Palästina-Wahl:Bewährung für Hamas

Nun schlägt die Stunde der Wahrheit. Als Mehrheitsfraktion im Parlament können sich die Islamisten der Regierungsverantwortung nicht entziehen. Die Islamisten sollten nun auf Gespräche statt auf Terror setzen.

Tomas Avenarius

Vor dem Hintergrund des erdrutsch-artigen Triumphs der Hamas bei der Parlamentswahl in den Palästinensergebieten klingt die Analyse von US-Präsident George W. Bush prophetisch. Wenn wir der Demokratie den Weg bahnen wollen, meinte Bush, "müssen wir akzeptieren, dass der Wahlsieger nicht immer unser Wunschpartner ist".

Unterstützter der radikalislamischen Hamas umarmen sich im Gaza-Streifen

Unterstützer der radikalislamischen Hamas umarmen sich im Gaza-Streifen

(Foto: Foto: AFP)

Die Islamisten mit ihren grünen Flaggen, dem Koran und der Kalaschnikow sind alles andere als Traumpartner der Israelis, der Amerikaner oder der Europäer: Sie sind das größte gemeinsam denkbare Übel für den Nahost-Friedensprozess.

Zumindest auf den ersten Blick. Auf den zweiten birgt der Erfolg der Hamas bei freien Wahlen eine Mischung aus Risiken, aber auch aus Chancen für eine Normalisierung. Schließlich hat sich einst auch die PLO von einer Terrorgruppe in eine berechenbare Kraft verwandelt.

Bisheriger Friedensprozess gescheitert

In jedem Fall bringt der spektakuläre Machtwechsel Bewegung in den Nahostprozess. Weshalb sich diejenigen zurückhalten sollten, die nun eilig jedes Gespräch mit den Palästinensern ablehnen.

Zuerst einmal zählen Fakten. Weit mehr als jeder zweite Palästinenser hat kein Vertrauen mehr in das "System Arafat" mit PLO und Fatah. Ein Jahr nach Jassir Arafats Tod setzen die Palästinenser auf neue Kräfte - und das sind die Islamisten. Für die Mehrheit der Menschen im Gaza-Streifen und im Westjordanland ist der bisherige Friedensprozess mit der Besatzungsmacht Israel gescheitert. Die PLO-Führung hat mit den Oslo-Verträgen auf Gespräche gesetzt.

Israel hat den Verhandlungsprozess mit dem Verweis auf den Terror eingefroren und schafft Fakten: Die Siedlungen in der Westbank werden ausgebaut, der Anti-Terror-Zaun dient nicht nur dem Schutz vor Selbstmordbombern, sondern auch der Landnahme und der Grenzziehung. Mit dem Rückzug aus Gaza und den geplanten Teilabzügen aus dem Westjordanland gibt Israel die Kontrolle über die Palästinensergebiete keineswegs auf.

Unter dem Strich ist für die Palästinenser in den letzten zehn Jahren also nicht viel herausgekommen. Israels Position hingegen ist im Einvernehmen mit der US-Regierung fast unverrückbar zementiert worden. Dies erklärt eine Seite des Erfolgs der "Islamischen Widerstandsorganisation" Hamas: Sie beharrt auf dem Recht zum Kampf gegen die Besatzer und setzt dabei skrupellos auf Terror, während die Fatah-Verhandler ansehen mussten, wie die Trennmauer wächst.

Bewährung für Hamas

Diese Wahl war aber ebenso eine innenpolitische Protestwahl: Gegen Chaos, gegen Korruption und politischen Stillstand. Unter der zerstrittenen Fatah bestimmten auf den Straßen die Militanten das Bild; Hilfsgelder aus den USA und Europa flossen nicht ins Wohnungs-, Bildungs- und Gesundheitssystem, sondern auf die Beiruter Privatkonten der Fatah-Funktionäre. Hamas steht bei den Wählern für eine "Politik der sauberen Hände", für soziales Engagement, für den Kampf gegen die skandalöse Fatah-Korruption.

Hamas-Aktivist

Kalaschnikow und Koran: Hamas-Aktivist

(Foto: Foto: AFP)

Um den Wahlsieg zu erklären, bedarf es noch eines dritten Punkts. Der Erfolg der "Grünen" spiegelt eine Tendenz in der arabischen Welt wider: die Politik wird islamisiert. Hamas war längst dominante Kraft; der Wahlsieg legitimiert diese außerparlamentarische Opposition, er bindet sie aber auch politisch ein. Wahlen in Ägypten, dem Irak und jetzt in Palästina haben gezeigt, dass das Modell der westlichen Demokratie akzeptiert wird - aber das schließt auch die Wahl islamistischer Parteien mit ein.

Für Hamas schlägt nun die Stunde der Wahrheit. Als Mehrheitsfraktion im Parlament können sich die Islamisten der Regierungsverantwortung nicht entziehen. Pragmatisch wie sie auch sind, werden sie sich mit einer Koalition behelfen, um Teile der Verantwortung von den eigenen Schultern zu nehmen. Im palästinensischen System liegt die Macht beim Präsidenten: Machmud Abbas gehört zur Fatah, mit seiner gedemütigten Partei im Rücken wird der schwache Präsident noch schwächer. Das könnte die Hamas zu unguten Manövern verleiten.

Wer regiert, legt sich fest

Genau das wäre falsch. Hamas soll jetzt volle Verantwortung übernehmen. Erst wenn die Islamisten die Karten auf den Tisch legen, wird sich ihr politisches Talent erweisen. Natürlich werden sie die palästinensische Gesellschaft islamisieren. Aber das haben viele Wähler gewollt. Wichtiger ist, dass Hamas die Frage des Umgangs mit Israel löst. ´

Wer in der Regierung sitzt, kann nicht hin und her wechseln zwischen Kabinettssitzung und Untergrundkrieg, zwischen Vertragsverhandlung und Terror. Wer regiert, legt sich fest. Terror ist für keine palästinensische Regierung eine Alternative, nicht einmal für Hamas: Die israelische Militärmacht ist zu überwältigend. Schon einmal wurde der Amtssitz des Palästinenserpräsidenten zerbombt. Wenn Hamas Regierungsverantwortung übernimmt, müssen die Islamisten am Ende das Gespräch suchen.

Für Israel könnte der Wahlsieg der Islamisten als Vorwand dienen, den Friedensprozess nun endgültig einzufrieren und nur noch einseitig Fakten zu schaffen: Das war die Linie Ariel Scharons, das könnte die Linie seiner Nachfolger bleiben. Damit würde der Nahost-Konflikt aber nur weiter angeheizt werden, und davon würde niemand profitieren.

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