Parlamentswahl:Macrons Übermacht irritiert Frankreich

Die Machtfülle, die der neue Präsident durch die absolute Mehrheit in der Nationalversammlung erhält, finden die Franzosen nicht bedrohlich. Dass er sich jedoch mit Charles de Gaulle, dem Gründer der Fünften Republik vergleicht, macht viele misstrauisch.

Von Christian Wernicke

Seit fünf Wochen herrscht Emmanuel Macron über Frankreich. Es läuft, der junge Präsident ist populär - so sehr, dass die Franzosen ihrem Staatschef nach der Macht im Élyséepalast nun am Sonntag obendrein eine klare Mehrheit in der Nationalversammlung geschenkt haben. Ça roule, alles gut?

Nicht ganz. Mitte voriger Woche sah sich Macron gezwungen, seinen Regierungssprecher Christophe Castaner vor die Kameras zu schicken, um Gerüchte über eine drohende Staatskrise aus der Welt zu schaffen. Mit todernster Miene pries der Staatssekretär die Lebendigkeit von Frankreichs Demokratie - um dann zu berichten, wie überaus verwundert der Herr Präsident sei über "die Gefahr des Absolutismus, die einige heraufbeschwören". Es folgte das amtliche Dementi, per gedrechseltem Zitat vom Staatschef: "Das Risiko des Absolutismus ist nicht etwas, was uns bedroht."

Macron, der achte Präsident der Fünften Republik, will also nicht Emmanuel der Erste sein. Kein König, kein Alleinherrscher. Nur, diese Befürchtungen wallen auf, seit sich abzeichnete, dass Macrons Einheitspartei La République en Marche im künftigen Parlament eine geradezu absolute Mehrheit erringen würde. Das Mehrheitswahlrecht führt dazu, dass Macrons Bewegung mit nur etwa einem Drittel der abgegebenen Stimmen satte drei Fünftel der 577 Sitze erobert. Der konservative Figaro warnte schon vor Macrons "Allmacht", die linke Libération fühlte sich an Napoléon Bonaparte erinnert. Macron, so raunt es in den Pariser Salons, avanciere zum "mächtigsten Präsidenten der Republik seit Charles de Gaulle".

Den Vergleich mit dem legendären General hat Macron gezielt gesucht. Vorigen Herbst, als man dem Marschierer kaum Außenseiterchancen aufs Präsidentenamt zusprach, berief sich der junge Aspirant wiederholt auf den Gründervater der Republik - mit gleich zwei Leitmotiven.

Seit 1962 führen die Abgeordneten im Palais Bourbon ein Schattendasein

Zum einem berief Macron de Gaulle zum Kronzeugen für seine Kritik an der Übermacht der Parteien. Der General hatte die Parteien stets als lästige Gebilde betrachtet, die "instinktiv einen schwachen Staat anstreben" und die in seinen Augen sogar die Schuld trugen für das militärische Desaster Frankreichs 1940 gegenüber den deutschen Invasoren. Der Weltkriegsheld und "Retter der Nation" kehrte erst 1958 in die Politik zurück, zu seinen Bedingungen: Die Verfassung der neuen V. Republik schwächte die Parteien, schmälerte den Einfluss des Parlaments. Der Präsident war fortan ein "republikanischer Monarch". Und seit 1962, da de Gaulle die Direktwahl des Präsidenten durchsetzte, gilt sein Diktum, die Präsidentschaftswahl sei "die Begegnung zwischen einem Mann und einem Volk". Ein sakraler Akt, da dürfe keine Partei stören.

Zweitens zitierte Macron den General liebend gern, wann immer er das alte Rechts-links-Denken des Establishments geißelte. "Dass die Anhänger der Linken und die Anhänger der Rechten behaupten, ich stünde auf der anderen Seite, das beweist nur, dass ich auf keiner Seite bin", hatte der General 1965 gesagt und angefügt: "Ich bin für Frankreich." 52 Jahre später versichert Macron, er sei "wie de Gaulle": Er wolle nur das Beste - "das Beste der Linken, das Beste der Rechten und das Beste des Zentrums".

Macron mag sich auf de Gaulle berufen - ihn beerben kann er dennoch nicht. Zu unvergleichbar sind die Epochen, in denen beide agieren. De Gaulle, der Befreier, wurde zum Präsidenten berufen, als das nahende Ende des Kolonialismus und der heraufziehende Algerienkrieg die Nation zerrissen. Aber immerhin, auch Macron tritt sein Amt an in einer Phase, da Millionen Franzosen Zukunftsängste plagen und ihre Nation im Niedergang sehen. Der Historiker Laurent Warlouzet sieht deshalb durchaus Ähnlichkeiten zwischen 1958 und 2017: De Gaulle wie Macron seien "Vereiniger" ("Rassembleurs"), die in ihren Bewegungen verschiedenste Strömungen zusammenführen und eine "Neuordnung des politischen Systems" wollten.

Chirac, Sarkozy und Hollande hatten übermächtige Mehrheiten, brachten aber wenig zustande

De Gaulle lebte und regierte mit Autorität, mit Aura. Eine absolute Mehrheit im Parlament gewann er erst 1968, im Spätherbst seiner präsidentiellen Karriere. Rein formal wäre der Amtsanfänger Macron somit sogar mächtiger als de Gaulle. Nur lehrt die historische Erfahrung: Eine absolute Parlamentsmehrheit hilft dem Präsidenten - eine Erfolgsgarantie jedoch ist sie nicht. Jacques Chirac (2002) wie Nicolas Sarkozy (2007) und auch François Hollande (2012) eroberten alle eine numerische Übermacht im Palais Bourbon, dem Sitz der Nationalversammlung. Doch sie brachten nur wenig zustande. Anders gesagt: Die Abgeordneten spielen in Frankreichs semiparlamentarischem System nur eine Nebenrolle - sie können den Präsidenten nicht stürzen.

Nein, am ehesten ist der parlamentarische Absolutist Macron mit François Mitterrand vergleichbar. Nach den Wahlen 1981 konnte sich der Sozialist ebenfalls auf eine klare Mehrheit im Parlament stützen. Wichtiger für Mitterrands historischen Erfolg jedoch war, dass er - in der Gesellschaft mehr noch als im Parlament - die französische Linke um sich scharte. Mitterrand blieb stark, obwohl er vier seiner 14 Jahre währenden Amtszeit in "Cohabitation" leben musste, also mit einer Regierung aus dem gegnerischen Lager. Der Charismatiker inszenierte sich als "Président jupitérien": als einsamer, auf den politischen Alltag herabblickender Gott der Götter. Macron hat wissen lassen, der nächste Jupiter im Élysée sein zu wollen.

Die Entscheidung, ob Macron als starker oder schwacher Präsident in die Geschichte eingeht - sie wird weder im Élysée noch im Palais Bourbon fallen. Als Antwort auf die parlamentarische Übermacht der Marschierer wird sich die Opposition außerhalb der Institutionen formieren - auf der Straße.

Die erste Machtprobe lauert im Spätsommer, im Kampf um die Liberalisierung des Arbeitsrechts. Dann protestieren nicht nur die Gewerkschaften, dann werden auch die extreme Linke und die extreme Rechte gegen Macron mobilisieren, deren Anhänger am Sonntag millionenfach die Wahl verweigerten. Frankreichs Demokratie atmet - auch nach einem erdrückenden Sieg.

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