Papst und die Pius-Brüder:Mit dem Rücken zur Welt

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Der Skandal um die Leugnung des Holocausts zwingt die traditionalistischen Pius-Brüder, sich einer Gesellschaft zu erklären, die sie für verderbt halten. Ein Besuch im Herz-Jesu-Priesterseminar.

Matthias Drobinski

Es ist ein Festtag im Seminar "Herz Jesu" in Zaitzkofen unweit von Regensburg, wo der Wind über flache Felder geht und am Horizont die Berge des Bayerischen Waldes stehen. Ein Festtag in der kleinen Kirche mit dem Barockaltar, der niedrigen Kassettendecke, der Orgel mit dünner Stimme, dem Kirchlein neben dem wuchtigen Gutshaus.

Die Priesterbruderschaft St. Pius X. in Deutschland: Pater Steiner (Mitte) in der Kirche St. Maria Himmelfahrt in Stuttgart (Archiv) (Foto: Foto: dpa)

Ungefähr hundert Menschen knien in den Bänken, sie sind aus ganz Deutschland gekommen, aus Österreich, Tschechien, Italien, der Schweiz. Weihrauch und gregorianischer Gesang steigen auf, die Goldfäden in den Messgewändern glänzen; die Priester stehen mit dem Rücken zum Volk am Altar, gebetet wird hier auf Latein. Bankweise gehen die Gläubigen nach vorne, knien nieder, küssen die Hand des Priesters, bekommen eine dünne Kerze. Es ist der 2. Februar, Mariae Lichtmess.

Am Tag des Lichts werden die am Sonntag zuvor geweihten Diakone feierlich eingekleidet. So hat es Marcel Lefebvre bestimmt, der Gründer der Priesterbruderschaft Pius X., jener Gemeinschaft von weltweit 600.000 Menschen mit 417 Priestern, die das Zweite Vatikanische Konzil der katholischen Kirche nicht anerkennt, die Liturgiereform so wenig wie die Erklärungen zur Religionsfreiheit und zum Verhältnis zur modernen Welt.

Und die nun im Fokus der Öffentlichkeit steht, weil Papst Benedikt die 1988 ausgesprochene Exkommunikation von vier Bischöfen der Priesterbruderschaft zurückgenommen hat - just als einer von ihnen, Richard Williamson, dem schwedischen Fernsehen erklärte, nie seien Juden in Gaskammern ermordet worden. Williamson tat dies in Zaitzkofen, weil dort ein konvertierter schwedischer Pastor geweiht wurde.

Noch nie in der vierjährigen Amtszeit des Papstes hat eine seiner Entscheidungen so viele Gläubige empört und so viele Bischöfe voll innerer Wut hilflose Erklärungen formulieren lassen. Noch nie hat eine seiner päpstlichen Entscheidungen vor allem Juden, aber auch Muslime und Protestanten derart vor den Kopf gestoßen.

Bischof Bernhard Fellay, der Generalobere der Priesterbruderschaft, ist gekommen, und so entfaltet eine tridentinische Pontifikalmesse über zweieinhalb Stunden ihre Mischung aus Pracht und Magie, Berührendem und steifer Zeremonie.

Fellay trägt eine goldglänzende Mitra, weiße Schuhe und weiße Handschuhe; mit weicher Stimme predigt er vom Opferdienst des Priesters und davon, dass ein Kleriker besonders fromm, strebsam und tugendhaft zu sein habe.

Sieben kindlich ernste Männer mit weichen Gesichtern gehen nach vorne, sechs im schwarzen Anzug, einer in Tracht. Knien nieder vor ihrem Bischof, der ihnen ihre Soutanen überreicht und dann vorne, hinten, links und rechts am Kopf ein Büschel Haare abschneidet, eine symbolische Tonsur: Von nun an bist du Kleriker, Kreuzzügler gegen eine verdorbene Welt und einen verrotteten Katholizismus.

Draußen vor der Kirche, es geht auf zwölf zu, stehen und reden nach der Messe Besucher und Verwandte, gehen vor dem Bischof auf die Knie und küssen seinen Ring. Aus der Lausitz sei er hierher gefahren, sagt ein Vater, gut katholisch sei er, aber Bauchschmerzen habe er doch, wenn er die radikale Entscheidung seines Sohnes bedenke, "der Peter, der ist halt immer seinen Weg gegangen".

Peter kommt, gibt seinem Vater die Hand und ist wieder weg; "alles Gute, mein Junge", kann der Mann noch sagen, seine Stimme bebt. Ein Pfarrer aus der Nähe von Wien, im Dienst der offiziellen katholischen Kirche, schwärmt dagegen ungebremst: "So ein Pontifikalamt erleben Sie im ganzen deutschsprachigen Raum nicht."

"Sie sind ja doch gekommen", sagt Pater Stefan Frey, als er den Reporter unter den bekannten Gesichtern entdeckt. Frey ist der Regens des Seminars, ein schlanker 50-Jähriger mit leiser Stimme und freundlichem Auftreten. Zuerst lehnten die Pius-Brüder Journalistenanfragen ab. Doch wenn man nun schon einmal da ist und vor dem Gutshaus steht, das, Ironie der Geschichte, einst dem großen Säkularisierer in Bayern gehörte, dem Grafen Montgelas, dann reden sie. Es gibt Kaffee, sogar die Einladung zum festlichen Mittagessen.

Es ist auch einiges zu erklären. Vor allem, dass die Pius-Bruderschaft nicht antisemitisch sei und den Holocaust leugne. "Ich bin enttäuscht von Bischof Williamsons Aussagen", sagt Bischof Fellay vor der Kirche. Die These, dass die Nazis keine Gaskammern betrieben, sei "seine persönliche Meinung, nicht die der Priesterbruderschaft".

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Ähnlich sagt es auch Pater Frey: "Ich bin schwer enttäuscht und erschüttert, solche Sätze verurteilen wir." Nun überdecke der Medienrummel um Williamson das eigentliche Ereignis der vergangenen Tage: "Der Papst ist uns entgegengekommen. Dafür sind wir ihm zutiefst dankbar." Ein solcher Triumph. Und dann dieser Williamson, der alles kaputtmacht.

Papst Benedikt XVI. (Foto: Foto: ddp)

Hätte man das nicht wissen können, gar müssen? Williamson war regelmäßig zu Besuch in Zaitzkofen, er betreibt einen Internet-Blog, in dem man bis vor kurzem seine Abstrusitäten nachlesen konnte. So windet sich Pater Frey bei der Antwort. Er sei "vollkommen überrascht gewesen" über die Aussagen im Interview.

Den Blog habe er nicht gelesen, "andere, die das getan haben, haben es vielleicht auch nicht richtig ernst genommen - Williamson ist ein kantiger Mann mit provozierendem britischem Humor, der die Dinge manchmal sehr zuspitzt." Im Übrigen legt Pater Frey Wert darauf, dass er Williamson nicht für den nächsten Weihe-Termin ausgeladen hat, wie zu lesen war. "Wir warten - im Respekt vor seiner Person als Bischof - zunächst ab, was die Gespräche mit ihm bringen werden." Es sei ihm ohnehin "derzeit unmöglich, eine Einladung aus Deutschland anzunehmen". Dann käme nämlich der Staatsanwalt.

Zu Mittag gibt es heute Festtagsessen: Schweinebraten, Kroketten und Spätzle, Mischgemüse, Wein, Kuchen. Es herrscht fromme Heiterkeit und manchmal jener spätpubertäre Übermut, den Männer haben, wenn sie unter sich sind. Zwei tschechische Seminaristen erzählen über die Unterschiede von Böhmen und Mähren, einer unterrichtet gerade an der Schule der Pius-Brüder in Saarbrücken und hat ein Auto voll Schüler mitgebracht, 14-Jährige in Anzug und Krawatte.

Als der Kaffee kommt, wird das Gespräch ernst: Wie gottlos sind Staat und Gesellschaft? Auf der Homepage der Pius-Bruderschaft heißt es, nach traditioneller Lehre der Kirche "hat jeder Staat die Pflicht, die katholische Religion als die einzig wahre anzuerkennen und ihr entsprechende Rechte einzuräumen." Bei katholischer Bevölkerungsmehrheit "würde das bedeuten, dass der Staat sich zum Katholizismus als Staatsreligion bekennt und dieser Religion allein alle Rechte zuerkennt".

Ein Katholik muss also einen katholischen Staat anstreben. Kann darin ein Katholik Jude werden? "Ja, sicher." Darf darin eine jüdische Gemeinde öffentlich um Christen werben? Hm. Tja. "Eher nicht."

Zwei Seminaristen rollen den Flügel in die Mitte des Refektoriums, des Speisesaals; zu Ehren des Bischofs gibt es Hausmusik. Der Pianist spielt passabel, der mit der Trompete aber, der kann was. Der macht sein Instrument zum Lebewesen, das singt und sich freut. Elias Stolz heißt der Musiker, 26 Jahre ist er alt, und er könnte statt in der bayerischen Einsamkeit tatsächlich in den Konzerthäusern der Welt spielen. Stolz hatte sich einen der wenigen Plätze in Deutschland als Profi-Trompeter in einem Orchester erarbeitet, in Köln. Und dann alles aufgegeben, um Priester der Bruderschaft Pius X. zu werden.

"Da habe ich lange mit mir gerungen", sagt er. Doch "wenn du wirklich deine Berufung zum Priesteramt spürst, dann musst du das machen." Dass er zu den Traditionalisten gehen würde, stand für ihn außer Frage, schon die Eltern gingen mit ihren zehn Kindern in die lateinische Messe nach tridentinischem Ritus, "die neue Messe habe ich so gut wie gar nicht kennengelernt".

Am Anfang litt er sehr darunter, nicht mehr üben zu können, zu wissen, dass er jeden Tag ein Stück seines Könnens verlor. Inzwischen hat er das akzeptiert und übt wieder, "wenn es mir die Zeit erlaubt". Viel Zeit bleibt nicht, der Tag ist durchgeplant: 6 Uhr Aufstehen, 6.30 Uhr Morgengebet, 7.15 Uhr Heilige Messe, 35 Minuten Frühstück, bis zwölf Uhr Vorlesungen, Mittagsgebet, Mittagessen, eine Stunde Pause, viereinhalb Stunden persönliches Studium, Rosenkranzgebet, Abendessen, Nachtgebet, 22 Uhr Lichtlöschen.

Es gibt keinen persönlichen Computer und kein persönliches Telefon; außerhalb der Ferien sollen die Seminaristen Lokalen aller Art fernbleiben, Kino ist nur gewünscht, wenn Mel Gibsons Passionsfilm läuft. Ziel des Seminarlebens ist die "Abtötung" weltlicher Begierden und falscher Gedanken. Es komme nicht darauf an, viel zu wissen, hat Bischof Fellay einmal in Zaitzkofen gesagt, es komme darauf an, das Richtige zu wissen.

Vor einem Jahr haben einige Seminaristen und eine Familie, die sich selber als "verschworene" Anhänger der Traditionalisten bezeichnet, gegen den Drill protestiert. Sie berichteten, dass Seminaristen bei einer Bergwanderung draußen vor der Hütte froren, weil ihnen ja der Eintritt verboten war, sie erwähnten, dass Kinder bei Freizeiten der Pius-Bruderschaft in Ermangelung von Duschen mit kaltem Wasser abgespritzt worden seien. Sie wurden als Verräter beschimpft.

Elias Stolz jedenfalls hat keine Probleme mehr mit der engen Disziplin im Haus, "sie hilft mir, meinen Tag zu gestalten, mich aufs Wesentliche zu konzentrieren". Damit er später einmal "Seelen retten" kann, wie er formuliert. Die Heiligkeit des Priesters sei dazu wichtiger als die wissenschaftliche Ausbildung, so habe es Papst Pius X. gesagt.

In der Seminarbibliothek gebe es einen "Giftschrank" mit Büchern, für deren Lektüre man die Erlaubnis des Lehrers brauche, erzählt er. Stolz weiß nicht, um welche Bücher es sich handelt. Er hat sie noch nie gebraucht.

Pater Frey wirbt noch einmal, erklärt, möchte falsche Eindrücke korrigieren. Dass die Anhänger Lefebvres nicht gegen das gesamte Konzil seien, sondern nur gegen jene Erklärungen, die die Heiligkeit und Einzigartigkeit der Kirche verwässert hätten: die Erklärungen zur Ökumene, zum Verhältnis zu den anderen Religionen, zur modernen Welt - und natürlich die Liturgiereform.

Lesen Sie auf der letzten Seite, was aus Sicht der Pius-Brüder noch fehlt, um die letzte Stufe zur Wiederkunft Christi zu erreichen.

Manche Sätze der vorkonziliaren Zeit müsse man nur richtig verstehen: Außerhalb der Kirche gibt es kein Heil - "das bedeutet nicht, dass Nichtkatholiken einfachhin in die Hölle kommen." Doch können "die Konfessionen und Religionen nicht als gleichwertig oder gleichberechtigt angesehen werden". Oder er erklärt, dass die Pius-Bruderschaft sehr wohl mit der Demokratie als Staatsform leben könne, wobei die Kirche "grundsätzlich immer auch die Monarchie als eine legitime Staatsform angesehen hat".

Ein katholischer Staat - nein, so etwas wie die Franco-Diktatur in Spanien wolle er nicht. Es ist ein langes Gespräch, es streift die Rolle der Frau als natürliche Erzieherin, verweilt bei der allgemeinen Kirchenkrise, geht über zu Priestern, die von ihren Bischöfen abgestraft werden, weil sie über die Hölle predigten. Seht, bedeutet Pater Freys Rede, wir sind konservativ, aber man kann mit uns reden. Rassisten sind wir auf keinen Fall.

Noch eine Frage, Pater Frey: Im neuesten Mitteilungsblatt der Priesterbruderschaft gibt es eine Titelgeschichte über "Die Anzeichen des Weltendes". Das ist nahe, heißt es dort, weil die Völker im Glaubenslosen versunken sind, und weil die Juden sich wieder im Staat Israel versammelt haben.

Nur die letzte Stufe zur Wiederkunft Christi fehle noch: Die Bekehrung der Juden zu Christus. Können Sie nicht verstehen, dass Juden verletzt sind, wenn ihr Glaube als letztes Hindernis vor der Wiederkunft Christi beschrieben wird? Der Regens überlegt - so habe er die Sache noch nicht gesehen, sagt er. Aber man sei ja lernfähig.

Als Pater Franz Schmidberger, der Prior für den deutschen Sprachraum, in seinem Weihnachtsbrief schrieb, die Juden seien "des Gottesmordes mitschuldig, solange sie sich nicht durch das Bekenntnis der Gottheit Christi und die Taufe von der Schuld ihrer Vorväter distanzieren", da habe er ihm gesagt, dass dies problematisch sei - und "Pater Schmidberger hatte die Ehrlichkeit, seine Aussagen zu korrigieren."

Dann steht man wieder außerhalb der Seminarmauern, denkt an die lächelnden Seminaristen, den freundlichen Pater Frey, an Bischof Fellay, der gesagt hat, die theologische Debatte mit Papst Benedikt gehe "in die richtige Richtung", auch wenn es noch keine "Roadmap to peace" gebe. Und an die Texte, die man vor dem Besuch gelesen hat. Die Entschuldigung von Bischof Williamson an Papst Benedikt XVI., für den "Sturm", den seine "unvorsichtigen Kommentare" ausgelöst hätten - das gilt dem Wirbel, den er ausgelöst hat, nicht der Leugnung des Holocaust.

In den Mitteilungen der Priesterbruderschaft hat er vom dritten Weltkrieg gefaselt und sich als Gewalttäter des Wortes gezeigt, bis vor kurzem offenbar zur Genugtuung der Mitbrüder. Und man denkt darüber nach, wie es sich wohl in dem Staat der Pius-Brüder leben ließe, als Protestant, Muslim, Jude, Homosexueller. Oder als Journalist. Hierhin also hat Papst Benedikt XVI. in väterlicher Güte seine Hand zur Versöhnung ausgestreckt.

© SZ vom 04.02.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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