Parteiausschlussverfahren:Berliner SPD-Größen duschen Sarrazin

Berlins Stadtoberhaupt Wowereit und der Neuköllner Bürgermeister Buschkowsky wenden sich gegen Noch-SPD-Parteifreund Sarrazin. Ein Vorwurf: "Nackter Rassismus".

Es wird eng für Thilo Sarrazin, den früheren Berliner Finanzsenator und jetzigen Bundesbanker mit rhetorischem Alleinvertretungsanspruch. Sein Ausschluss aus der SPD wird immer wahrscheinlicher.

Der Berliner Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit zum Beispiel, einst Sarrazins Chef, äußert sich nur noch ironisch über den Schlagzeilen-Helden: "Jemand, der so ein Gehalt hat, ist auch ein wunderbarer Ratgeber, dass er anderen, die wenig Geld haben, sagt, was sie einkaufen müssen, dass sie kalt duschen müssen und wie hoch die Zimmertemperatur ist", sagte Wowereit in der ARD-Talksendung Beckmann.

Bundesbank-Vorstand Sarrazin hatte in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung Hartz-Empfängern empfohlen, lieber kalt zu duschen: "Warmduscher sind noch nie weit gekommen."

Auch für den Bezirksbürgermeister von Berlin-Neukölln, Heinz Buschkowsky (SPD), ist ein SPD-Ausschluss Sarrazins jetzt denkbar. Mit seinen jüngsten Äußerungen in der Süddeutschen Zeitung sei er zu weit gegangen, so Buschkowsky.

"Dieses Interview am Tag der Anhörung der Landesschiedskommission über seinen möglichen Parteiausschluss, das war eine gezielte Provokation", erklärt Buschkowsky, der sich wie Sarrazin teils sehr kritisch zur Integrations- und Sozialpolitik geäußert hat.

"Mit den Äußerungen in der SZ hat Sarrazin eine Grenze überschritten, das ist teils nackter Rassismus, das trage ich nicht mit", so der SPD-Politiker. Buschkowsky bezog sich dabei vor allem auf die Passagen, ob es sinnvoll sei, noch mehr Geld in die Bildung der Kinder von Hartz-IV-Empfängern zu stecken.

Nach Ansicht von Sarrazin ist Intelligenz "weitgehend erblich". Deshalb sei es auch eine Illusion zu glauben, man könne Menschen oder sogar soziale Schichtungen durch die Schule ändern.

"Wer mit 15 Jahren Schulversager sei, komme mit allergrößter Wahrscheinlichkeit auch in seinem weiteren Leben nicht mehr in die Spur", zitiert ihn die SZ.

"Sehr nah an der Rassentheorie"

Sarrazin hatte auch erklärt: "Jemanden, der als Teenager immer noch nicht richtig lesen kann, den lasse ich nicht zurück. Da sage ich: 'Das ist nun mal so'." Solche Einschätzungen sind für Buschkowsky "sehr nah an der Rassentheorie".

Zudem seien sie inhaltlich falsch. "Wenn Intelligenz tatsächlich vererbt würde, dann wären wir alle noch Kinder der Proletarier des 19. Jahrhunderts", erklärt SPD-Mann Buschkowsky. Die seien alle arm und ungebildet gewesen. Sarrazin leugne damit die Herausbildung einer Mittelschicht, die sich durch Bildung hochgearbeitet und so Schichten aufgebrochen habe.

Bisher sei er ein "glühender Gegner eines Parteiausschlusses" gewesen, weil eine so breit aufgestellte Partei wie die SPD auch Querköpfe wie Sarrazin aushalten müsse, sagt Buschkowsky: "Nun bin ich kein bedingungsloser Gegner mehr!"

"Erst noch ein Bier, dann ins Bett": Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie sich Sarrazin nach der Sitzung der Landesschiedskommission äußerte und was die SPD-Funktionäre über das Treffen berichteten.

"Fäkalsprache passt nicht zu Sarrazins Amt"

Über einen möglichen Ausschluss Sarrazins ist noch nicht entschieden. Die Landesschiedskommission der Berliner SPD beendete in der Nacht zum Dienstag eine fast siebenstündige Anhörung ohne eine Entscheidung.

Der Versuch einer gütlichen Einigung beider Seiten scheiterte, berichten Teilnehmer. Der Kreisverband Spandau und die Ortsabteilung Alt-Pankow hatten den Parteiausschluss des früheren Berliner Finanzsenators beantragt, weil sie ihm parteischädigendes Verhalten vorwerfen. Sie stuften provokante Interview-Äußerungen von Sarrazin über Ausländer auf der Grundlage eines wissenschaftlichen Gutachtens als klar rassistisch ein. Das sei unvereinbar mit SPD-Positionen.

Die Antragsteller und Sarrazin machten während der Sitzung Kompromissvorschläge, die jedoch gegenseitig verworfen wurden. Auch ein Einigungsvorschlag der dreiköpfigen Kommission wurde nicht angenommen. Die Kommission hat jetzt drei Wochen Zeit, eine Entscheidung zu fällen.

Sarrazin ist seit 37 Jahren SPD-Mitglied. Gut möglich, dass es für ihn dennoch eine kalte Dusche geben wird.

Sarrazin lehnte vor und nach der Anhörung einen Kommentar ab. "Es gilt das Vertraulichkeitsgebot, bis die Schiedskommission ihre Entscheidung bekanntgegeben hat", sagte der Bundesbanker. Er trinke jetzt noch ein Bier, lege sich ins Bett und fahre am Dienstagmorgen um 6:15 Uhr mit dem Frühsprinter der Bahn an seinen Arbeitsplatz in der Bundesbank in Frankfurt am Main.

Der Antrag auf Parteiausschluss bezieht sich auf ein Interview Sarrazins in einer Literaturzeitschrift. Darin hatte der 65-Jährige mehrfach betont, eine große Zahl an Arabern und Türken in Berlin habe keine produktive Funktion, außer für den Obst- und Gemüsehandel. Er müsse niemanden anerkennen, der vom Staat lebt und diesen Staat ablehnt und ständig "neue kleine Kopftuchmädchen produziert. Das gilt für 70 Prozent der türkischen und für 90 Prozent der arabischen Bevölkerung in Berlin."

"Das macht man nicht"

Der SPD-Abgeordnete Torsten Schneider aus Alt-Pankow bedauerte die missglückte gütliche Einigung. "Das hätte ich mir im Interesse der Partei sehr gewünscht." Eine Einigung hätte erzielt werden können, indem beide Seiten Abstriche an ihren Positionen gemacht hätten oder man betont hätte, dass Teile des kritisierten Interviews missverständlich gewesen seien, sagte Schneider.

Vor der Anhörung hatte Sarrazin nach Ansicht von SPD-Mitgliedern seine Partei durch ein Interview am Tag der Anhörung noch einmal gezielt provoziert. In der Süddeutschen Zeitung kritisierte er das Gutachten eines Politologen des Potsdamer Moses-Mendelssohn-Zentrums als intellektuell und moralisch "unsauber, schleimig und widerlich".

Jeder, der das 21-seitige Gutachten des "Afterwissenschaftlers" anfasse, "laufe Gefahr, sich zu beschmutzen". Dazu sagte der SPD-Kreisvorsitzende von Spandau, Raed Saleh, der zu den Antragstellern gehört: "So eine Fäkalsprache passt nicht zu Sarrazins Amt, das macht man nicht."

Der SPD-Kreisvorsitzende von Charlottenburg-Wilmersdorf, Christian Gaebler, geht davon aus, dass die Entscheidung des Kreisschiedsgerichts seines Bezirks vom Dezember von der Landesebene bestätigt wird. "Das war eine sehr ausgewogene Entscheidung", sagte Gaebler vor der Anhörung. Diese hatte gegen einen Parteiausschluss von Sarrazin votiert.

Die Kreisschiedskommission sah in den Äußerungen weder ein parteischädigendes noch ein ehrloses Handeln von Sarrazin. Er habe nicht vorsätzlich die Statuten der SPD verletzt.

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