Palästinenser:Erstarrt in Ritualen

Der Nahost-Konflikt ist zur Farce verkommen. Eine Palästinenser-Elite spielt Staat, Israel besetzt, und die Vermittler betreiben ein lächerliches Geschäft. Er wird zu einer gewaltsamen Entladung kommen.

Von Peter Münch

Wer lernen will, wie Politik zur Farce verkommt, der sollte sich in die jüngere Geschichte Palästinas vertiefen. Die sogenannte Palästina-Frage, das nur zur Erinnerung, wartet noch immer auf ihre Beantwortung. Seit Jahrzehnten steht sie weit oben auf der geopolitischen Agenda, Generationen von US-Präsidenten haben sich an ihr abgearbeitet, und die unzähligen Debatten und Resolutionen bei den Vereinten Nationen vermitteln den Eindruck, dass von einer Einigung zwischen Israelis und Palästinensern das Wohl und Wehe der Welt abhängen könnte. Doch die Realität hat sich längst vom politischen Ritual gelöst. Denn Palästina droht zu einem gescheiterten Staat zu werden, bevor es überhaupt zum Staat geworden ist.

Offiziell wird das natürlich nirgends eingestanden. Die gut geölte Diplomatie-Maschinerie läuft einfach weiter, noch immer fließen Unmengen an Geld in die Lösung oder Linderung dieses Konflikts. Denn ein Scheitern will schon allein deshalb niemand eingestehen, weil die Schuld auf den Schultern aller Beteiligten lastet: Da ist Israel als routiniert rücksichtslose Besatzungsmacht; da sind Amerikaner und Europäer als halbherzige Vermittler; und natürlich sind da die Palästinenser selbst, die seit jeher mit ihren Führungsfiguren gestraft sind.

Den Beweis dafür liefert Präsident Mahmud Abbas alias Abu Mazen gerade wieder mit dem am Dienstag in Ramallah eröffneten Parteikongress seiner Fatah. Sieben Jahre liegt die letzte Versammlung schon zurück, nun wird das überfällige Ereignis als basisdemokratische Vorzeigeübung mit 1400 Delegierten und einer Neuwahl der Gremien inszeniert. Tatsächlich aber wird nur die Despoten-Dämmerung für kurze Zeit mit grellen Scheinwerfern aufgehellt. Wenn Abbas am Ende der fünftägigen Show gestärkt erscheint, ist das Ziel erreicht - aber nichts ist gelöst.

Der 81-jährige Abbas ist längst Geschichte, auch wenn er noch als Palästinenser-Präsident durch die Gegenwart geistert. Am Ende seiner Ära steht kein palästinensischer Staat, sondern ein palästinensisches Schisma: Der von der Hamas beherrschte Gazastreifen hat sich schon vor fast zehn Jahren vom Westjordanland gelöst. Nun droht obendrein noch die Spaltung der Fatah, weil Abbas mit seiner alten Garde von jüngeren Konkurrenten wie Mohammed Dahlan herausgefordert wird. Der greise Präsident hat in diesen Konflikten nicht nur die Unterstützung im eigenen Volk verloren. Fallen gelassen wird er auch von den arabischen Brüdern in Kairo, Riad oder in den Emiraten.

Abbas also ist grandios gescheitert. Letztlich aber hat er nur die Chance vertan, die er de facto gar nicht hatte. Denn der Staatsgründung wäre er wohl auch nicht näher gekommen, wenn er rund um Ramallah ein Musterländle erschaffen hätte. Das potenzielle Staatsgebiet wird schließlich seit fünf Jahrzehnten von Israel besetzt gehalten - und die Regierung in Jerusalem zeigt keinerlei Interesse mehr, daran etwas zu ändern. In der täglichen Praxis wird der Siedlungsbau vorangetrieben, und in Israels politischen Diskussionen geht es mittlerweile mehr um mögliche Annexionen im palästinensischen Westjordanland als um eine palästinensische Staatsgründung.

Der Nahost-Konflikt ist zur Farce geworden, es wird Gewalt geben

Wer diese verheerende Dynamik auf beiden Seiten des Konflikts nicht sieht, muss blind und taub sein - oder er ist ein sogenannter Friedensvermittler aus dem Westen. Die verfügen nämlich über die Fähigkeit, allen Widrigkeiten zum Trotz das ewig gleiche Programm abzuspulen. Solange noch einer die Fahne hochhält, auf der "Zwei-Staaten-Lösung" steht, sieht sich offenbar niemand zu einer neuen Standortbestimmung herausgefordert. Dabei wäre es längst an der Zeit, dass man in Washington, Brüssel und Berlin eine Position zur Ein-Staaten-Lösung entwickelt. Denn darauf läuft die derzeitige israelische Politik hinaus. Wie also will man dann umgehen mit einem Verbündeten, der die Rechte von Millionen Palästinensern mit den Füßen tritt und in Richtung eines Apartheidstaates abdriftet?

Die Bequemlichkeit, den Dingen ihren Lauf zu lassen, wird sich niemand mehr lange leisten können. Denn in den Palästinensergebieten hat sich ein enormer Druck aufgestaut. Als Vorbote der Entladung dürfen die Schießereien gelten, zu denen es bereits fast täglich rund um die Flüchtlingslager zwischen palästinensischen Sicherheitskräften und Milizen kommt. Das kann zum Bürgerkrieg eskalieren - und die Gewalt würde sich gewiss nicht nur auf das Westjordanland und den Gazastreifen konzentrieren, sondern schnell ein Ventil in Richtung Israel finden. Der israelische Militärgeheimdienst warnt bereits vor einer "Instabilität" im nächsten Jahr. Doch es droht viel mehr: eine neue blutige Phase im alten Konflikt.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: