Parlamentswahl in Tschechien:Zwei Neulinge erobern Prag

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Der Weg ist frei für eine neue Koalition der rechten Mitte: Zwei neue Parteien krempeln die politische Ordnung in Tschechien um. Derweil gibt es bei den Verlierern reihenweise Rücktritte.

Klaus Brill, Prag

Erdrutschartige Verschiebungen haben bei der Parlamentswahl in Tschechien den Weg für eine neue Koalition der rechten Mitte freigemacht. Nach dem am Samstagabend vorliegenden Ergebnis der Stimmauszählung haben die Sozialdemokraten ebenso wie ihre schärfsten Gegner, die neoliberalen Bürgerdemokraten, schwere Verluste erlitten. Hingegen kamen zwei neue Parteien, die eher konservativ-liberal ausgerichtet sind, auf Anhieb mit beachtlichen Stimmenanteilen ins Abgeordnetenhaus, die erste Kammer des Parlaments. Als Star des Abends wurde von seinen Anhängern der frühere Außenminister Karl Fürst zu Schwarzenberg gefeiert.

Der große Gewinner der Parlamentswahl in Tschechien: der konservativ-liberale Politiker Karel Schwarzenberg. (Foto: dpa)

Der 72-jährige Adlige erlangte mit seiner erst vor einem Jahr gegründeten konservativen Gruppierung TOP 09 aus dem Stand heraus einen Stimmenanteil von 16,7 Prozent und 41 der insgesamt 200 Sitze im Abgeordnetenhaus. Damit hält er auf der Rangliste der Parteien zwar nur den dritten Platz, doch kommt ihm bei den jetzt anstehenden Verhandlungen zur Bildung einer Koalition eine Schlüsselrolle zu. Der Parteiname steht als Abkürzung für die tschechischen Begriffe Tradice, Odpovednost, Prosperita (Tradition, Verantwortung, Wohlstand).

Als stärkste Kraft ging mit einem Stimmenanteil von nur noch 22,1 Prozent (56 Sitze) erwartungsgemäß die Sozialdemokratische Partei (CSSD) aus der Wahl hervor. Dies ist allerdings gegenüber der Wahl von 2006, als sie noch 32,3 Prozent erhalten hatte, eine Einbuße von 10,2 Prozent. Die Niederlage wird vor allem dem Parteivorsitzenden und früheren Ministerpräsidenten Jiri Paroubek angelastet, der noch am Abend seinen Rücktritt erklärte und damit möglicherweise seinem Sturz zuvor kam.

Oberflächliche PR-Aktionen

Mit seinem Funktionärsgehabe und mancher oberflächlichen PR-Aktion hatte er vor allem junge Leute abgestoßen. Zudem hatten die Sozialdemokraten ebenso wie die neolibe-ralen Bürgerdemokraten in den vergangenen Jahren eine Reihe von Korruptionsskandalen am Hals, die generell bei der tschechischen Bevölkerung immer größeren politischen Verdruss erzeugen.

Für die demokratische Bürgerpartei (ODS), die in den 1990er Jahren und zuletzt von 2007 bis 2009 den Ministerpräsidenten stellte, ist die Niederlage noch eindeutiger und schmerzlicher. Vor vier Jahren war sie mit 35,4 Prozent noch die stärkste Kraft, diesmal kam sie nur noch auf 20,2 Prozent (53 Sitze) - ein Minus von 15,2 Prozent. Dennoch hat ihr neuer Anführer Petr Necas, der erst vor zwei Monaten nach dem Sturz des bisherigen Parteivorsitzenden und früheren Regierungschefs Mirek Topolanek zum Spitzenkandidaten gekürt wurde, jetzt die besten Chancen, Tschechiens nächster Ministerpräsident zu werden.

Aus dem Fernsehen in die Politik

Im Gegensatz zu dem Sozialdemokraten Paroubek kann Necas nämlich auf Partner hoffen, die politisch-programmatisch die gleichen Ziele verfolgen wie er. In erster Linie sind die Schwarzenberg und seine Parteifreunde von TOP 09, die ebenso wie die ODS eine nachhaltige Sanierung des maroden Staatshaushalts durch Kürzung sozialer Leistungen und eine effektive Bekämpfung der Korruption propagieren.

Denselben Forderungen hat sich auch der populäre frühere Fernsehmoderator Radek John verschrieben, der ebenfalls neu auf der politischen Bühne ist. Die von ihm geführte Gruppierung Veci vereijne (VV - Öffentliche Angelegenheiten) erhielt auf Anhieb 10,9 Prozent (24 Sitze) der Stimmen. John gilt als Populist, der sowohl nach rechts wie nach links Avancen machte. Im Parteienspektrum ist er deshalb nicht sicher einzuordnen, wenngleich er eine stärkere Neigung nach rechts zu haben scheint. Jedenfalls hatte er zuletzt ebenso wie Schwarzenberg klar erklärt, mit dem sozialdemokratischen Parteichef Paroubek nicht zusammenarbeiten zu wollen.

Keine endgültige Absage

Dies wurde in beiden Fällen aber nicht als endgültige Absage verstanden für den Fall, dass die CSSD Paroubek stürzen würde. Letztlich ist, wenn die Koaliti-onsverhandlungen der drei potentiellen Partner der rechten Mitte scheitern sollten, auch eine große Koalition der Sozialdemokraten und der Bürgerdemokraten nicht ausgeschlossen, aber wenig wahrscheinlich.

Der ODS-Führer Necas sagte vielmehr schon am Samstag, es ergebe sich jetzt die Chance für "eine Koalition der haushaltspolitischen Verantwortung", was offenkundig in Richtung Schwarzenberg und John zielte. Den vorliegenden Ergebnissen zufolge brächten die drei Parteien gemeinsam 47,8 Prozent der Stimmen zusammen. Von den 200 Sitzen im Abgeordnetenhaus würden sie 118 besetzen. Dies wäre eine komfortable Mehrheit. Doch fragen sich Beobachter schon jetzt, wie lange wohl bei der politischen Unberechenbarkeit des Neo-Politikers John und seiner Gefolgschaft eine solche Koalition Bestand haben würde.

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Es fehlen Partner

Für eine Regierung der Linken sah am Samstag auch der sozialdemokratische Parteichef Paroubek keine Chance mehr. Unterstützen würden ihn nur die Kommu-nisten, die mit einem Stimmenanteil von 11,3 Prozent (26 Sitze) gegenüber 2006, als sie 12,8 Prozent bekamen, leicht geschwächt wurden. Eine Koalition mit ihnen hatte Paroubek prinzipiell abgelehnt, eine Tolerierung aber nicht ausgeschlossen. Es fehlt jetzt aber ein weiterer Partner.

Als solcher wäre die kleine Christdemokratische Partei (KDU-CSL) in Frage gekommen. Sie hatte vor vier Jahren noch 7,2 Prozent erhalten, diesmal scheiterte sie mit 4,4 Prozent an der Fünf-Prozent-Hürde. Damit ist die Traditionspartei, die vor allem unter den Katholiken in Mähren ihre Anhänger hat, erstmals seit 1918 nicht mehr im nationalen Parlament vertreten. Gründe für das Scheitern sind offenkundig der Korruptionsskandal des früheren Vorsitzenden Jiri Cunek und die Spaltung der Partei im vorigen Jahr, die mit einem Linksruck verbunden war. Damals waren wichtige Parteiführer wie der frühere Finanzminister Miroslav Kalousek ausgetreten und hatten mit Schwarzenberg die neue Gruppe TOP 09 gegründet. Am Abend trat der Parteivorsitzende Cyril Svoboda zurück.

Geschlagene Grüne

In gleicher Weise wie die Christdemokraten mussten sich die Grünen geschlagen geben, die 2006 mit 6,3 Prozent einen historischen Durchbruch erlebt hatten und später sogar mit Ministern in die Regierung aufrückten. Diesmal fielen sie chancenlos auf 2,4 Prozent zurück. Auch ihre Parteiführung legte die Ämter nieder. Ebenso scheiterte mit 4,3 Prozent eine neue Partei, die der frühere sozialdemokratische Parteichef und Ministerpräsident Milos Zeman aus Wut über das Gehabe des CSSD-Chefs Paroubek gegründet hatte.

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