Paris:Achtung, die Germanen

Paris: Der ehemalige französische Premier Fillon findet, die deutsche Willkommenskultur sei mit für den Brexit vernatwortlich.

Der ehemalige französische Premier Fillon findet, die deutsche Willkommenskultur sei mit für den Brexit vernatwortlich.

(Foto: Georges Gobet/AFP)

In Frankreich gärt Unmut über Deutschland - erst recht nach dem britischen Votum für den Austritt aus der Europäischen Gemeinschaft.

Von Christian Wernicke, Paris

François Fillon ist nicht irgendwer. Fünf lange Jahre hat dieser französische Konservative seiner Nation als Premierminister gedient, und der 62-jährige Republikaner fühlt sich zu Höherem berufen: Nächstes Jahr möchte er gern Präsident der V. Republik werden - und dann Europa gestalten. Also macht sich Fillon, der Möchtegern-Staatsmann, so seine Gedanken über den Kontinent und darüber, warum die Briten millionenfach für den Brexit votieren.

Bei der Suche nach den Schuldigen zeigt der Pariser Abgeordnete nicht nur nach London - er blickt auch nach Berlin: Dort habe Angela Merkel mit ihrer Willkommenskultur "eine Beunruhigung über die Migranten geschürt, die das englische Votum sehr stark beeinflusst hat". Die Flüchtlings-Kanzlerin - verantwortlich für die britische Flucht aus Europa?

So direkt, so eindeutig wie Fillon mochte zwar niemand sonst aus der Mitte von Frankreichs "classe politique" auf die Deutschen deuten. Das blieb wie immer - und wie immer mit Wollust - Marine Le Pen und Jean-Luc Mélenchon überlassen, den schrillen Köpfen am rechten und linken Rand des Spektrums. Die FN-Chefin will - per "Frexit" - ihr Land nun "befreien von einem Europa, in dem Deutschland eh nur macht, was es will". Und Mélenchon, der Präsidentschaftskandidat der extremen Linken, sieht den Brexit als Abstimmung gegen Berlin: "Was da gescheitert ist, das ist das Deutschland der Madame Merkel!"

Auch die Linken würden am liebsten ohne die Deutschen weitermachen

Dennoch, gemessen an Merkels relativer Gelassenheit gibt sich auch das Establishment in Paris zutiefst erschüttert über das britische Referendum. Frankreich wählt in zehn Monaten, das schürt Ängste. Also mahnt François Hollande, der Amtsinhaber, prompt zu einem "Aufbäumen" gegen ein "Weiter so" in Europa. Weitaus radikaler und fundamentaler reagieren all jene, die - mangels politischer Ämter - besonders frei reden können: Die oppositionellen Republikaner forderten diese Woche nicht weniger als "eine Neugründung" Europas. Mal mit, mal ohne Volksentscheid.

Getragen wird diese Lust am Bruch mit dem real existierenden Europa von dem Gefühl, dass Frankreichs Gewicht in der EU geschrumpft ist. Jeder zweite Franzose (46 Prozent) glaubt, sein Land habe heute international weniger Einfluss als noch vor zehn Jahren (von den Deutschen sagen dies nur elf Prozent). Nur 38 Prozent (Deutsche 50 Prozent) bekunden eine positive Sicht auf die EU. Es wuchert das Gefühl, der Nachbar hinterm Rhein allein die Musik in Brüssel bestimme. Sogar Wirtschaftsminister Emmanuel Macron, eigentlich ein Berlin-Versteher, beklagte kürzlich, wie sehr sich "eine Hegemonie" in der EU breitmache. Er meinte Deutschland.

Da gärt Unmut. Ausgesprochen hat diesen Zorn über das germanische Europa diese Woche Henri Guaino. Der Vertraute von Ex-Präsident Nicolas Sarkozy zählt all die Dossiers auf, in denen zuletzt Angela Merkel unilateral ihren Kurs vorgeschrieben habe: die Flüchtlinge, der Atomausstieg, Europas gesamte Wirtschaftspolitik, der Umgang mit Griechenland. "Wenn die Antwort auf den Brexit ein noch deutscheres Europa ist, dann fahren wir gegen die Wand", sagt Guaino dem Figaro. Nein, lieber hat der Alt-Gaullist dann weniger Europa - mit einer EU-Kommission, die nur noch Verwaltungsbehörde des Europäischen Rates wäre.

Ein solches "Europa der Nationen", ein solcher Rückbau der EU in Brüssel schwebt auch François Fillon vor, dem Ex-Premier. Und darauf liefe auch hinaus, was Nicolas Sarkozy will: Der Republikaner-Chef verlangt "einen neuen Vertrag", ausgehandelt in nur zehn Monaten allein zwischen den Regierungen. Unklar blieb bisher, ob Sarkozy dieses neue Europa einem Referendum unterwerfen möchte. Sein Mit-Konkurrent um die Präsidentschaftskandidatur, der Ex-Minister Bruno Le Maire, hat exakt diese Idee (von Marine Le Pen und den Briten) bereits aufgegriffen. Egal, in jedem Fall wäre mit Sarkozys neuem Vertrag das alte, gemeinschaftliche Europa eines Jean Monnet oder eines Jacques Delors mausetot. Einzig Alain Juppé, laut Umfragen der Favorit der Republikaner, äußert sich vorsichtiger und warnt vor Brüchen - in Europa oder mit Deutschland.

Auch auf der Linken schwelt es. Auch Ex-Wirtschaftsminister Arnaud Montebourg, wahrscheinlicher Konkurrent Hollandes bei der Vorwahl für die sozialistische Präsidentschaftskandidatur, möchte Europa von Grund auf neu erfinden - und am liebsten ohne die Deutschen. "Das deutsch-französische Paar ist längst Fiktion", sagt der Links-Nationalist im Gespräch mit Le Monde. Lieber möchte Montebourg sich seine neue, schlankere EU mit den Spaniern oder Italienern bauen. Andernfalls, so schwant ihm, Altbekanntes: "Die Franzosen haben 2012 für ein Programm der französischen Linken gestimmt - aber bekommen haben sie die Politik der deutschen Rechten."

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