Parlament:Wer hier der Senior ist

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Präsident Lammert sagt: Der Dienstälteste soll ran.

Es geht um die erste Rede nach der Wahl im September: Wie Norbert Lammert verhindern will, dass die AfD im nächsten Bundestag den Alterspräsidenten stellt.

Von Robert Probst

Es ist eine Liste ehrbarer und angesehener Männer: Paul Löbe, Konrad Adenauer, Ludwig Erhard, Herbert Wehner, Willy Brandt, Otto Schily, Heinz Riesenhuber. Dazu kamen die heute weniger bekannten Politiker Robert Pferdmenges, William Borm und Fred Gebhardt. Zweimal hatte Marie-Elisabeth Lüders den Posten inne. Alle erledigten ihren Job, ohne großes Aufsehen zu erregen. Aufregung gab es nur bei Stefan Heym; Borm wurde nach seinem Tod als Stasi-Agent enttarnt. Ein Alterspräsident zieht normalerweise nur einmal in der Legislaturperiode die Aufmerksamkeit auf sich - wenn ein neu gewähltes Parlament zusammentritt. Nun hat Bundestagspräsident Norbert Lammert das Amt ein halbes Jahr vor der Wahl auf die Tagesordnung gehoben.

Künftig solle nicht mehr der lebensälteste, sondern der dienstälteste Abgeordnete Alterspräsident des Parlaments bei dessen konstituierender Sitzung sein - also der Abgeordnete, der dem Bundestag am längsten angehört; das hatte Lammert am Donnerstagabend vorgeschlagen. Und als Begründung angeführt: "Damit soll sichergestellt werden, dass ein Parlamentarier die erste Sitzung des neugewählten Bundestages leitet, der über ausreichende einschlägige Erfahrungen verfügt." Nicht auszuschließen sei etwa, dass ein neu gewählter Abgeordneter ohne jegliche Erfahrung in der Leitung von Versammlungen oder Sitzungen als Lebensältester in die Situation komme, die konstituierende Sitzung des größten und wichtigsten deutschen Parlaments zu leiten. Das sei mit dessen Bedeutung nicht vereinbar. Union, SPD und Linke signalisierten am Freitag ihre Unterstützung für den Vorstoß, die Grünen zögern.

Worauf das Ganze abzielt, wird schnell klar, wenn man auf die Geburtstage der Bundestagskandidaten schaut: Der langgediente Heinz Riesenhuber, 81, tritt nicht mehr an. Als aussichtsreicher Kandidat gilt daher der niedersächsische AfD-Politiker Wilhelm von Gottberg. Er wird in wenigen Tagen 77 Jahre alt. Sollte die AfD bei der Wahl weniger gut abschneiden, liefe es auf ihren Vize Alexander Gauland, 76, zu. Die Lammert-Idee, die er dem Ältestenrat vorgetragen hat, würde dagegen Wolfgang Schäuble (74, CDU) zur Ehre des Alterspräsidenten verhelfen. Der Minister sitzt seit 1972 im Bundestag.

Gauland, als Alterspräsident des Brandenburger Landtags über einschlägige Erfahrung verfügend, reagierte auf die Vorlage mit Kritik und Sarkasmus. Er sprach von "Tricksereien", betonte aber gleichzeitig, es erfülle ihn mit Genugtuung, "wenn ich an dieser Lammert-Posse erkennen kann, dass die AfD bereits jetzt schon die Altparteien vor sich hertreibt".

"Das an Jahren älteste oder, wenn es ablehnt, das nächstälteste Mitglied" führt nach der Geschäftsordnung des Bundestags "den Vorsitz, bis der neu gewählte Präsident oder einer seiner Stellvertreter das Amt übernimmt." Das war schon in der Frankfurter Nationalversammlung von 1948 so, auch im Preußischen Abgeordnetenhaus und im Reichstag seit 1871 hatte der Alterspräsident die ehrenvolle Pflicht zu erfüllen.

Die größte Aufregung um den Alterspräsidenten, der traditionsgemäß eine Rede hält, gab es 1994, als der parteilose Schriftsteller Stefan Heym, der für die PDS in Berlin ein Direktmandat errungen hatte, vor das Plenum trat. Er fragte, ob es nicht auch Erfahrungen aus der früheren DDR gebe, die vom Westen übernommen werden sollten, und forderte sozial gerechte Verhältnisse in Deutschland. Die Unionsfraktion verweigerte dem 81-Jährigen den Applaus - ein einmaliger Vorgang.

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