmungen getrieben werden wie zerfetzte Tüten vom Wind. In Österreich bläst dieser Wind schon lange.

Die Altparteien der Zweiten Republik haben ihre Fehler nicht erst in den Wochen vor der Bundespräsidentenwahl gemacht. Seit einem halben Jahrhundert liefern sie sich dem Stimmungswind der FPÖ aus und lassen sich treiben. Dazu kommen noch ein paar landestypische Spezialitäten wie die ausgeprägte Klientelwirtschaft und ein Höchstmaß an Intransparenz. Das frisst Glaubwürdigkeit.

Ursünde liegt tief in der Parteiengeschichte begraben

Faktisch liegt die Ursünde tief in der österreichischen Parteiengeschichte begraben. Die Freiheitlichen, Mitte der Fünfzigerjahre im Kielwasser vieler Altnazis gegründet, wurde nie nur als hinnehmbares Übel toleriert, sondern als "Zünglein an der Waage" gefürchtet und deswegen immer auch heimlich nachgeahmt - ein fataler Unterschied. Es ist eben nicht das Gleiche, ob man eine Strömung isoliert und bändigt, oder ob man akzeptiert, dass diese Stimmungspiraten selbst Schleusenwärter spielen und beim erstbesten Starkregen jeden Wildbach in ihr Gewässer lenken dürfen.

Die Ursünde heißt also inhaltliche Prinzipienlosigkeit. Klassische Volksparteien stehen überall in Europa in der Gefahr, dass sie bei ihren Balzversuchen um die politische Mitte konturenlos und damit verwechselbar werden. Am Ende führt das zu einem Paartanz der Verzweifelten. Es ist die Tragik dieser sogenannten großen Koalitionen, dass sie vor allem große Lücken am linken und am rechten Rand reißen. In Österreich werden diese Bündnisse schon lange nur noch aus Not geschlossen - sie reduzieren sich auf Verhinderungs- und Abwehrkoalitionen.

Zum sensationellen Absturz der österreichischen Christ- und Sozialdemokratie haben noch einige neue Phänomene beigetragen, die das Parteiengefüge überall in Europa durchrütteln werden. Die satten und politisch desinteressierten Gesellschaften werden anfällig für populäre Botschaften; die komplizierte Welt steht im krassen Widerspruch zur Sehnsucht nach einfachen Erklärungen; gegen den Druck der Welt und der Globalisierung hilft vermeintlich eine starke Mauer - und wenn die nur in den Köpfen gebaut wird.

Österreichs Altparteien haben es sich zu lange zu leicht gemacht und die wichtigste Botschaft vergessen: dass Demokratie kein Zuckerschlecken ist und hart erkämpft sein will. Jetzt werden sie gefressen von den Vereinfachern und Haudraufs. Es bleiben vier Wochen, um sich der Konsequenzen bewusst zu werden.

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