Parlamentswahl:Was die Wahl in Spanien so spannend macht

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Gemeinsame Fotos der Kandidaten gibt es nicht, da (von rechts) Regierungspräsident Mariano Rajoy (PP) neben seinen jungen Herausforderern Pablo Iglesias (Podemos), Pedro Sánchez (PSOE) und Albert Rivera (Ciudadanos) nicht zu betagt daher kommen will. Diese Fernsehbildschirme fangen die Kandidaten trotzdem zusammen ein. (Foto: REUTERS)

Mehr als zwölf Millionen Spanier wollen Parteien wählen, die noch nie im Parlament saßen. Die wichtigsten Antworten zu einer Wahl, die auch Deutschland angeht.

Von Benedikt Peters und Sebastian Schoepp

Wer steht zur Wahl?

Bis auf eine Ausnahme könnte man sagen: Lauter junge Leute. Da ist Pedro Sánchez, Chef der sozialdemokratischen PSOE, 43, und Pablo Iglesias, 37, Politikwissenschaftler und Kopf der linksalternativen Partei Podemos. Der dritte Herausforderer Albert Rivera, Anführer der liberalen Partei Ciudadanos, ist sogar noch ein Jahr jünger. Sie alle sind angetreten, um den konservativen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy, 60, in der Moncloa abzulösen, dem spanischen Regierungspalast.

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Die TV-Debatte zur Wahl in Spanien wird als Spektakel inszeniert. Die Teilnehmer werden empfangen wie Hollywoodstars - die Zeit der Graubärte scheint vorbei.

Analyse von Thomas Urban

Auf den offensichtlichen Altersunterschied hat der Regierungschef und Vorsitzende der Partido Popular (PP) längst reagiert. Bei einigen Wahlkampfauftritten und in einer TV-Debatte schickte Rajoy seine wesentlich jüngere Stellvertreterin ins Rennen: Soraya Sáenz de Santamaría, 44. Neben den vier großen stellen sich viele kleinere Parteien und Wahlbündnisse der Wahl, die bekannteste ist noch die linke "Izquierda Unida". Manche von ihnen treten nur in einigen Regionen an. Die konservative spanische Zeitung El Mundo listet sie auf.

Was ist das Besondere an der Abstimmung?

Mehr als drei Jahrzehnte lang haben zwei Parteien die spanische Politik geprägt. Die sozialdemokratische PSOE und die konservative Partido Popular wechselten sich mit der Führung des Landes ab, gestützt auf eine absolute Mehrheit oder als Minderheitsregierung. Dies ist nun mit großer Wahrscheinlichkeit vorbei. Wahlumfragen prophezeien den Newcomer-Parteien Podemos und Ciudadanos Ergebnisse von jeweils bis zu 20 Prozent. Mit etwa dem gleichen Ergebnis können die Sozialdemokraten rechnen. Die regierenden Konservativen kommen Prognosen zufolge auf 25 bis 30 Prozent.

Wahrscheinlich ist daher, dass von 2016 an eine Koalition das Land führt - zum ersten Mal überhaupt seit dem Ende der Franco-Diktatur. Viele Bündnisse sind möglich. Bisher haben die Anführer der wichtigen Parteien nur klar gesagt, was sie nicht wollen: Die beiden neuen, Ciudadanos und Podemos, haben etwa eine gemeinsame Regierung ausgeschlossen. Podemos und PSOE lehnen ein Zusammengehen mit Regierungschef Rajoy ab. Dies tun auch die Ciudadanos, beziehen sich dabei aber ausdrücklich auf Rajoys Person. Möglich ist aber eine Koalition zwischen Ciudadanos und PP unter einem anderen Ministerpräsidenten - oder einer Ministerpräsidentin. Womöglich ist es kein Zufall, dass Rajoys Stellvertreterin Sáenz de Santamaría viele Wahlplakate ziert.

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Früher posierte Albert Rivera nackt auf Plakaten. Nun ist er seriös geworden - und seine Partei Ciudadanos erlebt einen beispiellosen Aufstieg.

Von Thomas Urban

Was sind die wichtigen Themen?

Separatismus. Die mögliche Abspaltung Kataloniens treibt die spanische Politik um. PSOE, PP und Ciudadanos sind entschlossen, sie zu verhindern. "Spanien macht sich nicht kaputt, es ist nicht teilbar und nicht verhandelbar", heißt das etwa in den Worten von Ciudadanos-Chef Albert Rivera, der selbst aus Kataloniens Hauptstadt Barcelona stammt. Ein Referendum über die Unabhängigkeit Kataloniens lehnt Rivera ebenso ab wie PSOE und PP. Podemos ist die einzige der großen vier Parteien, die das anders sieht. In deren Wahlprogramm steht, die Partei werde ein Referendum "in Katalonien vorantreiben, damit seine Bürger entscheiden können, in welcher Beziehung sie zum Rest Spaniens stehen möchten".

Korruption. Der Aufstieg von Podemos und Ciudadanos hängt auch mit Korruptionsskandalen in den etablierten Parteien zusammen. 2013 etwa erschütterte ein Schmiergeld-Skandal die PP. Der langjährige Schatzmeister Luis Bárcenas wurde inhaftiert und belastete auch Ministerpräsident Rajoy. Auch in der PSOE gab es mehrere Korruptionsskandale - etwa um Frühpensionierungen und Vergünstigungen für Parteimitglieder in Andalusien.

Die neuen Parteien spießen diese Affären im Wahlkampf immer wieder auf. Ciudadanos-Chef Rivera fordert im Wahlkampf einen "nationalen Pakt gegen die Korruption". Pablo Iglesias warf Ministerpräsident Rajoy mehrmals vor, in die Bárcenas-Affäre verstrickt zu sein. Seine Partei aber ist auch nicht mehr ganz unbescholten. Der ehemalige Podemos-Sekretär Juan Carlos Monedero hatte Beratergehälter von etwa einer halben Million Euro erhalten - und nicht korrekt versteuert.

Wirtschaft. Vor kurzem noch galt Spanien als eines der Hauptkrisenländer Europas. Inzwischen wächst die Wirtschaft wieder, die Prognosen sind auch für das kommende Jahr positiv. Die konservative Regierung brüstet sich daher mit der erfolgreichen Umsetzung der von der EU vorgegebenen Sparmaßnahmen. Sozialdemokraten und Podemos wollen diese, wenn sie gewählt werden, mindestens teilweise zurückdrehen. Beide Parteien kündigten außerdem an, über Forderungen der Europäischen Union nach weiteren Einsparungen im Falle ihrer Wahl neu zu verhandeln. Kritik an der Wirtschaftspolitik der Regierung üben alle Herausforderer auch, weil die Arbeitslosigkeit nach wie vor hoch ist, insbesondere unter jungen Leuten. Im einzigen florierenden Wirtschaftszweig, dem Tourismus, sind die Löhne niedrig, in allen anderen Branchen dominieren bei Neueinstellungen Kurzzeitverträge und geradezu prekäre Arbeitsbedingungen.

Warum sollte die Wahl Deutschland und Europa besonders interessieren?

Nach den Auseinandersetzungen mit der griechischen Syriza-Regierung in der ersten Hälfte des Jahres 2015 zitterten Brüssel und Berlin förmlich vor einer spanischen Fortsetzung der Debatte. Insbesondere das Umfragen-Hoch von Podemos im Frühjahr machte Märkte, EU-Kommission und Berliner Kanzleramt nervös. Podemos ist wie Syriza stark beeinflusst vom lateinamerikanischen Linkspopulismus, forderte ein anderes Europa, das nicht auf Schuldenknechtschaft aufgebaut sein sollte, sondern auf gegenseitiger Solidarität.

Doch nachdem Regierungschef Alexis Tsipras auf Brüsseler Druck hin auf den Sparkurs einschwenkte, ist auch Podemos entzaubert. Kaum jemand in Spanien glaubt, dass es Pablo Iglesias anders ergehen würde. Doch ganz beruhigt kann das Spar-Direktorium nicht sein. Außer den Konservativen fordern alle großen Parteien eine zumindest behutsame Korrektur des Austeritätskurses und eine Rettung des spanischen Sozialstaats. Und die Linkskoalition in Portugal aus drei Parteien hat gezeigt, dass auf der Iberischen Halbinsel überraschende Lösungen eher die Regel als die Ausnahme sind.

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Warum spielen Flüchtlinge keine Rolle?

In Spanien kommen derzeit kaum Flüchtlinge an. Zwar nimmt das Land im Zuge von EU-weiten Umverteilungsmaßnahmen etwa 17 000 Menschen aus Syrien und anderen Ländern auf. Von selbst aber versuchen aktuell wenige Flüchtlinge, über Spanien in die EU zu gelangen. Die spanische Regierung hat ihre in Nordafrika gelegenen Exklaven Ceuta und Melilla bereits vor Jahren rigoros abgeschottet - mit massiver Polizeipräsenz, Stacheldraht und bis zu sechs Meter hohen Zäunen. Auch deswegen kommen so viele Flüchtlinge auf den griechischen und italienischen Inseln an.

Warum findet die Wahl so kurz vor Weihnachten statt?

Wichtige Tage bekommen in Spanien traditionell ein Kürzel aus einer Zahl und einem Buchstaben. Die Madrider Terroranschläge vom 11. März 2004 heißen im kollektiven Gedächtnis "11-M", die landesweiten Proteste der Indignados, der Empörten, die am 15. Mai 2011 begannen, nennt man "15-M". Die Parlamentswahlen in Spanien heißen nun 20-D, sie finden am 20. Dezember statt. Damit dehnt Ministerpräsident Mariano Rajoy seine Legislaturperiode auf das maximal mögliche: Er selbst wurde am 21. Dezember 2011 gewählt. Zur Begründung gab er an, das Parlament müsse vorher nun mal noch den Haushalt für 2016 verabschieden. Zudem habe er vermeiden wollen, dass sich das Parlament in der Weihnachtszeit konstituieren müsse. Nun bleibt dafür Zeit bis zum 14. Januar.

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