Papstnachfolge:Wer wird den Ring des Fischers tragen?

Im Mittelpunkt der Spekulationen über den Nachfolger an der Spitze der katholischen Kirche stehen vier mächtige Kardinäle.

Von Matthias Drobinski

Die Liturgie, mit der die katholische Kirche während der Kar- und Ostertage das Leiden, das Sterben und die Auferstehung Jesu feiert, ist eindrucksvoll und anrührend. Und doch wird dieses Jahr vielen katholischen Gläubigen die Andacht schwer gefallen sein.

Kardinal Joseph Ratzinger

Kardinal Joseph Ratzinger

(Foto: Foto: AP)

Sie fragten sich: Wer ersetzt den todkranken Papst Johannes Paul II. bei den wichtigsten Gottesdiensten des Kirchenjahres? Lassen sich aus der Vertretung Rückschlüsse ziehen, wer nun wie mächtig ist im Vatikan, oder gar, wer der nächste Papst sein wird?

Am Palmsonntag feierte Camillo Ruini die Messe und predigte über das Kreuz, das Kraft spende - wie der leidende Papst zeige. Kardinal Ruini ist der Vertreter des Papstes als Bischof von Rom; er wird es sein, der den Tod des Papstes offiziell verkündet.

Die Chrisam-Messe am Morgen des Gründonnerstags leitete Ruinis italienischer Landsmann Giovanni Battista Re, der Präfekt der Bischofskongregation; das Abendmahls-Gedächtnis mit anschließender Fußwaschung der einflussreiche "Familienminister" Alfonso Lopez Trujillo aus Kolumbien.

Vatikanische Astrologie

Für das Kreuzweggebet am Freitagabend hatte Joseph Ratzinger, der Präfekt der Glaubenskongregation, einen viel beachteten Meditationstext geschrieben, eine Art Gewissenserforschung der Kirche. Der deutsche Kardinal stand auch dem Auferstehungsgottesdienst der Osternacht vor. Die Ostermesse wiederum zelebrierte Kardinalstaatssekretär Angelo Sodano, der zweite Mann nach dem Papst.

Freunde der vatikanischen Astrologie können nun all das interpretieren: Was bedeutet es, dass Ruini am Palmsonntag bei vielen Gläubigen großen Anklang fand? Wie ist Ratzingers Auftritt in der Osternacht zu deuten, den viele als würdevoll, ja geradezu päpstlich empfanden?

Die fein austarierte Aufteilung über die Kar- und Osterfeiertage hinweg spricht allerdings dafür, dass die mächtigen Männer an der Spitze der Kirche jeden Anschein vermeiden wollen, es gebe da ein Machtgerangel unter den Mitarbeitern des leidenden Papstes oder gar einen Favoriten für die Nachfolge.

Sodano und Re, Ratzinger und Ruini, die vier Mächtigen im Vatikan, sollen gar ein Abkommen geschlossen haben, in den italienischen Zeitungen martialisch "Nichtangriffspakt" genannt. Ob es diesen Pakt formal gibt oder nur informell - es spricht viel dafür, dass die Mächtigen der Kurie genau auf die Einhaltung des Status quo achten werden, so lange Johannes Paul II. lebt - und solange nicht über die Nachfolge entschieden ist.

Kirchenrechtliche Grauzone

Zum einen ist die Zeit, in welcher der Papst amtsunfähig ist, kirchenrechtlich gesehen eine Grauzone, was auch bedeutet, dass alle Entscheidungen von Tragweite aufgeschoben oder, wenn es unumgänglich ist, im Kollektiv getroffen werden.

Und zum anderen gilt der eiserne Grundsatz aller Papstwahlen: Wer von den Kardinälen erhoben werden will, darf seine Ambitionen nicht allzu offen zeigen.

Hufscharrenden Ehrgeiz schätzen die Kirchenmänner nicht. Ohnehin werden Ratzinger und Sodano, Ruini und Re zwar wichtige Rollen bei der Papstwahl spielen, Favoriten auf das höchste Amt der katholischen Kirche sind sie aber deshalb noch lange nicht.

Wer wird den Ring des Fischers tragen?

Kardinal Ratzinger zum Beispiel wurde noch vor Jahresfrist Amtsmüdigkeit nachgesagt, nun gilt er als Papst-Kandidat. So schnell können die Einschätzungen sich ändern. Tatsächlich hat Ratzinger in einem künftigen Konklave viel Macht: Er ist Kardinaldekan, eine Art Moderator und Geschäftsführer des Gremiums, das den neuen Papst wählt.

Als Cheftheologe des Papstes hat er zudem dessen innerkirchlich konservativen Kurs mitformuliert. Womit viele Kardinäle kein Problem haben dürften - mehr aber damit, dass Ratzinger als Intellektueller und weniger als Seelsorger brilliert.

Kardinalstaatssekretär Angelo Sodano ist dagegen ein erfahrener Verwalter und Diplomat, aber eben kein Mann des scharfen Gedankens; Kritiker werfen ihm zudem vor, in seiner Zeit in Chile nicht genügend Distanz zum Diktator Augusto Pinochet gehalten zu haben. Ratzinger und Sodano standen oft in Konkurrenz zueinander, so beim Streit in Deutschland um den Ausstieg der Kirche aus der staatlichen Schwangeren-Konfliktberatung.

Ruini und Re sind da weniger belastet, haben aber dasselbe Problem: Kurien-Insider sind im weltweiten Kardinals-Kollegium nicht sehr beliebt.

"Karol, schläfst Du?"

Es wird also Stillstand sein im Vatikan rings um den sterbenden Papst - ein Stillstand, über den die mächtigen Kardinäle wachen, aber auch die Vertrauten aus dem "Appartement", der Wohnung Karol Wojtylas, allen voran Stanislaw Dziwisz, der Sekretär des Papstes.

Und erst mit dem Tod, mit dem Beginn des alten Rituals, wird sich die Kirche wieder bewegen: "Karol, schläfst Du?", wird der Camerlengo, der Kämmerer des Papstes, dreimal fragen. Dann wird er dem Toten den Fischerring vom Finger ziehen, der an Petrus, den Fischer erinnert - und später diesen Ring zerbrechen, zusammen mit dem päpstlichen Siegel.

Mindestens 15 und höchstens 20 Tage nach dem Tod werden die Kardinäle unter 80 Jahren sich in der Sixtinischen Kapelle versammeln und dort eingeschlossen werden. 117 Papstwähler gibt es derzeit; zwei Drittel von ihnen müssen sich auf eine Person einigen.

Gelingt dies nach drei Tagen, einem Tag Pause und 21 weiteren Wahlgängen nicht, genügt die einfache Mehrheit - eine Änderung, die Papst Johannes Paul II. eingeführt hat.

Mit ihrer Hilfe könnte sich eine knappe konservative Mehrheit durchsetzen, fürchten jene, die sich von einem neuen Pontifikat eine Kirchenreform erhoffen. Doch Papstwahlen hatten schon immer ihre eigenen Gesetze. 1959 rechneten, wie heute, viele Beobachter mit der Wahl eines Übergangspapstes - es kam Johannes XXIII., der Vater des II.Vatikanischen Konzils, das die Fenster der Kirche zur Welt öffnete. Und im Oktober 1978 präsentierten die Zeitungen ein gutes Dutzend papabile, Papst-Kandidaten. Karol Wojtyla war nicht dabei.

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