Partei ohne Ideen:Warum die Piraten keine Zukunft haben

Die Grünen packten einst eine Jahrhundertaufgabe an - die Gründung der Piratenpartei dagegen ist ein Missverständnis. Wo es nicht um die Freiheit im Internet geht, gleicht das zusammengestoppelte Programm der Netzpartei eher einem Wunschzettel als ernstzunehmender Politik. Das reicht nicht zum Überleben.

Erhard Eppler

Das ist die Botschaft der Talkshows: Parteien hätten eben auch eine Pubertät, einst die Grünen, jetzt die Piraten; später würden daraus seriöse Parteien. Doch so sicher ich mir vor dreißig Jahren war, dass aus den Grünen eine starke Partei wird, so groß sind nun meine Zweifel, dass in zehn Jahren noch jemand über die Piraten spricht.

Beim Bundesparteitag der Piratenpartei liegen Aufkleber mit ihrem Logo und der Aufschrift "Jetzt mit mehr Inhalt" aus - eine selbstironische Antwort auf die schwierige Suche nach eigenen Positionen.

"Jetzt mit mehr Inhalt": Aufkleber der Piratenpartei liegen beim Bundesparteitag in Neumünster aus. Für ein politisches Überleben vertritt die Partei nach Ansicht von SPD-Politiker Erhard Eppler jedoch zu wenig Inhalt.

(Foto: dapd)

Die Grünen waren, ehe sie zu einem Motor der Ökologiebewegung wurden, ein Produkt dieser Bewegung. Diese spiegelte einen erstaunlichen Bewusstseinswandel wider und war getragen von unzähligen Bürgerinitiativen. Politisch wirksam wurde sie zuerst in der SPD. Man lese nur die Wahlprogramme der Südwest-SPD von 1976 und 1980. In Fellbach bei Stuttgart hat diese SPD 1979 den Atomausstieg beschlossen.

Was man heute Nachhaltigkeit nennt, war, wie ich damals meinte, zu groß für eine kleine Partei, angemessen aber für die SPD. Erst als klar wurde, dass aus Rücksicht auf die Regierung Schmidt/Genscher die Mehrheit der SPD noch nicht so weit war, traten Tausende Sozialdemokraten den Grünen bei und zeigten den Ökologen, wie man Wahlkämpfe organisiert.

Jedenfalls wurde die Partei aufgebaut von meist jüngeren Frauen und Männern, die zwar aus sehr verschiedenen Richtungen kamen, aber verbunden waren durch ein - damals neues - ökologisches Bewusstsein und ein gemeinsames Ziel: die natürlichen Lebensgrundlagen unserer Gesellschaft zu erhalten. Daran hatte in den sechziger Jahren so gut wie niemand gedacht.

Der grüne Umgangston war rauer

Die Art, wie die frühen Grünen miteinander umgingen, war eher schlimmer als das, was sich heute die Piraten antun. Die frühen Grünen waren meist keine tastenden Anfänger, viele brachten ihre spezielle Wahrheit mit und schlugen sie den anderen um die Ohren. Da gab es sehr verschiedene Fundis, die manchmal einer so verrückten Sekte wie dem Kommunistischen Bund Westdeutschland (KBW) entstammten. Die wertkonservativen Realos wurden durch den feindseligen Spott der etablierten Konservativen darüber belehrt, dass sie nun zur demokratischen Linken gehörten.

Die meisten haben dies bis heute nicht vergessen. Noch in den frühen Achtzigern waren Politiker, Journalisten und Wissenschaftler sich keineswegs einig darüber, ob die neue Partei sich halten könne, ob sie nur, und das war in der Sozialdemokratie zu hören, "eine Marotte gelangweilter Mittelstandsdamen" sei. Was kam, ist bekannt.

Transparenz klingt immer gut

Warum schätze ich die Piraten ganz anders ein? Weil der Anlass zu ihrer Gründung keine politische Jahrhundertaufgabe war. Am Anfang standen ein paar simple Fragen des Rechts, auch des Verfassungsrechts, die gar nicht von der Politik, sondern von der Justiz zu entscheiden sind.

Was die im Artikel 2 des Grundgesetzes garantierte "freie Entfaltung der Persönlichkeit" und die Eigentumsgarantie aus Artikel 14 für das Internet bedeuten, erklärt uns früher oder später das Verfassungsgericht. Wir werden dann auch nebenbei erfahren, ob der Freiheitsbegriff der Piraten dem der Verfassung entspricht. Kurz: Die politische Partei der Piraten kann, was ihre Kernforderungen angeht, gar nichts liefern. Insofern verdanken wir die Gründung dieser Partei einem Missverständnis.

Wo es nicht um die Freiheit im Internet geht, also doch um Politik, gleicht das zusammengestoppelte Programm der Piraten eher einem Wunschzettel an den Nikolaus. Ein seriöses Programm versucht, aus Grundwerten einigermaßen stringent Forderungen abzuleiten. Davon fehlt bei den Piraten jede Spur.

Wer hat wirklich zu Ende gedacht, was ein "bedingungsloses Grundeinkommen" bedeutet, wer es zu bezahlen hätte, was aus den Rechtsansprüchen aus unseren Sozialsystemen würde - und wie dann unsere Gesellschaft aussähe? Seit es Menschen gibt, ist der Lebensunterhalt mit Arbeit verbunden. Lässt sich dies plötzlich auslöschen, weil eine neue amorphe Partei ein Programm braucht?

Andere Methoden, kein Inhalt

Es gehe weniger um politische Inhalte als um die Methode, die Form der Politik, um Basisdemokratie und Transparenz. Das hören wir allenthalben. Ich habe seinerzeit in einem Zelt in Mutlangen erlebt, was Basisdemokratie bedeutet: eine höchst sympathische Weise höchst sympathischer Leute, sich unendlich viel Zeit zu lassen, bis alle sich einigen können - oder auch nicht. Dass die Politik diese Zeit nur ganz selten hat, haben die Grünen bald begriffen. Muss man dieses Experiment wiederholen?

Sicher, man kann sich über die Volten der Politik wundern, zum Beispiel über Angela Merkels hastige Wende zum Atomausstieg. Man kann auch sehr wohl mehr direkte Demokratie fordern, um zu verhindern, dass wir immer mehr Konflikte zwischen "denen da unten" und "denen da oben" bekommen, zwischen einer politischen Klasse, die offenbar eine unpolitische Klasse manipulieren will. Aber braucht es dazu eine neue Partei?

Transparenz: Das klingt immer gut und ist es manchmal auch. Aber wer sechzig Jahre Politik hinter sich hat, darf auch auf die Grenzen dieses Prinzips verweisen. Wo auch immer ein eigentlich intern beratendes Gremium öffentlich diskutierte, hatte dies, neben der Freude der wenigen Interessierten, zwei Folgen: Es wurden erstens die Kompromisse schwieriger, weil bei Fensterrednern mehr Eitelkeiten ins Spiel kommen. Und zweitens wanderten die Entscheidungen in kleinere Kreise oder gar Kungelrunden ab. Die Vorstellung, ein Kabinett werde demokratischer, wenn die Medien zugegen sind, ist kindisch. Die Folge wäre, dass vor jeder Sitzung im kleinsten Kreis alles Wichtige entschieden würde. Die Minister hätten nicht mehr zu diskutieren, sondern nur abzunicken.

Politik will, wie jedes Handwerk, gelernt sein. Aber ein Landtag oder gar der Bundestag sind keine Grundschulen für politische Anfänger, sondern Gremien, die Gesetze machen, die für alle gelten. Zu dem, was es in der Politik zu lernen gilt, gehört, dass zwar jede politische Aktivität Wirkungen hervorbringt, aber nur selten die erwünschten. Angela Merkel dürfte aus mehr als einem Grund lächeln, wenn die Rede auf die Piraten kommt.

Mancher Pirat wirkt auf mich wie ein Medizinstudent im zweiten Semester, der sich als Chefarzt bewirbt - mit der Begründung, er werde endlich alle wichtigen Entscheidungen demokratisch treffen, zusammen mit Oberärztinnen, Assistenzärzten und Krankenschwestern. Fragt sich nur, wer von uns sich diesem Chefarzt anvertrauen möchte.

Der SPD-Politiker Erhard Eppler, 85, war 1968 bis 1974 Entwicklungshilfeminister und galt vor allem in den 80er Jahren als Exponent des linken Flügels in der SPD.

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