Vorstoß von Justizminister Maas:Der "Schwulen-Paragraf" - 50.000-mal Unrecht

Demonstration während der Aids-Woche in München, 1990

Eine Demonstration gegen Paragraf 175 während der Aids-Woche in München, im Jahr 1990.

(Foto: Egginger)
  • Homosexuelle Handlungen zwischen Männern standen auch in der Bundesrepublik lange unter Strafe.
  • Zwischen 1945 und 1969 wurden etwa 50 000 Männer nach Paragraf 175 verurteilt.
  • Justizminister Maas will diese Urteile nun aufheben lassen und die Opfer entschädigen.

Von Robert Roßmann, Berlin

Es dürfte nicht viele Paragrafen geben, die so viel Leid verursacht haben, wie "der 175" des Strafgesetzbuchs. Auf seiner Grundlage wurde ein Jahrhundert lang einvernehmlicher Sex zwischen Männern geahndet. In der Kaiserzeit entstanden, von den Nationalsozialisten verschärft, von der Bundesrepublik unverändert übernommen, wurde der "Schwulen-Paragraf" erst 1969 abgeschwächt. Ganz aus dem Strafgesetzbuch gestrichen wurde er sogar erst 1994.

Allein zwischen 1945 und 1969 wurden etwa 50 000 Männer verurteilt. Die Urteile führten in vielen Fällen auch zur gesellschaftlichen Ausgrenzung und beruflichen Vernichtung. Bis heute wurden die Männer nicht rehabilitiert. Die Geschichte des Paragrafen 175 ist eines der dunklen Kapitel der bundesdeutschen Rechtsgeschichte. Auch die Urteile aus der DDR, dort galt lange ein ähnlicher Paragraf, sind immer noch nicht aufgehoben.

Das will Bundesjustizminister Heiko Maas jetzt ändern. Der Sozialdemokrat hat in seinem Ressort ein "Eckpunktepapier zur Rehabilitierung der nach 1945 in beiden deutschen Staaten wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen Verurteilten" formulieren lassen. Das Papier soll Grundlage für ein Gesetz werden. Bisher hat der Bundestag lediglich die unter NS-Herrschaft ergangenen Urteile aufgehoben. Im Jahr 2000 bedauerte das Parlament zwar, dass der Paragraf 175 auch nach 1945 fortbestand. Konsequenzen daraus hat der Bundestag jedoch bis heute nicht gezogen. Dabei drängt die Zeit. Die meisten der noch lebenden Opfer des Paragrafen sind alt. Wenn nicht bald etwas passiert, werden auch sie sterben, ohne rehabilitiert worden zu sein.

Bundestag hat die Urteile bedauert - aber nie etwas daran geändert

In dem Eckpunktepapier, das der Süddeutschen Zeitung, vorliegt, heißt es: "Die Strafbarkeit einvernehmlicher homosexueller Handlungen und die darauf beruhenden Verurteilungen erwachsener und jugendlicher Menschen sind im höchsten Maße diskriminierend. Sie sind Ausdruck größter Intoleranz."

Zwischen 1945 und 1994 sei "eine Vielzahl von Urteilen ergangen, in denen einvernehmliche homosexuelle Handlungen unter Strafe gestellt wurden". Dies sei eine "strafrechtliche Diskriminierung" und "Schlechterstellung homosexueller Kontakte im Vergleich zu hetero-sexuellen Kontakten" gewesen. Die daraus resultierende Strafverfolgung Homosexueller sei "menschenrechtswidrig" gewesen. Der Gesetzgeber werde "dieses Unrecht daher in Form eines Aufhebungsgesetzes korrigieren".

Maas hatte bereits im Mai erklärt, der Paragraf 175 sei "von Anfang an verfassungswidrig" gewesen. Die alten Urteile seien "Unrecht", der Staat habe "Schuld auf sich geladen, weil er so vielen Menschen das Leben erschwert" habe. Diese "Schandtaten des Rechtsstaats" werde die Regierung "niemals wieder ganz beseitigen können" - die homosexuellen Männer sollten aber nicht länger mit dem Makel der Verurteilung leben müssen, sagte Maas damals. Sein Eckpunktepapier ist jetzt der erste Schritt auf diesem Weg.

Opfer sollen rehabilitiert und entschädigt werden

Maas will die Opfer nicht nur rehabilitieren, sondern auch entschädigen. Er fordert zum einen eine individuelle Kompensation. Die Höhe wird in den Eckpunkten jedoch nicht beziffert. Es heißt lediglich, die Zahlung müsse auf jeden Fall "verbüßte Freiheitsentziehung, gezahlte Geldstrafen, Kosten des Verfahrens und notwendige Auslagen des Betroffenen" berücksichtigen. Für Härtefälle soll ein Extra-Fonds eingerichtet werden.

Darüber hinaus verlangt das Bundesjustizministerium eine "Kollektiventschädigung". In dem Eckpunktepapier heißt es: "Für bereits verstorbene Betroffene kann eine Individualentschädigung nicht mehr erreicht werden. Zudem hat bereits die Existenz der Strafvorschrift aufgrund der damit verbundenen Stigmatisierung zu einer Einschränkung der Lebensführung und zu belasteten Biographien geführt, ohne dass es zu einer Verurteilung gekommen sein muss." Die deshalb nötige Kollektiventschädigung könne zum Beispiel "in Form einer Stärkung der Arbeit der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld erfolgen". Schließlich kümmere sich die Stiftung auch um "die wissenschaftliche Aufarbeitung der Strafverfolgung einvernehmlicher homosexueller Handlungen und der damit verbundenen Stigmatisierung homosexueller Menschen".

Bei der Rehabilitierung der wegen Paragraf 175 Verurteilten soll es mehrere Ausnahmen geben. Nicht aufgehoben werden sollen Urteile wegen homosexueller Handlungen mit Kindern (Personen unter 14 Jahren) oder von Erwachsenen mit Personen unter 16 Jahren. Auch bei einem "Missbrauch von Abhängigkeitsverhältnissen und Zwangslagen", oder bei sexuellen Handlungen "unter Nötigung mit Gewalt oder durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben" wird es keine Rehabilitierung geben.

Der CDU-Rechtsexperte Jan-Marco Luczak begrüßte den Vorstoß des Justizministers. Luczak, der auch stellvertretender Vorsitzender des Rechtsausschusses im Bundestag ist, sagte, die Rehabilitierung sei "ein wichtiger symbolischer Akt, um den Verurteilten späte Gerechtigkeit zuteil werden zu lassen". Er werde deshalb in den Reihen der Unionsfraktion für ein solches Gesetz werben. Angesichts des hohen Alters vieler Betroffener solle der Bundestag die Rehabilitierung noch vor Ablauf der Wahlperiode Ende 2017 beschließen.

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