Ostasien:China rüstet sich

Amerikas Falken fürchten um die militärische Vorherrschaft in Asien: Peking setzt zunehmend auf Waffen mit großer Reichweite und will damit vor allem die USA abschrecken.

Angela Köckritz

Auf den ersten Blick macht die sagenumwobene Varyag nicht viel her. Ein alter Flugzeugträger aus der Ukraine, der seit Jahren im Hafen der chinesischen Stadt Dalian dümpelt. Und doch hält die Varyag Geheimdienstler und Verteidigungsexperten weltweit in Atem. Ein schwimmendes Casino sollte sie werden, die Reichen und Schönen in den Hafen von Macao locken.

Das behauptete zumindest das Tourismusunternehmen Chong Lot in Macao, welches das halb fertige Schiff für 20 Millionen Dollar kaufte. Als die Varyag im Jahr 2002 in Dalian anlegte, 2000 Kilometer von Macao entfernt, war die Firma mysteriöserweise verschwunden. Kein Wunder, meinen einige Experten, schließlich wolle die chinesische Regierung mit Hilfe der Varyag ein eigenes Flugzeugträgerprogramm entwickeln. Andere wiederum halten das für unwahrscheinlich und auch Peking streitet die Pläne ab.

Kurze Arme, schwache Beine

Chinas Verteidigungsprogramm ist wenig transparent und lässt viel Raum für Spekulationen - oder für politisch motivierte Verdächtigungen, die oft von amerikanischen Falken stammen. Das beginnt mit dem Budget. Die chinesische Regierung gab im vergangenen Jahr nach eigenen Angaben 29,9 Milliarden Dollar für Verteidigung aus, das Stockholm International Peace Research Institute (Sipri) schätzte dieses Budget auf 35 Milliarden. Tatsächlich sei der Etat dreimal so hoch, behauptet hingegen das US-Verteidigungsministerium, das 419,3 Milliarden Dollar im Jahr 2005 ausgab.

Sicher ist: China rüstet auf, langsam und kontinuierlich. Schon in den achtziger Jahren erkannte die Führung, dass ihre Armee mit vier Millionen Soldaten zwar sehr groß, aber nicht unbedingt auf der Höhe der Zeit war. Sie habe "kurze Arme und schwache Beine" bemängelte ein General. Jahrzehntelang hatte China eine Invasion der Sowjetunion befürchtet und auf Bodentruppen im Landesinneren gesetzt. Mit dem Zusammenbruch des Sowjetreichs änderte sich Chinas Strategie.

Die Armee müsse für "lokale Kriege unter hochtechnologischen Bedingungen" gerüstet sein, forderte die Führung. Der Fokus verlagerte sich auf die Küsten und das Meer: Taiwan zum Beispiel oder aber die von China und Vietnam beanspruchten Spratly-Inseln. Peking reduzierte die Truppenstärke auf 2,25 Millionen und setzt auf mobile und gut vernetzte Sondereinsatztruppen sowie technologisch ausgefeilte Waffensysteme.

Die Technologie kommt vor allem aus Russland, was einige Russen mit Sorge sehen. "Sie fürchten, dass sich die Machtverhältnisse zu Gunsten Chinas verschieben werden", sagt Adam Ward, Direktor des International Institute for Strategic Studies in Washington. Doch ist die russische Industrie auf die Devisen aus China angewiesen. Zum Teil stammt die Technologie auch aus dem Westen - trotz des Waffenembargos, das die USA und Europa nach dem Massaker auf dem Tiananmen-Platz 1989 verhängten.

"Mit Ausnahme von Sprengstoffen und bestimmter Software kann heute beinahe alles als Dual-Use-Technologie verkauft werden", sagt Simon Wezeman, Sipri-Experte für Waffenhandel. Als Technologie also, die sowohl für militärische als auch für zivile Zwecke verwendet werden kann. So ähneln Programme, die für Computerspiele verwendet werden, mittlerweile denen von Flugsimulatoren. Eine Überwachung sei kaum möglich, meint Wezeman: "Jede Firma, die hochwertige Technologie verkauft, liefert unter Umständen militärische Macht."

Was aber will China mit seiner Armee? Nichts als den Frieden, meint die Führung. Denn "der Geist des chinesischen Volkes war immer vom Streben nach Frieden und Harmonie geprägt", so steht es im "Weißbuch über den Friedlichen Weg", das Peking im vergangenen Jahr anstelle des "Weißbuchs der Nationalen Verteidigung" veröffentlichte. Soweit die Propaganda, der vor allem die Menschen auf Taiwan nicht allzu viel Glauben schenken dürften. China hat unzählige Male gedroht, die Insel mit Gewalt einzunehmen, falls die Taiwanesen es wagen sollten, sich unabhängig zu erklären.

Gefahren im Inland

Eigentlich aber möchte China keinen Krieg führen. Das Land ist vorerst mit sich selbst und seinen Reformen beschäftigt und benötigt daher ein friedliches internationales Umfeld. "Ohnehin sieht die Führung die größte Bedrohung nicht im Ausland, sondern in China selbst. Denn die wachsende soziale Ungleichheit gefährdet die innere Stabilität", sagt Jingdong Yuan, Direktor der East Asia Nonproliferation Studies am Institute of International Studies in Monterey. Seit ein paar Jahren bemüht sich Peking um gute Nachbarschaft: Die Regierung schließt Partnerschaftsverträge ab, vermittelt im Streit um Nordkoreas Atomprogramm und versöhnte sich selbst mit langjährigen Erzfeinden wie Indien.

China rüstet sich

Habt keine Angst vor einem wachsenden China, lautet die Botschaft. Peking will verhindern, dass die USA Allianzen mit Nachbarstaaten schließen, um Chinas Einfluss in der Region einzudämmen. Das jüngste Atom-Abkommen der USA mit Indien etwa beobachtet Peking mit Sorge. "Die USA bleiben im Zentrum der strategischen Überlegungen Chinas", sagt Tang Shiping, leitender Wissenschaftler am Institute of Defense and Strategic Studies in Singapur. China vermeidet es, die überlegene Supermacht unnötig zu provozieren, wenngleich ihr deren Allüren nach wie vor missfallen. Doch die Interessenskonflikte der beiden Staaten sind deutlich zu erkennen. Das gilt vor allem für Taiwan.

Die USA haben den Taiwanesen versprochen, ihnen im Fall einer chinesischen Invasion beizustehen. "Die USA sind eine militärische Supermacht und China weiß, dass es keine Chance hat, sie zu besiegen", sagt Yuan. "Peking setzt daher auf Abschreckung, damit es sich die USA zweimal überlegen, ob sie in den Konflikt eingreifen." Zum Beispiel mit den neuen nuklearbetriebenen U-Booten 094 der Jin-Klasse, die mit den Atomraketen Julang-2 bestückt werden können. China hofft, mit der neuen U-Bootklasse die Fehler der Vorläufergeneration Xia ausräumen zu können - diese Boote waren viel zu laut.

"Eine knifflige Aufgabe"

China kann auch mit den neuen Langstreckenraketen Dongfeng 31 und Dongfeng 31 A drohen, die wesentlich schneller zum Einsatz kommen können als die alten Modelle. DF 31 kann einen Atomsprengkopf 8000 Kilometer weit tragen, DF 31 A kommt auf eine Reichweite von 12.000 Kilometern. Experten sind sich einig, dass China nur über sehr wenige Langstreckenraketen verfügt, sie dienen lediglich dazu, mögliche Feinde vor einem Angriff auf China abzuschrecken. "In den letzten Jahren hat sich Chinas Waffenprogramm graduell von einer regionalen Perspektive hin zu größeren Systemen verschoben", meint Wezeman. Die Zukunft von Chinas Raketenprogramm hängt stark von Amerikas Plänen eines Raketenabwehrsystems ab. Von Bedeutung sind aber auch die chinesisch-amerikanischen Beziehungen.

Abgesehen von Taiwan geht es generell um den wachsenden Einfluss Chinas in Asien. Falken in den USA sehen bereits die "gelbe Gefahr" heraufziehen und warnen davor, dass Chinas Gewinne auf Kosten der USA gingen. Derartige Aussagen wecken wiederum die Aversionen der US-Kritiker in China. China und die USA müssten lernen, sich in Asien zu arrangieren, meint hingegen Tang. "Wenn China sich besser in die Region integriert und zur regionalen Stabilität beiträgt, wird das den Interessen der USA sehr viel mehr dienen als wenn es ein Ausgestoßener bleibt." China wiederum müsse die USA überzeugen, dass sein wachsender Einfluss nicht zu Lasten Amerikas gehe. "Eine sehr knifflige Aufgabe", sagt Tang, der lange für den staatlichen chinesischen Think Tank CASS tätig war. "Aber sie ist nicht unmöglich."

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