Paris:Der unwiderstehliche Charme der Granatwerfer

Ausgerechnet in diesen Tagen findet die Leitmesse für Sicherheitstechnik statt, mit allem für Abwehr und Attacke. Die Anschläge sind gut fürs Geschäft.

Von Leo Klimm, Villepinte

Die Frage ist nicht, ob das große Geschäft kommt, sondern wann. "Das Geld wird fließen. Spätestens wenn in den nächsten Monaten noch ein schlimmer Anschlag passiert, so etwas wie hier in Paris, werden die Budgets lockergemacht." Der Mann, der das sagt, will bestimmt nicht zynisch klingen. Er sieht die Dinge nur ganz nüchtern. Sein Job ist es, für das Tiroler Unternehmen Achleitner schwer gepanzerte Einsatzfahrzeuge zu verkaufen, wie sie Sonderkommandos brauchen, wenn sie es mit hochgerüsteten Feinden zu tun haben. So, wie die französischen Spezialkräfte am vergangenen Mittwoch in Saint-Denis bei Paris.

Der Zufall der Ereignisse will, dass der Mann von Achleitner in diesen Tagen auf einem Stand der Messe Milipol 2015 anzutreffen ist. Die findet in Villepinte statt im Norden von Paris, wenige Kilometer von Saint-Denis gelegen. In einer unwirtlichen Gegend genau zwischen dem Flughafen und den verschrienen Vorstädten der französischen Hauptstadt. Die Milipol ist die Weltleitmesse für das Geschäft mit der inneren Sicherheit der Staaten. Und der inneren Unsicherheit der Menschen.

Viele der Praktiker sind aus aktuellem Anlass dieses Mal verhindert

Am Österreich-Stand ist die Stimmung jovial. Es gibt Gulaschsuppe, Würstel, dazu Almdudler oder Bier. Dabei sind die blutrünstigen Attentate vom vergangenen Freitag in Paris auch für einige Aussteller zunächst ungünstig: Die Polizeivertreter deutscher Bundesländer zum Beispiel - potenzielle Kunden - hätten ihren Besuch kurzfristig abgesagt, heißt es bei Achleitner. "Die haben anderes zu tun." Trotzdem sind die Geschäftsaussichten gut. Es kommt ja auf den Trend an. Und der geht eindeutig in die richtige Richtung: mehr Geld für den Kampf gegen Terrorismus. Dann empfiehlt sich der Mann von Achleitner. Eine Delegation aus Jordanien interessiert sich für sein Vorzeigeprodukt, den "HMV Survivor I", ein 12,5-Tonnen-Monstrum, auf dessen Dach ein großkalibriges Maschinengewehr montiert ist.

Salon Milipol Paris, salon mondial de la securite interieure des etats.

"Es wäre ein schlechtes Zeichen, wenn ausgerechnet eine Sicherheitsmesse annulliert würde": Für Menschen mit Terror-Trauma ist die Pariser Messe Milipol nichts.

(Foto: Xavier POPY/REA/laif)

Die Milipol wirkt wie eine surreale Parallelwelt - irgendwie deplatziert angesichts all der sehr realen Grausamkeiten, die ganz in der Nähe passieren. Und irgendwie doch passend, weil die Messe so nüchtern die Realität einer Welt voller Gewalt spiegelt. Hier gibt es alles für die Abteilung Attacke und alles für die Abteilung Verteidigung: Schusswaffen jeder Art, Granaten Drohnen, Minenroboter, Wärmebildkameras, Biometrie-Geräte, Dekontaminierungszelte, IT-Systeme für Datenanalyse und Cybersicherheit. Auf einem Stand inszeniert eine Schweizer Firma ihre Projektile wie einen Goldschatz in einem ausgeleuchteten Tresor. Am Stand eines anderen Unternehmens läuft ein Video, in dem permanent mit lautem Knall Bomben zur Explosion gebracht werden. Im Lichthof der Messehalle hat die Gendarmerie eine Tatort-Installation mit Schaufensterpuppen arrangiert. Für Menschen mit Terror-Trauma ist die Milipol nichts. Aber sie ist etwas für Profis. Und bei denen herrscht business as usual.

"Es wäre ein schlechtes Zeichen, wenn ausgerechnet eine Sicherheitsmesse annulliert wird", sagt Michael Weatherseed. Der freundliche Schotte ist Chef der Milipol. Andere Kongresse in und um Paris mögen wegen der Anschläge abgesagt sein, eine Leistungsschau der Luxusindustrie etwa. Weatherseed und seine Mitveranstalter aber haben nicht lange gezögert, die Milipol aufrecht zu erhalten. Zumal er den Optimismus teilt, der an vielen Ständen herrscht: Es stimme, dass viele Praktiker - Polizisten und andere Sicherheitskräfte also - in diesem Jahr verhindert seien. "Auf der anderen Seite suchen die Leute aber gerade jetzt nach Lösungen, um das abzuwehren, was jetzt passiert ist."

Die Wachstumsrate in der Branche liegt bei jährlich fünf Prozent

Der Kampf gegen terroristische Angriffe war schon vor den Anschlägen als Schwerpunkt geplant - schließlich hatte das Jahr in Paris schon mit islamistischen Serienmorden begonnen. Viele andere Länder sind mit ähnlichen Attacken konfrontiert. Nun aber, sagt Weatherseed, sind die Sicherheitsfragen, das Betroffenheitsgefühl vor allem in europäischen Staaten, noch ein Stück zwingender geworden. Etwa die Frage, wie man Menschen schützt, wenn Terroristen Drohnen für ihre todbringenden Pläne einsetzen. "Das ist eine Hauptsorge", sagt der Messechef. Schließlich erlebt die Drohnenindustrie eine rasante Absatzzunahme: "Es gibt immer mehr Hersteller, die den Gegenangriff gegen boshafte Drohnen organisieren."

Salon Milipol Paris, salon mondial de la securite interieure des etats.

Bei Profis, beispielsweise die Verkäufer von Kleinwaffen, herrscht auch jetzt, nach den Anschlägen, business as usual.

(Foto: Xavier POPY/REA/laif)

Den Gesamtmarkt für Sicherheit schätzen Experten auf gut 500 Milliarden Euro weltweit. "Die jährlichen Wachstumsraten liegen bei gut fünf Prozent", sagt Patrick Haas, Chef der französischen Spezialagentur En Toute Sécurité. Der wahrscheinliche Schub nach den jüngsten Anschlägen ist in den Zahlen noch nicht berücksichtigt. Schon im ersten Halbjahr 2015 - nach den Januar-Attentaten von Paris - hatte sich das Wachstum der Ausgaben für Sicherheit beschleunigt. Allein in Frankreich setzt die Branche Haas zufolge jährlich rund 25 Milliarden Euro um, gibt 125 000 Menschen Arbeit.

Auf der Milipol präsentiert sich diese sonst verschwiegene Industrie. Die großen Namen fehlen nicht: Airbus ist da. Auch der US-Konzern Honeywell mit seinem Slogan "When duty calls" ("Wenn die Pflicht ruft"). Am Stand von Rheinmetall bestaunen zwei Chinesen deutsche Präzisionstechnik: einen wuchtigen Granatmaschinenwerfer mit Bildschirm, geeignet für die Terroristenjagd zur See. In einem Schaufenster sind Blendgranaten ausgestellt, wie sie zur Beendigung der Geiselnahme in einem jüdischen Supermarkt in Paris eingesetzt wurden. Die wichtigsten Kunden, heißt es am Stand des Düsseldorfer Konzerns, haben keineswegs abgesagt. Das sind nicht die Anwender, sondern die Beschaffer: Jene, die für Eliteeinheiten wie die deutsche GSG9 über den Kauf von Hightech-Waffen entscheiden.

Wobei auf der Milipol neben Entscheidern im Maßanzug viele Besucher zu sehen sind, die zwar offensichtlich fachmännisch mit Waffen umgehen, aber womöglich nicht genau das Publikum sind, die Weatherseed ansprechen will: Männer, die T-Shirts mit der Aufschrift "Black Friday" und aufgedruckten Maschinengewehren tragen. Männer, die sich stolz mit russischen Sturmgewehren fotografieren lassen. Männer, die in vollen Tüten Military-Rucksäcken Souvenirs davontragen: Kataloge natürlich, aber auch lustige blaue Plüschdinos, die an irgendeinem Stand verteilt werden. Die Milipol ist eine der wenigen Veranstaltungen, bei der die Warteschlange für die Herrentoilette länger ist als bei den Damen. Sicherheit ist - wie Krieg und Terror - nun einmal eine männerdominierte Branche. Michael Weatherseed kann nicht ausschließen, dass die Messe auch Menschen mit bösen Absichten anzieht. "Aber wir wenden uns ausschließlich an ein Fachpublikum und prüfen die Identität jedes Besuchers." Vorsichtshalber hat er die Kontrollen stark hochgefahren. Sicher ist sicher.

15 Aussteller haben trotzdem abgesagt. Vor allem asiatische und amerikanische Firmen, die ihren Mitarbeitern keine Reise ins Risikogebiet Frankreich zumuten mochten. Bleiben 934 Aussteller - ein Rekord. Es wäre doch ein schlechter Witz, findet Weatherseed, wenn sich die Sicherheitsindustrie vom Terror einschüchtern ließe.

Doch schlechte Witze kommen vor: In der Halle neben der Milipol hat am Donnerstag die "Funéraire" eröffnet - "die Spezialmesse für die Kunst der Bestattung". Auch dafür gibt es viel Bedarf zurzeit in Paris.

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