Partei in der Krise:Ein Ruck muss durch die SPD gehen

Landesparteitag SPD Niedersachsen

Zusammenhalt? Oder alle zusammen jetzt mal halt? Der Bundesvorsitzende der SPD, Sigmar Gabriel, spricht auf dem Landesparteitag der niedersächsischen SPD in Braunschweig.

(Foto: dpa)

Die SPD sinkt tiefer, als es ihre ärgsten Gegner für möglich gehalten hätten. Die Partei braucht mehr als einen personellen Neustart. Den aber auch.

Kommentar von Thorsten Denkler, Berlin

Es ist ja nicht irgendein Umfrageergebnis, das die Sozialdemokraten seit einigen Tagen durchrüttelt. Nicht mal irgendein schlechtes. Es ist schlicht das schlechteste Ergebnis, das die Meinungsforscher von Infratest dimap im Auftrag der ARD je für die SPD gemessen haben: 21 Prozent. Na gut, immerhin noch besser als jene 12,7 Prozent, die die SPD in Baden-Württemberg am Katastrophen-Wahlabend vom 13. März eingefahren hat. Und auch viel viel besser als die 10,6 vom gleichen Abend in Sachsen-Anhalt. Aber welcher Sozialdemokrat würde sich darauf etwas einbilden wollen?

Johanna Uekermann jedenfalls nichts. Die Juso-Chefin ist ein ständiger Stachel im Fleisch des Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel. Einerseits, weil ihr die Rolle als Vorsitzende des SPD-Nachwuchses ohnehin zusteht. Andererseits, weil sich Uekermann und Gabriel kaum etwas zu sagen haben.

"Mit 21 Prozent", sagt Uekermann jetzt der Welt, "sind wir an einem Punkt angelangt, wo jedem verbliebenen Sozi das Herz in die Hose rutschen sollte." Die Parteiführung müsse jetzt in eine "schonungslose Analyse" gehen. Viele Menschen wünschten sich mehr soziale Gerechtigkeit, immer weniger trauten dies jedoch der SPD zu. "Mir fällt es schwer, einfach zusehen zu sollen, dass unser Zustand von Umfrage zu Umfrage ernster wird."

Antworten fehlen

Klingt alles recht kämpferisch. Antworten aber hat auch Uekermann nicht. Sondern vor allem Fragen: "Was hindert uns daran, Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen? Wie lautet das übergeordnete Ziel der SPD? Welche Maßnahmen wollen wir konkret umsetzen, um dieses Versprechen einzulösen?"

Wenn sie das alles wüsste, Uekermann könnte sich erfolgversprechend auf die Nachfolge von Gabriel bewerben.

Gabriel ablösen?

Noch hat niemand diese Personal-Frage klar und deutlich gestellt. Nur eine Frage der Zeit, sagen manch altgediente Sozialdemokraten. Auf dem Bundesparteitag im Dezember hat sich Gabriel so gerade noch mit 74,3 Prozent der Stimmen als Parteichef wiederwählen lassen. Seitdem wird die Kritik an ihm immer lauter.

Auf dem Landesparteitag der SPD Niedersachsen am vergangenen Wochenende zum Beispiel. Gabriel hält hier in seiner Heimat eine grundsolide, sozialdemokratische Rede. "Wir müssen unseren Anspruch erneuern, Schutzmacht der kleinen Leute zu sein - das muss unsere Antwort auf das Erstarken des Rechtspopulismus sein", sagte Gabriel da. Klingt gut, Gabriel klang aber auch schon mal anders. Wer weiß schon, wie ernst er es diesmal meint.

Seine Rede wurde - sagen wir es vorsichtig - überschaubar beklatscht. In der Aussprache wird Gabriel mehrfach attackiert. Auch wegen seiner ganz persönlichen Glaubwürdigkeitsprobleme. Gabriel setzt sich zur Wehr. Er fühlt sich genötigt zu erklären, der Austausch von Personal werde kein strukturelles Problem der Partei lösen.

Mag sein, aber viele Genossen sind anscheinend inzwischen der Ansicht, dass der Nichtaustausch von Personal die strukturellen Probleme der Partei auch nicht löst.

"Neuanfang!", rufen einige

"Neuanfang!", rufen da einige. Etwa der SPD-Netzpolitiker Yannick Haan kürzlich auf Zeit Online. Der sieht die SPD in einer "Innovationsstarre" verharren.

Da ist was dran. Seit Jahren schraubt die Partei unter ihrem Vorsitzenden und Vizekanzler Gabriel an mal kleinen, mal an etwas größeren Rädchen. Hier ein bisschen Mindestlohn, dort etwas Rente ab 63, mal das Rädchen Elterngeld etwas weitergedreht, mal etwas für Alleinerziehende gemacht.

Alles schön Klein-Klein. Aber nichts, was die Wähler überzeugen würde. Schon gar nicht die vielen verloren gegangenen Wähler, seit Schröder 2005 noch einen Überraschungserfolg von 34,2 Prozent erzielen konnte.

Die SPD hat geliefert, was sie zur Bundestagswahl 2013 ihrer Kernklientel versprochen hat. Nur die Umverteilung von oben nach unten war nicht dabei. Die versprochene Vermögensteuer ist gegen die Union nicht durchzukriegen.

Es wäre aber übertrieben zu behaupten, Gabriel würde das Thema Umverteilung weiter auf offenem Feuer behandeln. Er hat es stattdessen ganz unten in die Tiefkühltruhe gelegt. In der Hoffnung, dass es dort vergessen wird.

In der Partei weiß niemand so recht, wie es jetzt weitergehen soll. Mit Umfragen um 25 Prozent leben die Genossen seit Jahren, ohne dass sich daran groß etwas geändert hätte. Die Bundestagswahlen 2009 und 2013 sind ähnlich mies gelaufen.

Dennoch gab es so etwas wie ein Stillschweigeabkommen der Parteiflügel. Solange es nicht noch schlimmer wird, sollten Kämpfe unterbleiben. Hin und wieder traute sich mal der ein oder andere aus der Deckung. Aber es galt: Streit macht alles nur noch schlimmer. Jetzt erst mal erfolgreich regieren. So schlimm wird es dann schon nicht werden.

Wird es aber möglicherweise doch. Die 21 Prozent zeigen, dass nach unten gerade mehr Platz ist für die SPD, als sie Luft nach oben hat. Schon eine SPD bundesweit unter 23 Prozent hat sich bis vor wenigen Tagen kaum jemand vorstellen können.

Streit dürfte jetzt kaum noch zu vermeiden sein. Wenn es gut läuft, wird sich die Partei über die Personalie Gabriel hinaus ein paar wichtige Fragen stellen und womöglich beantworten:

  • Wie kann sie die soziale Marktwirtschaft deutscher Prägung erhalten und ausbauen?
  • Wie stellt sich die Sozialdemokratie zum Projekt Europa, will sie die Vereinigten Staaten von Europa?
  • Wie will sie auf den zunehmenden Rechtspopulismus reagieren?
  • Wie kann sie ein neues Aufstiegsversprechen für die sozial benachteiligten Schichten formulieren?
  • Wie kann sie die Abstiegsängste der Mittelschicht mindern?

Die SPD braucht darüber hinaus aber noch mehr. Sie braucht die Kraft zur Selbsterneuerung. Die SPD wirkt heute so modern wie eine Edison-Glühbirne, so neu wie eine Dampfmaschine, so dynamisch wie eine Schreibstube vor Erfindung der Schreibmaschine. Die CDU unter Merkel wirkt dagegen wie ein munter vor sich hin sprudelnder Jungbrunnen. Auch wenn da unter der Oberfläche mehr Schein als Sein ist.

An diesem Montag kommt in Berlin der Fraktionsvorstand zusammen. Es ist nicht davon auszugehen, dass es so gewaltig krachen wird, dass an die Partei ein Aufruf zur Meuterei geht. Aber den meisten dürfte langsam dämmern, dass die Zeit drängt.

Bis zur Bundestagswahl sind es kaum noch 17 Monate. Spätestens in zwölf Monaten müssen alle Weichen für den Wahlkampf gestellt sein. Das gilt vor allem für die Kanzlerkandidatur. Auch wenn die Begriffe SPD und Kanzlerschaft im Moment wie zwei sich abstoßende Pole erscheinen.

Wenn die SPD eine Chance haben will 2017, dann muss mehr kommen als das bisherige "Irgendwie-wird-es-schon-gehen". Wenn es normal wird in diesem Land, dass es wie in Sachen-Anhalt nicht mal mehr für eine Koalition aus SPD und Union reicht, wenn es normal wird, dass es für die SPD keine natürliche Machtoption mehr gibt, dann ist die SPD bald überflüssig. Wie sagte Alt-Bundespräsident Roman Herzog mal? Ein Ruck müsse durch Deutschland gehen. So ein Ruck täte der SPD jetzt auch ganz gut.

Lesen Sie mit SZ Plus die Seite-3-Reportage von Christoph Hickmann zum Gabriel-Auftritt auf dem SPD-Landesparteitag in Niedersachsen:

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