Päpstliche Papiere:Der Papst, Amor und der Sex

In seinem Schreiben "Freude der Liebe" beharrt der Papst auf den Regeln der Kirche zu Ehe und Familie - und wirbt um Verständnis für jene, die anders leben wollen.

Von Matthias Drobinski

Es geht um Amor, die Liebe. Der Papst singt ihr hohes Lied. Zärtlichkeit, eine "gesunde Erotik" und Sexualität gehören zu einer guten Ehe, sagt Franziskus und empfiehlt allen Katholiken: "Es ist gut, den Morgen immer mit einem Kuss zu beginnen." Er betont den Wert des Gewissens in Liebesdingen und Ehefragen. Seine Priester und Bischöfe ermahnt er, sie dürften Geschiedene oder Paare ohne Trauschein nicht ausschließen. Es reiche nicht, "nur moralische Gesetze anzuwenden, als seien es Felsblöcke, die man auf das Leben von Menschen wirft".

So gesehen kann das nun veröffentlichte Papst-Schreiben "Amoris Laetitia" über die "Freude der Liebe" tatsächlich eine Wende im schwierigen und manchmal durchaus verklemmten Verhältnis der katholischen Kirche zur Sexualität sein, wie der Wiener Theologe Paul Zulehner euphorisch sagt. Auf jeden Fall aber öffnet Franziskus mit dem fast 200 Seiten langen Text die Türen in seiner Kirche, zumindest einen Spalt breit. Wie weit, das müssen nun auch die Bischöfe entscheiden. "Nicht alle Diskussionen", schreibt der Papst, müssten "durch ein lehramtliches Eingreifen entschieden werden"; in jedem Land und jeder Region könnten Lösungen gefunden werden, "welche die örtlichen Traditionen und Herausforderungen berücksichtigen".

Anlass des Schreibens ist ein konfliktreicher Prozess: Nach seiner Wahl hatte Franziskus die Bischöfe der Welt eingeladen, auf zwei Synoden über Ehe, Familie und Sexualität zu diskutieren. Er hatte die Gläubigen aufgefordert, sich an einer Umfrage zum Thema zu beteiligen - die hatte gezeigt, wie tief mittlerweile der Graben ist zwischen der Lehre der katholischen Kirche und der Praxis ihrer Gläubigen. Die Bischöfe aber hatten sich bei ihren Treffen 2014 und 2015 nicht auf konkrete Reformen einigen können. Eine konservative Sperrminorität sorgte dafür, dass die Abschlusserklärung im Oktober 2015 ein Kompromisspapier blieb.

Der Papst wirft nun nicht die Lehre der Kirche über den Haufen, im Gegenteil. Auch für ihn ist die Ehe unauflöslich, besteht aus der Verbindung von Mann und Frau und ist offen für Kinder; nur hier ist der richtige Ort der Sexualität. Aufgabe der Kirche sei es, diese Ehe besser zu begleiten, zu verteidigen und zu festigen. Und wer gehofft hat, dass Franziskus irgendetwas an dieser Lehre oder konkret am Kirchenrecht ändert, der dürfte enttäuscht sein. Franziskus sieht sich an die strengen Lehraussagen seiner Vorgänger gebunden. So bleiben Geschiedene, die wieder geheiratet haben, in der Regel von den Sakramenten ausgeschlossen. Sie sollen sich "nicht exkommuniziert fühlen", betont der Papst. Allerdings dürfe man keine neue "gesetzliche Regelung" erwarten. Franziskus verweist stattdessen auf die Erleichterung der Ehe-Annullierungsverfahren, die er in die Wege geleitet hat.

Scharf erteilt der Papst zudem der Anerkennung homosexueller Lebenspartnerschaften eine Absage. Zwar solle "jeder Mensch, unabhängig von seiner sexuellen Orientierung, in seiner Würde geachtet und mit Respekt aufgenommen werden" - doch gebe es "keinerlei Fundament dafür, zwischen den homosexuellen Lebensgemeinschaften und dem Plan Gottes über Ehe und Familie Analogien herzustellen, auch nicht in einem weiteren Sinn".

Insgesamt stellt Franziskus aber deutlich stärker als die Bischofssynode den Einzelfall ins Zentrum seiner Betrachtungen, über den man nicht in "kalter Schreibtischmoral" urteilen solle, sondern in "barmherziger Liebe" - manchmal liest sich der Text wie ein Beziehungs- und Seelsorge-Ratgeber. Und immer wieder finden sich überraschende Stellen. So heißt es über Geschiedene, die wieder geheiratet haben, ein "Gespräch mit dem Priester im forum internum" könne "helfen, Wege zu finden" zu einer "volleren Teilnahme am Leben der Kirche" - das eröffnet viele Möglichkeiten. "Niemand darf auf ewig verurteilt werden", betont der Papst. Das gelte auch für Paare, die ohne kirchliche Heirat zusammenleben.

Aufhorchen lässt auch, dass "Amoris Laetitia" zwar katholischen Paaren natürliche Verhütungsmethoden empfiehlt, wie 1968 die Enzyklika Humanae Vitae, nicht aber das dort ausgesprochene Verbot von künstlichen Mitteln wie Pille oder Kondom wiederholt. Explizit verteidigt Franziskus den Feminismus. Er beklagt, wie wenig Ahnung oft Priester von Ehe und Familie hätten, und kritisiert die "bequeme Einsamkeit", in die sie sich oft flüchteten.

"Es ist ein wirkliches Reformschreiben", sagt der Theologe Wolfgang Beinert; Franziskus höhle "den legalistischen, kasuistischen Geist des Kirchenrechts von innen her aus", wie man "ein Haus innen entkernt und neu baut". Selbst die Reformbewegung "Wir sind Kirche" spricht von einer Wende - nun müssten die Bischöfe sie mutig umsetzen. Und die deutschen Bischöfe? Man sei für das Schreiben "überaus dankbar", sagt der Bischofskonferenzvorsitzende und Münchner Kardinal Reinhard Marx. Und werde sich "bemühen, die Anregungen und Impulse umzusetzen". In der Kirche hat die Debatte begonnen, die Debatte über die Liebe.

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