Parteichefs bei Steinmeier:Der Präsident und die drei Versehrten

Gewaltenteilung Illuminiertes Schloss Bellevue anlässlich des Festivals FESTIVAL OF LIGHTS snapsho

Der illuminierte Amtssitz des Bundespräsidenten im Oktober anlässlich des Festival of Lights: Das niemand alleine bestimmen darf, lässt sich auch als Motto für eine große Koalition verwenden.

(Foto: imago/snapshot)
  • Bundespräsident Steinmeier empfängt heute Abend die Parteichefs von CDU, CSU und SPD, um über eine Regierungsbildung zu sprechen.
  • Leicht wird die Suche nach einem Kompromiss nicht: Angela Merkel, Horst Seehofer und Martin Schulz sind nach der Wahl angeschlagen und kämpfen um ihr politisches Überleben.

Von Stefan Braun, Berlin

Das kann ja heiter werden. Der Bundespräsident lädt ein und die Gäste stecken in schweren Nöten. Wenn am Donnerstagabend Angela Merkel, Horst Seehofer und Martin Schulz ins Schloss Bellevue kommen, wird Frank-Walter Steinmeier nicht nur ein paar freundliche Worte zur Begrüßung wählen. Er wird ihnen ins Gewissen reden und von allen dreien mutige Schritte einfordern. Anders wird es kaum eine Chance auf eine neue große Koalition geben. Ob sie die nötige Courage dafür haben werden, ist nicht ausgemacht. Der nämlich steht die Tatsache entgegen, dass die Geladenen - die CDU-Vorsitzende Merkel, der CSU-Chef Seehofer und SPD-Vormann Schulz - im Wortsinn um ihr politisches Überleben kämpfen.

In solchen Momenten sind die meisten Menschen nicht eben offen für neue Ideen, sondern mühen sich oft krampfhaft, das Alte nicht zu verlieren. Das macht eher klein statt groß und könnte einer gemeinsamen Regierung gefährlich im Wege stehen. Steinmeier wird also seine liebe Mühe haben, aus den dreien so etwas wie einen Neuanfang herauszuholen. Das Staatsoberhaupt ist nicht zu beneiden. Im besten Fall gelingt es ihnen, sich neu zu erfinden.

Die Kanzlerin ...

... mag sich innerlich und politisch dagegen wehren, aber nach dem Scheitern der Jamaika-Verhandlungen ist bei ihr ein altes Problem neu in den Fokus geraten: Was will Angela Merkel eigentlich? Diese Frage stellt sich heute noch mehr als während des Wahlkampfs, weil die missglückten Jamaika-Gespräche auch an dieser Frage zerschellt sind. Bis zum Schluss war weder nach außen noch nach innen erkennbar, welche Idee die Kanzlerin mit einem Bündnis von Union, FDP und Grünen verbinden wollte. Was sollte die Überschrift sein? Was das Grundkonzept beim Geben und Nehmen unter den Partnern? Es war für Grüne wie Liberale nie wirklich erkennbar. Aber gerade so etwas Kompliziertes, noch nie Dagewesenes hätte es nötig gemacht, dass die Kanzlerin offen und klar darüber gesprochen hätte. Damit verrät man nicht seine Verhandlungstaktik, sondern gibt einem Bündnis Rahmen und Aufgabe.

Ob die Kanzlerin das nicht konnte oder nicht wollte, ist schwer zu sagen. Aber es legt offen, was auch jetzt nötig sein wird. Ein bisschen Taktiererei hier, ein bisschen Kompromiss da - das wird beim Versuch einer Neuauflage der schwarz-roten Koalition nicht mehr ausreichen. Wenn es ihr gelingen soll, wie SPD-Chef Martin Schulz an der Basis stabil Unterstützung zu erhalten, dann muss es was Neues geben. Eine echte Idee für mehr Gerechtigkeit, eine spürbare Initiative, auf Ängste derjenigen einzugehen, die sich abgehängt fühlen. In Landstrichen, in denen die öffentliche Versorgung wegbricht; in Großunternehmen, in denen die Digitalisierung vieles auf den Kopf stellen wird.

Mag sein, dass Merkel immer noch glaubt, niemand in der CDU werde sie herausfordern. Aber die vergangenen Wochen haben bei allen Christdemokraten bleibende Spuren hinterlassen. Das gilt für sogenannte Merkelianer genauso wie für deren Kritiker. Auch wenn noch keiner ruft: hier bin ich - es dürfte in der CDU niemanden mehr geben, der sich scheut, die bislang tabuisierte Frage zu stellen: Wer kommt als Nächstes? Dass es hinter vorgehaltener Hand Spekulationen über mögliche überraschende Rückkehrer wie Roland Koch oder Friedrich Merz gibt, mag den alten Träumen mancher Konservativer entspringen. Aber Gelächter löst das nicht mehr aus. Und das erzählt viel über die Lage bei den Christdemokraten. Merkel weiß, dass es jetzt eng werden kann. Sie steht vor der Frage: Wann kämpfe ich mit offenem Visier und meinen Überzeugungen für den Rückhalt in den eigenen Reihen?

Horst Seehofer ...

... ist über diese Schwelle schon hinweg. Enger als bei ihm kann die Lage gar nicht mehr werden. Er freilich ist drauf und dran, aus der Phase des Frusts und der Enttäuschung auszubrechen. Ein Ende ohne Kampf - das wird es mit ihm nicht geben. Die jüngsten Winkelzüge mit der Kandidatur von Joachim Herrmann dürften nicht nur den Noch-Bundesinnenminister freuen, weil der plötzlich wieder eine Chance hat, doch noch im Amt zu verlängern. Alle Freunde von Markus Söder merken, dass die Hoffnungen, ihren Helden dieses Mal sanft und ohne größere Konflikte zum bayerischen Ministerpräsidenten zu küren, getrogen haben. Seehofer kämpft nicht nur für sich und einen Verbleib als Parteichef. Er unternimmt noch einmal alles, um Söders Aufstieg aufzuhalten.

Mit offenem Visier kämpfen - das jedenfalls hat Seehofer nicht aufgegeben. Im Gegenteil. Wenn man den Blick aber nach Berlin richtet, dann ist das noch lange keine Garantie, die Neuauflage der Koalition hinzubekommen. Das wird nur gelingen, wenn Seehofer in der Hauptstadt mit konstruktiven Ideen aufkreuzt, nicht nur mit Attacken, Kritik, Ablehnung und Manövern wie dem jüngsten des Landwirtschaftsministers. Seehofer als konstruktiver Ideengeber für ein Bündnis - das bleibt ein langer Weg, auch wenn es nicht unmöglich wäre. Seine viel bestaunte und zuletzt absurd vergiftende Flexibilität könnte ja auch mal dazu führen, im Kampf gegen das Auseinanderdriften der Gesellschaft ganz flexibel neue Wege anzustoßen.

Und Martin Schulz ...

... wirkt leider immer noch so, als sei er in den vergangenen Monaten in einen großen Güllehaufen gepurzelt. Keine gute Laune, keine positive Leidenschaft - all das, was sich viele Menschen einst von ihm erhofft haben, fehlt dem Sozialdemokraten derzeit. So gesehen muss er in der Tat einen riesigen Sprung schaffen - raus aus dem Jammertal, rein in eine neue Ideenwerkstatt für ein sozial gerechteres Deutschland. Das ist alles andere als einfach, aber es ist nicht unmöglich. Und es ist unverzichtbar, wenn dieser Martin Schulz seiner eigenen Basis erklären möchte, warum es eben doch besser ist zu regieren.

Bislang verharrt er im Niemandsland des Ich-weiß-nicht-was-ich-möchte. Dass deshalb andere um ihn herum schon versuchen, ein Gerüst, einen Rahmen, ja Haltegriffe zu errichten, könnte ihm zeigen, dass der Versuch nicht in einer Katastrophe enden müsste. Dazu freilich gehört ganz zu Beginn eine selbstkritische Erkenntnis: Das Wahlergebnis entsprang nicht einem Naturgesetz, demzufolge die SPD verliert, wenn sie in einer großen Koalition regiert. Es ist, wie schon 2009, auch ein Signal, dass der eigene Wahlkampf nicht gut war. Im Übrigen hat die Sache dieses Mal einen ganz großen Vorteil: Die Frau, vor der sie bei Wahlkämpfen so viel Angst haben, wird in drei oder vier Jahren nicht mehr antreten. Angela Merkel weiß selbst: Das ist ihr Finale.

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