Oskar Lafontaine im Interview:"Wir regieren aus der Opposition heraus"

Klartext von Oskar Lafontaine: Der Linken-Parteichef spricht von einer möglichen Wahlunterstützung für Gesine Schwan und erklärt, warum er zugleich für Steuersenkungen und Steuererhöhungen ist.

Thorsten Denkler, Berlin

sueddeutsche.de: Herr Lafontaine, im kommenden Jahr wollen Sie Ministerpräsident im Saarland werden. Was wird Ihre erste Amtshandlung sein?

Oskar Lafontaine die linke  dpa

Oskar Lafontaine: "Die Linke will die deutsche Politik verändern, insbesondere die Politik der Umverteilung von unten nach oben, die in den letzen Jahren vor allem die Familien ärmer werden ließ."

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Oskar Lafontaine: (lacht) Meine erste Amtshandlung? Die Studiengebühren werden gestrichen.

sueddeutsche.de: Ist es aus Ihrer Sicht ein realistisches Ziel, Ministerpräsident zu werden? Die FDP ist mit ähnlichen Träumerein ja kläglich gescheitert.

Lafontaine: Wenn wir bei den Wahlen im Saarland oder Thüringen oder Brandenburg so abschneiden, wie Umfragen vorhersagen, werden wir eine Regierung bilden.

sueddeutsche.de: Sie bräuchten dafür einen Koalitionspartner. Die SPD hat abgewunken. Oder sehen Sie etwa absolute Mehrheiten auf die Linke zukommen?

Lafontaine: Wir sind Realisten. Das ist die Grundlage unseres Erfolges. Wenn die SPD weiter an der Seite der CDU verhungern will, ist das ihre Sache.

sueddeutsche.de: In Talkshows sind Sie kaum mehr gefordert, weil alle anderen Ihnen inzwischen nach dem Mund reden. Eine Genugtuung?

Lafontaine: Die Linke will die deutsche Politik verändern, insbesondere die Politik der Umverteilung von unten nach oben, die in den letzen Jahren vor allem die Familien ärmer werden ließ. Daher freuen wir uns, dass langsam ein Umdenken in den anderen Parteien einsetzt. Wichtig sind aber nicht Presseerklärungen, sondern Beschlüsse des Deutschen Bundestages. Da ist bisher relativ wenig passiert.

sueddeutsche.de: Sie haben mal gesagt, Sie regierten aus der Opposition heraus. Diese Einschätzung scheint dann doch nicht zu stimmen.

Lafontaine: Das Wort regieren kommt vom lateinischen Wort regere, lenken. Meinungsforscher und Kommentatoren sagen, die Linke verändere die Politik der anderen Parteien. Wir regieren aus der Opposition heraus.

sueddeutsche.de: Steht eigentlich Ihr Angebot noch, Herrn Beck zum Kanzler zu wählen?

Lafontaine: Selbstverständlich. Für uns geht es darum, den gesetzlichen Mindestlohn endlich umzusetzen, Hartz IV aufzuheben, die Rente wieder armutsfest zu machen und die Verwicklung Deutschlands in völkerrechtswidrige Kriege beispielsweise in Afghanistan zu beenden. Wenn Beck diese Bedingungen erfüllt, ist er morgen Kanzler.

sueddeutsche.de: Da können Sie lange warten. Das sind fast alles Ausschlusskriterien für die SPD, die Sie da nennen.

Lafontaine: Beim Mindestlohn hat die SPD unsere Forderungen übernommen, bei Hartz IV haben sich SPD und Grüne verschämt von ihren alten Beschlüssen abgewandt. Die jetzige Rentenformel ist nicht zu halten. Das hat zumindest die CDU in Nordrhein-Westfalen erkannt. Und der Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan ist nur eine Frage der Zeit.

"Wir regieren aus der Opposition heraus"

sueddeutsche.de: Wenn Sie Beck wählen würden, dann könnten Sie doch eigentlich auch helfen, Gesine Schwan zur Bundespräsidentin zu machen, falls die SPD sie gegen Köhler antreten lässt.

Oskar Lafontaine im Interview: "Bei der letzten Bundespräsidentenwahl hat die ehemalige PDS Gesine Schwan unterstützt."

"Bei der letzten Bundespräsidentenwahl hat die ehemalige PDS Gesine Schwan unterstützt."

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Lafontaine: Die Linke wird ihre Haltung dazu nach der Landtagswahl in Bayern festlegen, wenn die Mehrheitsverhältnisse in der Bundesversammlung klar sind und wir wissen, welche Kandidaten sich zur Wahl stellen.

sueddeutsche.de: Könnten Sie sich denn vorstellen, einen SPD-Kandidaten zu unterstützen?

Lafontaine: Bei der letzten Bundespräsidentenwahl hat die ehemalige PDS Gesine Schwan unterstützt.

sueddeutsche.de: Am Wochenende kommt die Linke zu ihrem ersten Parteitag nach der Neugründung zusammen. Er beginnt direkt damit, dass Sie mit Katina Schubert eine stellvertretende Vorsitzende verlieren. Sie hat mit Kritik an Ihrer Person nie hinterm Berg gehalten und fordert statt Populismus mehr Realitätsfestigkeit.

Lafontaine: Ich habe in den vergangenen 25 Jahren als Bürgermeister, Ministerpräsident und als Finanzminister Politik gemacht, die nach dem Urteil der Wählerinnen und Wähler realitätsfest war.

sueddeutsche.de: Tatsächlich fordern Sie Steuererleichterungen und Rentenerhöhungen in einem nie dagewesenen Umfang. Wollen Sie es machen wie die CSU, die ihr "Mehr Netto vom Brutto"-Programm mit möglichen künftigen Mehreinnahmen finanzieren will?

Lafontaine: Es stimmt schlicht nicht, dass kein Geld da ist. Die durchschnittliche Steuern- und Abgabenenquote liegt in Europa bei 40 Prozent. In Deutschland liegt sie bei 35 Prozent. Wenn wir Deutschland auf das europäische Niveau anheben, würde das Mehreinnahmen in den öffentlichen Kassen von 120 Milliarden Euro bedeuten.

sueddeutsche.de: Dann ist die Linke gar keine Steuersenkungspartei?

Lafontaine: Wir sind für Steuersenkungen und Steuererhöhungen. Sonst wären wir keine linke Partei. Wir sind für Steuersenkungen bei Arbeitnehmern und kleinen und mittleren Betrieben. Die werden mit dem sogenannten Steuerbauch in der Einkommenssteuer ungerechterweise zu stark belastet.

Wir haben auch einen Antrag im Bundestag gestellt, die heimliche Steuerprogression, die durch die Preissteigerung verursacht wird, durch einen gleitenden Steuertarif auszuschließen. Auch dieser Vorschlag wurde von den anderen Parteien abgelehnt. Wir wollen darüber hinaus die degressive Abschreibung wieder einführen, um investierende Unternehmen zu belohnen.

sueddeutsche.de: Und woher wollen Sie es nehmen?

Lafontaine: Wir stehen für eine höhere Erbschaftssteuer, für die Wiedereinführung der Vermögenssteuer, für eine Börsenumsatzsteuer und für einen höheren Spitzensteuersatz.

"Wir regieren aus der Opposition heraus"

Oskar Lafontaine im Interview: "Jetzt geht es darum, Menschen mit sehr niedrigem Einkommen die Mobilität zu erhalten."

"Jetzt geht es darum, Menschen mit sehr niedrigem Einkommen die Mobilität zu erhalten."

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sueddeutsche.de: Das wird kaum die horrenden Milliardensummen in die Kasse bringen, die Sie brauchen, um sämtliche Ihrer Wahlversprechen bezahlen zu können.

Lafontaine: Das ist falsch. Würden wir die deutsche Vermögens- und Gewinnbesteuerung auf den OECD-Durchschnitt anheben, den Spitzensteuersatz der Regierung Kohl wieder einführen und die Börsenumsatzsteuer erheben, dann ist genug Geld da.

sueddeutsche.de: Die Pendlerpauschale, die Sie auch zurückwollen, ist ja nicht nur eine Geldfrage. Umweltverbände verurteilen sie seit Jahren als Zersiedlungssubvention, die den Flächenverbrauch unnötig fördert. Zählen solche Umweltargumente nicht?

Lafontaine: Das Argument gilt, tritt aber mit der gegenwärtigen Preisentwicklung beim Benzin in den Hintergrund. Jetzt geht es darum, Menschen mit sehr niedrigem Einkommen die Mobilität zu erhalten. Besser wäre es natürlich, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ordentlich zu bezahlen und die Lohnquote wieder auf das Jahr 2000 anzuheben. Dann hätten die Arbeitnehmer 135 Milliarden mehr Lohn.

sueddeutsche.de: Die Pendlerpauschale ist für Mini-Jobber doch ein Nullsummenspiel. Sie zahlen keine Steuern, darum haben sie auch nichts von einer steuerfreien Pendlerpauschale.

Lafontaine: Darum plädieren wir für einen Umbau der Pendlerpauschale. Keinen Steuernachlass mehr, stattdessen muss es hier zu direkten Zuschüssen kommen.

sueddeutsche.de: Dennoch würden viele profitieren, die dank hoher Einkommen gar nicht auf die Pendlerpauschale angewiesen wären. Denen finanziert der Staat den Weg von der Arbeit ins schmucke Häuschen auf dem Land.

Lafontaine: Die Pendlerpauschale kommt vor allem den Beziehern mittlerer Einkommen zugute. Wenn man sich daran stört, dass auch sehr gut Verdienende davon profitieren, dann hilft da ein ordentlicher Spitzensteuersatz, wie die Linke ihn fordert.

sueddeutsche.de: Sie wurden in der Vergangenheit oft als Napoleon von der Saar karikiert. Jetzt haben Sie sich faktisch eine eigene Partei zugelegt. Braucht die Linke diese One-Man-Show, um erfolgreich zu sein?

Lafontaine: Die Linke wird ebenso repräsentiert durch Lothar Bisky, durch Gregor Gysi und durch eine ganze Reihe prominenter Politikerinnen und Politiker.

sueddeutsche.de: Das würde FDP-Chef Guido Westerwelle jetzt auch machen, auf die zweiten Geigen verweisen.

Lafontaine: Mag sein, aber Herr Westerwelle ist Partei- und Fraktionsvorsitzender in einer Person. Gregor Gysi und ich, wir teilen uns den Fraktionsvorsitz und Lothar Bisky und ich teilen uns den Parteivorsitz.

sueddeutsche.de: In der SPD regt sich Wiederstand gegen die von der großen Koalition angestrebte Diätenerhöhung. Auch da: Sie geben die Linie vor, die SPD folgt. Sie gönnen der SPD auch gar nichts.

Lafontaine: Wenn man den Rentnern noch nicht einmal einen Inflationsausgleich gewährt und die Arbeitnehmer seit Jahren einen Kaufkraftverlust hinnehmen müssen, ist die vorgesehene Diätenerhöhung schlicht ein Verstoß gegen den menschlichen Anstand.

sueddeutsche.de: Was machen Sie mit dem Geld, wenn sich die Kritiker in der SPD nicht durchsetzen können?

Lafontaine: Wir haben schon die letzte Diätenerhöhung für soziale Zwecke gespendet. Das würden wir auch im Falle einer weiteren Diätenerhöhung so halten.

sueddeutsche.de: Sozialer Zweck, das heißt in Ihrem Fall, Sie spenden es wieder an den wohltätigen Verein Ihrer Frau Christa Müller?

Lafontaine: Die Kritik daran ist schlicht kleinkariert. Wenn ein Verein gegen die Beschneidung afrikanischer Mädchen kämpft und damit umfassenden Erfolg hat, ist es kein Makel, wenn meine Frau dort mitwirkt.

sueddeutsche.de: Ist Ihnen eigentlich bewusst, dass Sie etwas sehr mit Kurt Beck gemeinsam haben?

Lafontaine: Sicher nicht den Bart.

sueddeutsche.de: Nein. Sie sind genauso unbeliebt wie Kurt Beck.

Lafontaine: Angesichts der Tatsache, dass alle anderen Parteien und die meisten Medien uns bekämpfen, bin ich mit meinem Beliebtheitsgrad und unseren Wahlaussichten mehr als zufrieden.

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