Parallelen:Köhler macht den Adenauer

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Der Bundespräsident will sein Amt so gestalten, wie es der erste Kanzler einst plante.

Heribert Prantl

"Sie werden sehr erstaunt gewesen sein, meine lieben Landsleute'", sagte der greise Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) am 8. April 1959 in einer Radioansprache, ,,dass ich mich zur Wahl als Nachfolger unseres verehrten Bundespräsidenten Heuss gestern zur Verfügung gestellt habe''.

Ein Foto aus dem Jahre 1954: Bundespräsident Theodor Heuss (li.) verleiht Bundeskanzler Konrad Adenauer (re.) das Großkreuz des Verdienstordens in besonderer Ausführung. (Foto: Foto: AP)

Die lieben Landsleute waren mehr als erstaunt, sie fielen aus allen Wolken. Die Liebäugelei Adenauers war zwar bald wieder vorbei, führte aber an den Rand einer Staatskrise, weil sich mit Adenauers Ambitionen ein politischeres, ein machtvolleres Amtsverständnis verband, als es von Theodor Heuss geprägt worden war und wie es bis heute stilbildend geblieben ist: der Bundespräsident als oberstes Repräsentant des Landes.

Seitdem aber Adenauer geraunt hat, dass ,,die Stellung, die Aufgabe und die Arbeit des Bundespräsidenten als zu gering eingeschätzt'' würden und sie viel größer seien, ,,als man schlechthin glaubt'', wird darüber diskutiert, was es bedeuten kann, wenn Bundespräsidenten ankündigen, die Kompetenzen des Amts ,,ausschöpfen'' zu wollen.

"Ziemlich begrenzte" Rechte

Bundespräsident Horst Köhler hat das in verschiedenen Formulierungen immer und immer wieder gesagt - und nun offenbar den Brunnen gefunden, den er ausschöpfen will: Er steht im Grundgesetz, Artikel 82 Absatz 1: ,,Die nach den Vorschriften dieses Grundgesetzes zustande gekommenen Gesetze werden vom Bundespräsidenten ausgefertigt und im Bundesgesetzblatt verkündet.''

Mit Blick auf dieses Recht spricht man vom Bundespräsidenten als einem ,,Staatsnotar''. In Kurt Sontheimers Werk über ,,Die Grundzüge des politischen Systems der Bundesrepublik'' heißt es dazu: ,,Hier vollzieht er faktisch den Willen der anderen Staatsorgane; seine damit verbundenen Rechte zur Prüfung sind ziemlich begrenzt.'' Horst Köhler, der ein hungriger Präsident ist, scheint das anders zu sehen. Auch ein Notar liest ja Texte nicht nur vor und besiegelt sie, er warnt auch vor bedenklichen Passagen; bisweilen ist er kreativ tätig.

Das formelle Prüfungsrecht des Bundespräsidenten war immer unstrittig, das Recht also, vor der Unterschrift das ordnungsgemäße Zustandekommen von Gesetzen zu prüfen. Darum ging es zum Beispiel 2002 beim Zuwanderungsgesetz:

Zurückhaltende Vorgänger

Der damalige Präsident Johannes Rau unterschrieb es zwar, er tat dies aber mit gespreizter Feder - er empfahl nämlich, die Sache beim Bundesverfassungsgericht überprüfen zu lassen. So hatte es auch Richard von Weizsäcker 1994 gehalten, als er das Gesetz zur Neuregelung der Parteienfinanzierung mit Bedenken unterschrieb.

Solche hatte auch der damalige Präsident Karl Carstens 1981 bei seiner Unterschrift unter das Gesetz zur Reform des Staatshaftungsrechts geäußert. Bei Weizsäcker und Carstens waren es inhaltliche Gründe, die sie zögern ließen, also Bedenken gegen die Vereinbarkeit der Gesetze mit der Verfassung.

Von der staatsrechtlichen Literatur und vom Bundesverfassungsgericht ist mittlerweile allgemein anerkannt, dass dem Präsidenten neben dem formellen auch dieses materielle, also inhaltliche Prüfungsrecht zukommt. Die Vorgänger Köhlers haben sich hierbei aber zurückgehalten.

Im Standardkommentar zum Grundgesetz von Mangoldt/Klein/Starck heißt es dazu, dass ,,das materielle Prüfungsrecht des Bundespräsidenten nur in Fällen schwerer und offensichtlicher materieller Verfassungsverstöße anzuerkennen ist''. Der Grund dieser Beschränkung: Für die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen und für deren Verwerfung ist vor allem das Bundesverfassungsgericht zuständig.

Allerdings wird gelegentlich die Meinung vertreten, der Präsident dürfe auch bei möglicherweise kleineren Verfassungsbedenken eingreifen - wenn über die Bedenken schon zuvor, im Laufe der Gesetzesberatungen, diskutiert worden ist. Das hieße freilich: In den Bundestagsdebatten müsste nur möglichst oft das Wort ,,verfassungswidrig'' gesagt werden, um dem Bundespräsidenten ein besonders intensives Prüfungsrecht zu geben. Köhler scheint dies so zu sehen.

© SZ vom 14. 12. 2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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