Papst Benedikt XVI.:Herrscher, Hirte, Corporate Identity

Der Papst hat viele Körper: geistliche und weltliche, politische. Nur Privatperson ist er nie. Wer kommt da eigentlich nach Deutschland, wenn Benedikt XVI. kommt?

Friedrich Wilhelm Graf

Viele Körper hat der Papst. Neben dem sterblichen Leib des Menschen, der vom Kollegium der wahlberechtigten Kardinäle im Konklave zum Papst gewählt wurde, hat der Papst diverse geistliche und auch zwei weltliche, politische Körper. Die Einzigartigkeit des Amtes, das nach tiefer Krise seit dem 19. Jahrhundert zunehmend an Macht und weltweitem Ansehen gewann, liegt gerade in der spannungsreichen Einheit ganz unterschiedlicher Funktionen.

Germany Prepares For Pope Visit

"Wir sind Papst": Arbeiter rollen ein riesiges Papstposter am Sitz des Axel Springer Verlags in Berlin aus.

(Foto: Getty Images)

In keiner anderen alteuropäischen Institution sind Geistliches und Weltliches, höchste religiöse Autorität und harter politischer Machtanspruch so durchlässig wie im römischen Papsttum. Es bedarf hoher Ambiguitätstoleranz, um die eigene Leistungskraft dieses Amts zu sehen. In Zeiten der schnellen Globalisierung und seit 1900 vielfältig verstärkten Pluralisierung des Christentums ist der Papst zur Corporate Identity, zum Alleinstellungsmerkmal der römisch-katholischen "Weltkirche" geworden.

Das Papsttum ist im Übergang von der Spätantike zum Mittelalter aus dem Amt des Bischofs von Rom hervorgegangen, das sich durch die Rückführung auf Petrus legitimiert hatte. Dieses Petrusamt ist der erste geistliche Körper des Papstes. Nach geltendem römisch-katholischen Kirchenrecht ist der Papst zudem "Haupt des Bischofskollegiums, Stellvertreter Christi und Hirte der Gesamtkirche hier auf Erden". Liest man im "Annuario Pontifico", der jährlich in italienischer Sprache erscheinenden offiziellen Statistik des Heiligen Stuhls, ist der römische "Sommo Pontifice" der Kirche zugleich "Patriarch des Abendlandes", Primas Italiens, Metropolit der römischen Kirchenprovinz und allererster "Diener der Diener Gottes". Auch wird er als "Prinzip und Fundament der Einheit der Kirche" vorgestellt.

Benedikt XVI., der an diesem Donnerstag nach Deutschland kommt, hat bald nach seiner Wahl auf den altehrwürdigen Titel "Patriarch des Abendlandes" ausdrücklich verzichtet, ohne Nennung von Gründen. Die einen sahen dies als Zeichen neuer Demut und Bescheidenheit; andere deuteten den Verzicht genau umgekehrt als Steigerung seines geistlichen wie (kirchen-)politischen Machtanspruchs. Benedikt XVI. wolle kein Patriarch neben anderen Patriarchen sein, sondern sehe sich im geistlichen Rang den Patriarchen von Moskau und Konstantinopel überlegen, eben als einziger Höchstbischof aller Christen weltweit. Für diese Deutung spricht, dass der Theologieprofessor Joseph Ratzinger schon in jungen Jahren gern die alte Lehre betont hatte, das Papstamt beruhe auf unmittelbarer göttlicher Einsetzung.

Der Papst kann nicht vor Gericht gebracht werden

Das Kirchenrecht kennt prägnante Bestimmungen der Amtsmacht der Päpste. Kraft seines Amtes, vi muneris sui, hat der Papst in der Kirche die volle Primatialgewalt inne. Sie ist begrifflich unterschieden in potestas ordinaria, potestas suprema, potestas plena, potestas immediata und schließlich potestas universalis. Mit der Suprematie wird die Unabhängigkeit der Amtsgewalt von jeder anderen weltlichen wie kirchlichen Autorität betont.

Entscheidungen des Papstes bedürfen keiner Begründung und Bestätigung, und man kann gegen sie nicht vorgehen. Auch kann ein Papst nicht vor ein, sei es weltliches, sei es kirchliches, Gericht gebracht werden. Allein der Papst entscheidet über Einberufung, Unterbrechung oder Abbruch eines Konzils und einer Bischofssynode, nur er bestimmt die Themen der Verhandlungen. Zwar soll der Papst als Haupt des Bischofskollegiums sein Amt gemeinsam mit den Bischöfen ausüben. Doch entscheidet nur er darüber, wie das Kollegium seine Aufgabe für die Gesamtkirche wahrnimmt.

In Fragen von Glaube und Lebensführung hat er allerhöchste Autorität

Als Inhaber des munus docendi, eines Elements der potestas plena, kommt dem Papst in allen Fragen von Glaube und Lebensführung allerhöchste Autorität und unter bestimmten Bedingungen gar "Unfehlbarkeit" zu. Sein munus regendi bezieht sich auf die gesamte Kirche, und er nimmt in der Gesamtkirche Legislative, Judikative und Exekutive wahr. Die für moderne Rechtsstaaten grundlegende Gewaltenteilung kennt die römisch-katholische Kirche nicht.

'Das Wort zum Sonntag' mit Papst Benedikt XVI.

Der Papst sprach "Das Wort zum Sonntag". Doch wer sprach da eigentlich? Er hat viele Körper - und nur er entscheidet in jeder Situation darüber, in welcher Körpersprache er sich äußert und wie er wahrgenommen werden möchte.

(Foto: dapd)

Auch kann der Papst in seiner potestas immediata wie absoluta jederzeit seine Gewalt in allen Teilkirchen und ihren Verbänden ausüben. Zwar soll er stets der communio der Gesamtkirche und speziell des Bischofskollegiums gerecht werden. Aber ihm eignet gegenüber den Bischöfen eine Kompetenzkompetenz: Nur er entscheidet um der Gesamtkirche willen darüber, ob und inwieweit er sein Amt primär im kollegialen Konsens oder aber in entschiedener Alleinregierung wahrnehmen will.

Zwar lässt sich in manchen ekklesiologischen Texten des Zweiten Vatikanischen Konzils viel Kollegialrhetorik beobachten. Aber das Kirchenrecht wurde damals nicht geändert und erlaubt auch eine harte päpstliche Alleinregierung. Bei Johannes Paul II. wie nun bei Benedikt lassen sich deutlich Tendenzen zu römischem Zentralismus und starker Betonung der amtscharismatischen Autorität des Papstes beobachten.

Der Inhaber des Petrusamtes hat auch weltliche Körper. Mit den Lateranverträgen, die 1929 von Kardinal Pietro Gasparri und Benito Mussolini unterzeichnet wurden, sollte laut Präambel "dem Heiligen Stuhl zur Sicherstellung völliger und sichtbarer Unabhängigkeit eine unstreitige Souveränität auch auf internationalem Gebiet verbürgt werden". So wurde durch Vertrag ein neuer Staat geschaffen, der Stato della Città del Vaticano. Auch als Oberhaupt dieses Staates ist der Papst absoluter Souverän, mit exklusiver Gesetzgebungsvollmacht, Recht auf Alleinregierung und eigener Jurisdiktionskompetenz.

Ob man den Vatikanstaat als Nachfolger des alten, bis 1870 bestehenden Kirchenstaates betrachten darf, wird kontrovers diskutiert. Im Institutionengefüge gibt es hohe Kontinuität, auch wenn der "Päpstliche Hof" seit 1968 nurmehr Pontificalis Domus, "päpstliches Haus", genannt wird, zu dem auch "Thronassistenten" gehören.

Viele Völkerrechtler sehen nicht nur im Heiligen Stuhl, bei dem die Botschafter akkreditiert werden, ein Völkerrechtssubjekt, sondern erkennen zunehmend auch dem "Staat der Vatikanstadt" eigene völkerrechtliche Subjektivität zu. Hatte man dort früher weithin italienisches Zivil- und Strafrecht übernommen, gibt sich der Vatikan seit einigen Jahren auch für alle möglichen Alltagskonflikte bis hin zur Drogenbekämpfung eigene Gesetze. Die Città del Vaticano ist mit einigen anderen kleinen Territorien in und um Rom ein eigener Staat, der einer ganzen Reihe von internationalen Organisationen angehört.

Wer geistliche Aussagen des Papstes kritisiert, greift ein Staatsoberhaupt an

Als einziger europäischer Staat neben Weißrussland hat der Vatikan bis heute die Europäische Menschenrechtskonvention nicht unterzeichnet. Das ist nur konsequent. Denn im unmittelbaren Herrschaftsbereich des Papstes hat die Idee vorstaatlicher Freiheitsrechte des Individuums keinen Sinn. Dies schließt es für den ersten Diener aller Diener Christi aber nicht aus, die ihm in den Lateranverträgen bestätigte "moralische und geistliche Macht" auch für Menschenrechtspropaganda und Durchsetzung seiner Sicht der Menschenwürde zu nutzen. Seine politischen Machtchancen, geschützt durch das Völkerrecht, nutzt er mit faszinierender Konsequenz dazu, in vielen anderen Staaten für sein römisch-katholisches Verständnis von gutem Leben und wahrem Recht zu werben.

Der nun von einigen Abgeordneten der Linken und der Grünen erhobene Vorwurf, ein Auftritt Benedikts XVI. im Bundestag verstoße gegen die religiös-weltanschauliche Neutralität des modernen Verfassungsstaates, ist insoweit nur naiv. Im Papsttum ist die für die Neutralitätsidee grundlegende Sphärentrennung von Weltlichem und Geistlichem immer schon aufgehoben, und indem die Bundesrepublik Deutschland wie einst auch Preußen und andere Staaten des Deutschen Bundes sowie später das Kaiserreich mit dem Heiligen Stuhl diplomatische Beziehungen pflegt, hat sie die Neutralitätsfiktion des Grundgesetzes von vornherein relativiert. Der Papst hat eben viele Körper, und zu seiner Einzigartigkeit gehört es, dass nur er darüber entscheidet, in welcher Körpersprache er gerade spricht und wahrgenommen zu werden wünscht.

Selbst wer nur seine geistlichen, darin immer auch politischen Aussagen kritisiert, greift zugleich auch ein auswärtiges Staatsoberhaupt an, das Oberhaupt eines theokratisch sich legitimierenden Glaubensstaates allerdings, das beansprucht, fortwährend in die inneren politischen Angelegenheiten aller anderen Staaten intervenieren zu dürfen. Benedikt XVI. fällt es zudem noch schwer, sich von seiner alten Professionsrolle als deutscher Theologieprofessor zu lösen. Aber die öffentliche Regression in dieses Gelehrtendasein, die im September 2006 an der Regensburger Universität inszeniert wurde und wegen eines peinlich verunglückten Zitates zu massiven religionspolitischen Konflikten mit Muslimen führte, kann beim Inhaber eines so vielfältig codierten Amtes nur misslingen.

Benedikt XVI. spricht immer als Papst, nie als Privatperson

Denn der "Heilige Vater" spricht immer als Papst in allen seinen Ämtern und Rollen, und er ist selbst in seiner "Papstfamilie" - ein Begriff des Kirchenrechts - keine Privatperson mehr. Fortwährend steht er unter dem Amtszwang, so "päpstlich wie der Papst" zu sein. Wohl in keinem anderen Amt dieser Welt tritt das Individuum so sehr hinter die Amtsperson zurück.

Benedikt aber versucht, sich einen Rest von individuellem Selbstsein und lebensgeschichtlicher Kontinuität mit dem einst VW-Golf fahrenden C4-Professor, Mitglied des Deutschen Hochschulverbandes, zu wahren. Damit kann er nur scheitern. Gerade deshalb sollte man den Muslimen nicht vorwerfen, sie könnten anders als die so aufgeklärten Christen zwischen Religiösem und Politischem nicht unterscheiden, und die nun einmal historisch gewachsene Vieldeutigkeit anerkennen, dass diese aufgeklärte und freiheitsdienliche Distinktion von Glaube und Welt in der mächtigsten Institution der lateinischen Christenheit glanzvoll außer Kraft gesetzt ist.

Der Autor lehrt evangelische Theologie an der Münchner Universität.

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