Parlamentswahl in Pakistan:Cricket-Idol fordert die Muslim-Liga heraus

Pakistan wird wählen, aller Gewalt religiöser Extremisten zum Trotz. Viele glauben an ein Duell sehr verschiedener Männer: Auf der einen Seite steht Nawaz Sharif von der Muslim-Liga. Sein Gegner ist "Captain" Imran Khan, Chef der "Bewegung für Gerechtigkeit" und früherer Cricket-Star. Der Neuling verkörpert die Träume der erwachenden Jugend.

Von Arne Perras, Islamabad

Ein Riss geht durch viele pakistanischen Familien, ein tiefer Riss. Die Studentin Sidra Zaheer weiß das ziemlich genau. Ihr Vater wird wieder so wählen, wie er es immer getan hat. Niemals käme er auf den Gedanken, sein Kreuz auf dem Wahlzettel bei einer anderen Partei zu setzen. Er hat, der Familientradition folgend, stets für die Muslim-Liga von Nawaz Sharif gestimmt, dem zweimaligen Premierminister. Einmal Sharif, immer Sharif.

Aber die Tochter sagt: "Ich wähle einen anderen, ich stimme für Imran Khan." Das ist der frühere Cricket-Kapitän und Superstar der Jugend, der nun die pakistanische Politik aufmischt. Und weil die Aufmüpfigkeit der Tochter noch nicht ausreicht, hat sie auch noch ihre Mutter überredet, die nun ebenfalls für Khan stimmen will. Und das in einem Land, wo Frauen bislang kaum eine Wahl in ihrem Leben hatten.

Ein Trend, der Pakistan nun auf ganz neue Wege führen wird? Man weiß es noch nicht genau. Viele glauben eher, dass die neuen Kräfte - im Wesentlichen sind das die jungen Pakistaner - den etablierten Cliquen immer noch unterlegen sind. Trotz aller demografischer Daten, die eigentlich für Khan sprechen. Acht Millionen Pakistaner werden an diesem Samstag zum ersten Mal ihre Stimme abgeben können. Von den 86 Millionen registrierten Wählern ist jeder fünfte unter 26, jeder zweite unter 34.

Pakistan general elections

Wahltag in Pakistan: Eine Frau blickt hinter eine Wahlkabine hervor.

(Foto: dpa)

Aussagekräftige Umfragen aber gibt es nicht, und so bleibt das Rennen unberechenbar. Das liegt auch an all der tödlichen Gewalt, die den Wahlkampf überschattet hat und die zumeist den pakistanischen Taliban zugeordnet wird. Der Terror schlägt jeden Tag irgendwo zu. Die Extremisten attackieren vor allem die säkular ausgerichteten Parteien. Michael Gahler, deutscher Europa-Parlamentarier und Chef der EU-Wahlbeobachter, spricht deshalb von einer "asymmetrischen Bedrohung". 110 Tote hat es bei Anschlägen gegeben. Und an der afghanischen Grenze, in Belutschistan und in Karatschi rechnen alle damit, dass es am Wahltag blutig zugehen wird.

Aber Pakistan hat durchgehalten und sich tapfer gegen das Diktat der Terroristen gestemmt. Auch wenn von einer fairen Abstimmung kaum die Rede sein kann, wenn ständig die Explosion einer Bombe droht. Das Ziel, die Wahlen zu verhindern, haben die Extremisten aber nicht erreicht. Gerade in der bevölkerungsreichen Provinz Punjab, wo mehr als die Hälfte der 180 Millionen Pakistaner lebt, ist der Wahlkampf recht glatt verlaufen - abgesehen von der Entführung eines prominenten Politiker-Sohnes, die am Donnerstag zu guter Letzt Unruhe erzeugte.

Pakistan wird also wählen, aller Gewalt zum Trotz. Und die meisten glauben, dass es nun auf ein Duell zweier sehr unterschiedlicher Männer hinauslaufen wird: Auf der einen Seite steht Nawaz Sharif, der politisch erfahrene Unternehmer und Führer der Muslim-Liga PML-N. Ihm gegenüber aber hat sich Imran Khan in Stellung gebracht, Chef der "Bewegung für Gerechtigkeit" PTI, der Neuling. Früher war er Playboy und Liebling des Jetsets, nun hat er sich zum frommen Muslim gewandelt und will an die Macht. Er ist der erfolgreichste Kapitän der pakistanischen Cricket-Nationalmannschaft aller Zeiten. Und das zählt in einem Land, in dem es wenig Wichtigeres gibt als Cricket - zumindest was den Sport angeht.

Aber ist denn politische Erfahrung nicht wichtig, um zu regieren? Bei dieser Frage erwacht in Pakistan der Sarkasmus. "Ja, sie haben sehr viel Erfahrung gesammelt, wie man dieses Land am gründlichsten aussaugt", sagt eine 20-jährige Studentin in Islamabad. Khan hingegen gilt den meisten als ehrlich und unverbraucht. Und er hat einfache Formeln für alles parat. "Einnahmen erhöhen, Ausgaben reduzieren" - so umschreibt er den Kern seiner "sozio-ökonomischen Revolution", wenn er sie in zwei Sätze fassen muss. Das hätte der Chef des Internationalen Währungsfonds kaum besser formulieren können.

Millionen versickern im Sumpf der korrupten Führungscliquen

Es stimmt ja auch: Diejenigen, die am meisten besitzen in Pakistan - die mega-reichen Großgrundbesitzer -, zahlen keine Steuern. Und im Sumpf der korrupten Führungscliquen versickern gleichzeitig jene Millionen aus der Staatskasse, die dringend gebraucht werden für Straßen, Schulen und Krankenhäuser. Wer sich umhört in Lahore, Karachi oder Islamabad, der vernimmt immer dasselbe Klagelied: miserable Schulen, keine Jobs, stundenlanger Stromausfall und Vetternwirtschaft überall. Wenn diese Pakistaner dann fertig sind, fällt ihnen nur einer ein, der sie aus diesem Elend erlösen kann: Imran Khan.

"Wer Khan wählt, wählt seine Träume", sagt eine Studentin. Sie ahnt vielleicht schon, dass es ihr Held mit Gegnern aufnehmen muss, die sich nicht so leicht besiegen lassen werden. Zum einen sind da die Extremisten. Aber zum anderen stemmen sich auch jene Kräfte gegen den Wandel, die ihre Macht auf ein feudales und dynastisches System stützen, das Pakistan seit Jahrhunderten prägt.

Während die Jugendlichen also mit ihren Khan-Fahnen durch die Städte jagen und ihren Helden wie einen Pop-Star feiern, sitzen andere Männer in ihren Wahlkreisen und trinken mit sehr vielen Menschen Tee. Mit einer wichtigen Familie nach der anderen müssen diese Kandidaten zusammensitzen und reden, ein bisschen werden sie erklären, warum sie nicht so viel tun konnten, wie sie wollten, und dann auch sagen, dass sie doch entschlossen sind, es beim nächsten Mal besser zu machen. Mit solchen Ritualen sichert sich der Kandidat seine Gefolgschaft - selbst dann, wenn gar nicht so viel abgefallen ist als Dank für ihre Loyalität. Unter allen Übeln wählen die Leute am liebsten jenes, das sie kennen. Ein Reflex, der auch in westlichen Demokratien nicht ganz fremd ist.

Sofern der pakistanische Patron zu den Großgrundbesitzern zählt, darf er damit rechnen, dass die von ihm abhängige Bauernschaft wählt, was er vorgibt. Ob jung oder alt, auf dem Land können sich die Menschen den verkrusteten Verhältnissen kaum entziehen. Immer hat in Pakistan auch das dynastische Element eine wichtige Rolle gespielt. In Punjab im Norden profitieren davon die Brüder Sharif, die neben den Grundbesitzern vor allem Unternehmer an sich ziehen. Im südlichen Pakistan hat die Volkspartei PPP das Sagen, auch wenn sie unter dem Druck des Terrors kaum Wahlkampf macht. Ex-Premier Benazir Bhutto wurde 2007 ermordet, ihr Sohn, der die PPP nun zu neuen Höhen führen sollte, wird bedroht und tritt nicht auf.

Die PPP hatte 2008 die Wahl zwar gewonnen und schaffte es erstmals, fünf Jahre lang eine zivile Regierung zu stellen. Das gab es noch nie. Gleichzeitig aber hat Bhutto-Witwer Ali Zardari den Ruf seiner Partei gründlich zerrüttet. In nahezu jedem Gespräch in Pakistan klingt an, dass das Land noch nie so schlecht regiert worden sei wie in eben dieser Zeit unter Zardaris PPP.

Die Älteren mögen deshalb schon resignieren, aber die Jüngeren fordern nun ihr Recht. Sie rufen nicht nach dem Militär, sondern nach Imran Khan, ihrem Leitstern, der sie aus der Düsternis der Korruption herausführen soll.

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