Osteuropa:Im Namen der Harmonie

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Brüssel will Ländern, die sich weigern, Flüchtlinge aufzunehmen, die Mittel kürzen – eine syrische Familie am Grenzzaun Ungarns zu Serbien. (Foto: Zuma Press/imago)

Warum Länder wie Polen oder Ungarn Klagen über ihre mangelnde Solidarität innerhalb der Union für ganz und gar unberechtigt halten.

Von Daniel Brössler

Den Staaten Mittelosteuropas wird gelegentlich vorgeworfen, es mit dem Regelwerk der EU nicht so genau zu nehmen. Es ist daher sicher kein Zufall, dass die Visegrád-Staaten sich kürzlich in einem Papier ausdrücklich auf die EU-Verträge berufen haben. Auf Artikel 174 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union, um genau zu sein. "Die Union setzt sich insbesondere zum Ziel, die Unterschiede im Entwicklungsstand der verschiedenen Regionen und den Rückstand der am stärksten benachteiligten Gebiete zu verringern", ist da zu lesen. Die Milliarden, die Jahr für Jahr nicht zuletzt in den Osten der Union fließen, sind in der Tat keine milden Gaben, sondern dienen einem Zweck, dem sich die EU vertraglich verschrieben hat. Diese sogenannte Kohäsionspolitik soll eine "harmonische Entwicklung der Union als Ganzes" fördern.

Mit der Harmonie freilich war es in der EU zuletzt nicht weit her. Die Visegrád-Staaten Polen, Tschechien, Ungarn und die Slowakei stehen im Mittelpunkt gleich zweier großer Konflikte, die die EU zu spalten drohen. Zum einen machen sie Front gegen jeden noch so begrenzten Mechanismus zur Verteilung von Flüchtlingen in der EU. Damit setzen sie sich dem Vorwurf aus, mit dem Begriff der Solidarität selektiv umzugehen. Zum anderen wird nach Einschätzung der EU-Kommission der Rechtsstaat mindestens in Polen ausgehöhlt. Weil sie dort Grundwerte der EU in Gefahr sieht, hat sie erstmals ein Verfahren nach Artikel 7 des EU-Vertrages angestoßen.

Heftige Konflikte gibt es immer wieder auch mit dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán, dessen nationalistische Rhetorik sich bevorzugt gegen "Brüssel" richtet. Nicht nur dort, auch in Berlin oder Paris wird deshalb zunehmend auf den Widerspruch verwiesen, dass die schärfsten Kritiker der EU finanziell am meisten von ihr profitieren. Polen steht da in absoluten Zahlen auf Platz eins, das relativ kleine Ungarn auf Platz vier.

In manchen Regionen im Osten gibt es ein echtes Wirtschaftswunder

Die östlichen EU-Staaten machen allerdings eine Gegenrechnung auf. Die Kohäsionspolitik sei eines "der wichtigsten und erfolgreichsten Instrumente" zur Förderung des Binnenmarktes, heißt es im Papier der Visegrád-Gruppe. Sie trage dazu bei, die globale Wettbewerbsfähigkeit der "Union als Ganzes" zu stärken. Nicht von der Hand zu weisen ist, dass die EU-Mittel in einigen östlichen Regionen zu einem regelrechten Wirtschaftswunder beigetragen haben - zum Nutzen nicht zuletzt deutscher Konzerne, die dort günstige Produktionsbedingungen und einen lukrativen Absatzmarkt vorfinden.

"Wir müssen uns von der alten Logik verabschieden, die zwischen Nettozahlern und Nettoempfängern unterscheidet", fordert denn auch der rumänische EU-Abgeordnete und Sprecher der christdemokratischen Europäischen Volkspartei (EVP), Siegfried Mureșan. Als Anreiz für Strukturreformen befürworte er eine "positive Konditionierung". Von Kürzungen etwa wegen rechtsstaatlicher Defizite aber rät er ab und verweist auf Rumänien, wo es gegen die Regierung Massendemonstrationen gebe. "Die Menschen gehen mit EU-Flaggen für Demokratie, den Rechtsstaat und den Kampf gegen die Korruption auf die Straße", sagt Mureșan. Sie dürften nicht bestraft werden für die Fehler ihrer Regierung.

© SZ vom 25.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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