Panama:Auferstanden aus den Sümpfen

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Panama ist seit fünf Jahrhunderten ein Ort der wundersamen Geldvermehrung: Von hier aus wurde das Inka-Reich in Peru erobert und ein Großteil des Handels mit Raubgold, Silber und Sklaven abgewickelt. Über ein Land, das bis heute von aberwitzigen Geschäften lebt.

Von Sebastian Schoepp

Vasco Nuñez de Balboa war ein Säufer und Zocker, unwillig, in einem geregelten Leben Platz zu finden, obwohl er aus guter Familie stammte. Im Spanien der Conquista entsorgte man solche gescheiterten Existenzen gemeinhin in die Neue Welt, wo man für Habgier und Killerinstinkt Verwendung hatte. So segelte Nuñez de Balboa 1500 als einfacher Matrose in die Karibik, er versuchte sich in der Kolonie Hispaniola als Schweinezüchter, versoff sein Geld und türmte, versteckt in einer Holzkiste, auf einem Schiff, das die Gestade Mittelamerikas erkunden sollte.

So gelangte er in die Gegend, die heute Panama heißt. Die Wildnis stachelte seine Abenteuerlust an. Nuñez de Balboa brach eine Revolte gegen seinen Kommandeur vom Zaun, marschierte ins Landesinnere und erklomm dort eine Anhöhe. Von dem Berg aus sah er am 25. September 1513 als erster Europäer zwei Ozeane gleichzeitig, im Osten den Atlantik, im Westen den Pazifik, als dessen Entdecker er seitdem gilt. Stefan Zweig hat diesen Moment zu einer "Sternstunde der Menschheit" idealisiert.

Sein El Dorado fand Nuñez de Balboa an den Gestaden des Pazifik jedoch nicht, dafür aber als Aufrührer den Tod durch das Henkerschwert. An der Stelle, wo er den Pazifik in Besitz genommen hatte, bauten die Spanier eine Stadt, Nuestra Señora de la Asunción de Panamá. Vom ersten Moment an war sie Ort der wundersamen Geldvermehrung, Drehscheibe der Eroberungen, von hier aus wurde das Inkareich in Peru erobert, in Panama wurde ein Großteil des Handels mit Raubgold und Silber und Sklaven abgewickelt. Die Siedlung wurde regelmäßig von Freibeutern gebrandschatzt, weshalb von Panama La Vieja nicht mehr viel übrig ist als ein paar in der tropischen Sonne glühende, schimmelfleckige Ruinen im Schatten der Hochhäuser.

Die Entwicklung vom Piratennest und Dorado der Konquistadoren zum Finanzplatz, dessen schmutzige Geheimnisse sich in den Panama Papers verbergen, war eigentlich logisch; sie wurde begünstigt vom Standort an der Bruchlinie des Kontinents. Simón Bolívar wollte hier eine Hauptstadt Gesamtamerikas errichten, was ebenso scheiterte wie alle anderen Versuche, die Entwicklung in geordnete Bahnen zu lenken. Seine tropische Abundanz, die vulkanischen und politischen Beben, die Ränkespiele, die romantischen Irrungen, aber auch die Anmut der Landschaft und das Temperament der Menschen haben Panama stets in Unruhe gehalten und reich an Geschichten gemacht. Diese haben Literaten von Stefan Zweig über Graham Greene bis John le Carré inspiriert.

Als Land erfunden hat Panama zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein US-Amerikaner, Präsident Theodore Roosevelt. Er brauchte einen sicheren Ort für den interozeanischen Kanal, den US-Firmen bauten, nachdem das französische Suez-Konsortium am Fieber und der Unlust der Arbeiter gescheitert war, sich in der tropischen Hitze totzuarbeiten. Die Amerikaner holten Schwarze aus der Karibik, die mehr aushielten, weshalb Englisch in Panama neben Spanisch heute verbreitet ist.

Die Landbrücke zwischen Nord- und Südamerika, gehörte damals zu Kolumbien, das erschien Roosevelt zu instabil. Also erfand sein Geheimdienst eine Revolte panamaischer Freiheitskämpfer, welche die USA zu unterstützen beschlossen, bevor die Revolte überhaupt begann. Am 2. November 1903 landeten US-Truppen im karibischen Hafen Colón, am 6. November erkannten die USA eine Republik Panama an, die in Panama selbst kaum einer verlangt hatte. Sie umschloss eine Kanalzone, die unter US-Verwaltung blieb und das Land in zwei Teile teilte, die von Oligarchen wie ein Latifundium regiert wurden.

Graham Greene (l.) war fasziniert von Panama und seinem Herrscher, General Omar Torrijos (2. v. r.). Geprägt haben das Land außerdem der Eroberer Nuñez de Balboa, der Sänger Rubén Blades und Manuel Noriega (mit Sonnenbrille). Illustration: Peter M. Hoffmann (Foto: N/A)

Die Kanalzone blieb ein Fremdkörper, geschützt durch die Kanonen auf dem Causeway, alles ganz und gar USA, "fantasielos gebaute Häuser und gestutzte Rasenflächen, Asphaltstraße und tausend verlorene Golfbälle", wie Graham Greene schrieb. In der Kanalzone befand sich auch die School of the Americas, in der die USA spätere Diktatoren von Pinochet bis Videla in der Jagd auf Subversive schulten. Heute ist das ein Luxushotel, dessen Speisekarte auf der Rückseite mit den Namen der "ehrbaren" Schüler aufwartet. Doch das kümmert die meisten Gäste wenig, die sich hier unter riesigen Kapok-Bäumen an der Schönheit des Gatun-Sees erfreuen. Affen turnen durch die Bäume, Gürteltiere huschen über den Rasen.

Panama: Der Name habe für ihn eine Aura wie ein Piratenschiff gehabt, schrieb Graham Greene - ein Ort, an dem der Leichnam von Sir Francis Drake bei Portobelo ins Meer versenkt wurde. Als Greene das Land in den 1970er-Jahren besuchte, kam er in Erwartung eines "eher komischen Abenteuers", das aber damit endete, dass der Brite zum Freund eines der schillerndsten Machthaber der Epoche wurde, des Generals Omar Torrijos. Der hat Panama geprägt wie kein anderer, er wird weit mehr verehrt als Nuñez de Balboa, der immerhin der Währung den Namen gab, die allerdings nur auf Münzen existiert. Bezahlt wird sonst in Dollar.

Der General trank große Mengen Black Label, dann weinte er oder döste in den Armen einer jungen Geliebten ein

"Mein Freund, der General", heißt das Buch, das Greene über Torrijos schrieb. Es schildert, wie der General den USA den Kanal abschwatzte. Torrijos war der seltene Fall eines linken Militärherrschers. 1968 hatte er der Oligarchenclique die Macht entrissen. Greene beschreibt ihn als Patriarchen mit sozialer Gesinnung, der mit Bauern ebenso konnte wie mit US-Präsidenten. Er sei ein "Patriot und Idealist, der keiner formellen Ideologie anhing, außer dass er ganz allgemein eher links als rechts stand und Bürokraten verachtete". Er war befreundet mit Marschall Tito aus Jugoslawien und Fidel Castro aus Kuba, wollte nicht mit Chiles Diktator Pinochet auf Fotos, und ging hart gegen Oppositionelle vor.

Zu Zeiten der mittelamerikanischen Kriege der 1970er- und 80er-Jahre war Panama Zentrum der Verhandlungen, auf der Insel Contadora wurde um Frieden gerungen. Torrijos genoss diese Bedeutung, wenn seine Sympathien auch klar verteilt waren. Er unterstützte die linken Guerilleros, allerdings auf seine Weise: Nicaraguas Revolutionär und späterer Vizepräsident Sergio Ramírez erinnert sich, wie Torrijos einen Brillantring vom Finger streifte und ihm schenkte, damit er Waffen kaufen könne. Torrijos' Ziel blieb aber der Kanal. Mit den Einnahmen für die Schiffsdurchfahrten habe er soziale Pläne gehabt, schreibt Greene: Gratismilch für jedes Kind, Schulspeisung, Beseitigung der Slums von Colón, Waisenhäuser. Greene wusste, dass Torrijos ihn für Propagandazwecke benutzte, aber er ließ sich bereitwillig von ihm einwickeln. Der Schriftsteller flog 1977 als Teil einer panamaischen Delegation zu den Verhandlungen nach Washington, wo der General US-Präsident Jimmy Carter die Zusage abrang, den Kanal bis zum Jahr 2000 in panamaische Hände zu geben. Das sei Torrijos gelungen, weil er an der Hybris festgehalten habe, mit Carter von gleich zu gleich verhandeln zu können, schreibt Greene. Der General trank große Mengen Black Label, dann weinte er oder döste in den Armen einer jungen Geliebten ein. Ein grüblerischer Mann voller dunkler Todesahnungen, aber auch "von aufrichtiger Herzlichkeit, der sich nach Freundschaft ebenso begierig sehnte wie nach Büchern, als hätte er für beides nur noch wenig Zeit", schreibt Greene. Torrijos tropische Sozialdemokratie sei, so Greene, "ein romantischer Traum" gewesen. Dieser endete, wie noch jeder Traum Lateinamerikas, im Blut.

Am 1. August 1981 bestieg Torrijos ein Flugzeug, das kurz danach abstürzte. Der kanadische Hersteller fand am Wrack keinen technischen Fehler, weshalb pft gefolgert wurde, Torrijos sei ermordet worden - von der CIA, wie Greene andeutet. In der Tat hielt das US-Außenministerium Torrijos für einen "populistischen, sprunghaften, unberechenbaren Demagogen mit Schnapsflasche", wie ein Dokument vom 11. Juni 1980 feststellt. In seinem Bestseller "Confessions of an Economic Hitman" schreibt John Perkins, der General sei durch eine Bombe gestorben, die in einem Kassettenrekorder versteckt gewesen sei.

Ein Offizier aus anderem Holz, Manuel Noriega, genannt "das Narbengesicht", drängte sich als Nachfolger an die Macht. Ronald Reagan mochte ihn - so wie Carter Torrijos gemocht hatte. Noriega erwies sich aber nicht nur als Antikommunist, sondern auch als Gangster, der Panama zur Drehscheibe für kolumbianisches Kokain ausbauen wollte - bis die US-Army einschritt. Präsident George Bush senior ließ Noriega 1989 von der Macht entfernen, es war der letzte von vielen Eingriffen dieser Art in Lateinamerika, das Ende einer Epoche. Noriega versteckte sich in der päpstlichen Nuntiatur, aus der eine US-Abteilung für psychologische Kriegführung ihn durch Dauerbeschallung mit Heavy-Metal-Musik holte. Seitdem büßt Noriega im Gefängnis. John le Carré hat der Invasion den Roman "Der Schneider von Panama" gewidmet, konstruiert um den Schlüsselsatz: "Ein Mann, der die Wahrheit sagt, fliegt früher oder später auf."

(Foto: sz)

Nach Noriegas Ende kehrten die alten Eliten an die Macht zurück. Sie nahmen 1999 den Kanal in Empfang, den Bill Clinton vertragsgerecht zurückgab. Panama hatte plötzlich Milliardeneinnahmen, die es erlaubten, eine gewisse Stabilität zu schaffen. Aus den Mangroven wuchs die Megacity von Panama-Stadt empor, voll mit Kanzleien, Büros und Briefkastenfirmen. In der Zeit erfolgte der Ausbau zum Finanzplatz und Hafen der Steuervermeider im großen Stile, der vor der Ära Torrijos und Noriega begonnen hatte.

Die postkoloniale Oberschicht schuf ein passendes Umfeld dafür, in dem kaum Fragen gestellt werden. Die Clans wechseln sich an der Macht ab, mal ist ein Zuckerbaron Präsident, mal ein Supermarktmagnat. Gewählt wird demokratisch, am Prozedere ist meist nichts auszusetzen, an der Amtsführung dann schon. Sich im Ruhestand für Korruption verantworten zu müssen ist fast schon ein normales Präsidentenschicksal, es traf Mireya Mocoso (1999 bis 2004) genauso wie Ricardo Martinelli (2009 bis 2014). Manchmal stecken Clanzwists dahinter, so überwarf sich der jetzige Präsident Juan Carlos Varela mit seinem früheren Verbündeten Martinelli dermaßen, dass Letzterer ins Ausland flüchtete.

Auch der Name Torrijos tauchte wieder auf, in Gestalt von Omars Sohn Martín, ein ehemaliger McDonald's -Manager, der von 2004 bis 2009 Präsident war und das Erbe seines Vaters fortführte. Er hinterließ ein bescheidendes Sozialsystem und initiierte den Ausbau des Kanals, der für die Riesenschiffe verbreitert wurde, die heutzutage auf den Weltmeeren fahren. Ende Juni werden die neuen Schleusen eröffnet.

Martin Torrijos führte auch die volle Pressefreiheit ein. Nur ein strenger Paragraf, der vor übler Nachrede schützen soll, wird von Gerichten gerne gegen Journalisten ausgelegt, was Geldstrafen in einer Höhe nach sich zieht, die sich kein panamaischer Journalist leisten kann. Das erklärt, weshalb stets nur hinter vorgehaltener Hand kolportiert wird, wer hier noch so alles Geld waschen soll - von der kolumbianischen Farc bis zur Hisbollah.

"Respektiert Panama!", fordert nach der Enthüllungen der vergangenen Tage der bekannteste Musiker des Landes, Rubén Blades

Libanesische und palästinensische Einwanderer bilden mit den Abkömmlingen Deutscher, Spanier, Amerikaner, oder Russen die Elite; die Nachfahren der Ureinwohner und schwarzer Kanalarbeiter findet man eher in der Unterschicht. Den meisten geht es durch die Kanaleinnahmen und die Bautätigkeit besser als in den Nachbarländern. Deshalb beschwert sich auch kaum jemand über die Offshore-Geschäfte, die Panama Papers haben oft eher nationalistische Abwehrreaktionen provoziert.

So bat der bekannteste Kulturschaffende Panamas, der Salsamusiker und Ex-Minister Rubén Blades, auf Facebook, sein Land nicht mit einer dubiosen Anwaltskanzlei gleichzusetzen: "Wenn man wirklich gegen Offshore-Gesellschaften zur Steuervermeidung vorgehen wolle, müssten alle Länder der Welt dieses Modell verbieten. Ich bin sicher, wenn Panama dies vorschlagen würde, würde kein Land den Vorschlag annehmen"; dazu sei "zu viel Geld unter den Tischen" unterwegs. Mossack Fonseca habe ausgenutzt, dass viele der Geschäfte nicht verboten seien. Die Kanzlei repräsentiere aber nicht das Land. "Respektiert Panama!", fordert er.

Wer oder was aber repräsentiert Panama? Wohl alle zusammen: Rubén Blades ebenso wie Nuñez de Balboa, die Torrijos so wie Noriega, Mossack Fonseca ebenso wie der Rum Abuelo, den die Dynastie des Präsidenten Varela destilliert. Panama kann sogar ziemlich cool sein, vom Causeway aus kann man heute die Sykline betrachten, Ceviche essen und Reggaeton hören, den Beat, den das afrokaribische Völkergemisch erfand und der auf den Tanzflächen der Welt laszive Verzückungen auslöst. Panama, das ist das Land der Autos, die in fahrende Discos verwandelt wurden. Ihr Wummern übertönt das Gluckern der Sümpfe vor und unter der Stadt.

© SZ vom 26.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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