Palästina:Die Macht der Siedler

Palästina: Jung und wütend: Hunderte radikale Siedler hatten sich in dem illegalen Außenposten verschanzt, um eine Räumung zu verhindern.

Jung und wütend: Hunderte radikale Siedler hatten sich in dem illegalen Außenposten verschanzt, um eine Räumung zu verhindern.

(Foto: Jack Guez/AFP)

Die Regierung ist ihr Freund: Der jüdische Außenposten Amona im Westjordanland wird trotzdem geräumt - aber nicht ganz.

Von Peter Münch, Tel Aviv

Die Barrikaden sind errichtet worden, die Autoreifen aufgestapelt, und von außen haben ein paar radikale Rabbis gern noch Öl ins Feuer gegossen: Amona müsse gerettet werden vor dem Abriss, das war die Losung, und notfalls sollte die Rettung mit Gewalt erzwungen werden. Hunderte radikale Siedler, jung und wütend zumeist, hatten sich in dem illegal errichteten Außenposten im Westjordanland verschanzt, um eine Räumung zu verhindern, für die Israels Oberstes Gericht dem Staat nur noch eine Frist bis zum 25. Dezember gegeben hatte. Doch in letzter Minute einigte sich die Regierung mit den Siedlern auf einen Kompromiss. Amona wird friedlich geräumt - und trotzdem fortbestehen. So wird das angedrohte Drama nun zum Lehrstück darüber, welche Macht die Siedler mittlerweile besitzen im jüdischen Staat und wie weit die Regierung bereit ist, sich selbst und das Recht zu verbiegen.

Die Amona-Saga spannt sich bereits über zwei Jahrzehnte. 1996 waren ein paar Einwohner der Siedlung Ofra auf eine nahe gelegene Hügelkuppe gezogen und hatten sich dort in Wohncontainern eingerichtet. Solche Außenposten, von denen es ungefähr 100 gibt im Westjordanland, sind auch nach israelischem Recht illegal - im Gegensatz zu den 120 regulären Siedlungen, die von der Regierung offiziell gefördert werden, obwohl sie völkerrechtswidrig sind. Bei Amona kommt noch erschwerend hinzu, dass die mittlerweile auf 40 kinderreiche Familien angewachsene Gemeinschaft sich auf palästinensischem Privatland angesiedelt hat. Als 2006 deshalb schon einmal neun Häuser geräumt wurden, kam es zu blutigen Schlachten zwischen Siedlern und Sicherheitskräften. Zurück blieben Hunderte Verletzte und ein gesellschaftliches Trauma. Seitdem ist Amona ein Symbol - für den Widerstand oder für den Wahnsinn, je nach Blickwinkel.

Jede Siedlerfamilie wird für die Unannehmlichkeiten entschädigt

Seit Jahren schon kämpfen die palästinensischen Grundbesitzer aus den umliegenden Dörfern mit Hilfe der israelischen Menschenrechtsorganisation Jesch Din - zu Deutsch: Es gibt ein Gesetz - für ihr Recht aufs Land. Gleichzeitig jedoch kämpfen die rechten Regierungen in Jerusalem gegen Gerichtsbescheide, die zur Räumung auffordern. Zahlreiche Fristen verstrichen, bis das Oberste Gericht vor zwei Jahren den 25. Dezember 2016 als endgültig letzten Räumungstermin festlegte. Erst wenige Wochen vor Ablauf begann zunächst gemächlich, dann zunehmend hektisch die Suche nach einer Lösung. Der Fall Amona wurde dabei zur Zerreißprobe für Benjamin Netanjahus rechts-religiöse Koalition.

Siedlerfreunde sind sie allesamt im Kabinett. Nun aber begann ein Wettlauf darum, wer sich dem Spruch des Obersten Gerichts zum Trotz als Retter von Amona profilieren könnte oder wer im Räumungsfall als Schuldiger dastünde. Die Nase vorn hatte dabei stets Erziehungsminister Naftali Bennett von der Siedlerpartei Jüdisches Heim, der nun auch Netanjahu in die nächtens ausgehandelte Lösung trieb. Demnach werden die Wohncontainer von 24 Familien auf ein nahe gelegenes Stück Land mit offiziell "unbekanntem Besitzer" verschoben. Die restlichen 16 Familien ziehen zunächst einmal in die Siedlung Ofra. Die Regierung übernimmt sämtliche Kosten, gibt noch ein paar weitere Neubauten als Zugabe und entschädigt Berichten zufolge jede Siedlerfamilie für die Unannehmlichkeiten mit mindestens 150 000 bis 200 000 Schekel, umgerechnet bis zu 50 000 Euro.

Mit 45 zu 25 Stimmen stimmten die Bewohner von Amona diesem mehrfach nachgebesserten Plan nun zu. Manche grummeln zwar, man sei gekauft worden. Bei der Verkündigung des Kompromisses gab es Buh-Rufe im Lager der Widerständler. Doch die Regierung in Jerusalem atmet hörbar auf. Netanjahu sagt, dieses durchaus großzügige Regierungsangebot sei "aus Liebe zu den Siedlungen" gemacht worden. Bennett jubelt, dass nun "hoffentlich die Ära der Siedlungsräumungen ebenso vorbei ist wie die dahinter stehende Idee von zwei Staaten". Er setzt jetzt auf "eine Ära der israelischen Souveränität in Judäa und Samaria" - so nennen die Siedler nach biblischem Vorbild das besetzte palästinensische Westjordanland. Selbst die Opposition zeigt sich erleichtert, dass eine gewaltsame Räumung verhindert wurde und dazu nicht einmal das Oberste Gericht ausgehebelt werden musste.

Mit solchem Rückenwind setzt die regierende Siedlerlobby nun im Parlament die Arbeit an einem Gesetz fort, das mit einem Strich all die bislang illegalen Siedlungen legalisieren soll. Mit einer solchen juristischen Frontbegradigung würden 4000 Wohneinheiten vor dem drohenden Abriss bewahrt. Palästinensische Landbesitzer sollen dem Gesetz zufolge entschädigt werden, sodass sie nicht mehr vor israelischen Gerichten klagen können. Der spaltende Kampf um Amona soll sich so bald nicht wiederholen.

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