Oskar Lafontaine:Allein gegen alle

Oskar Lafontaine sieht sich gerne als Weltökonom - und hat damit immer wieder Unheil angerichtet. Die zaghaften Strukturreformen aus der Ära Kohl hat er zurückgenommen, die gerade erst begonnene Reform-Diskussion im Ansatz erstickt. Mittlerweile gehen die SPD-Pläne längst über Kohls Ideen hinaus.

Von Marc Beise

Weltökonom: dieses Wort hat Oskar Lafontaine selbst nie in den Mund, wohl aber in Kauf genommen. Der Jesuitenschüler aus Saarlouis, Diplom-Physiker und Berufspolitiker, hält sich zugute, die Welt der Wirtschaft besser zu verstehen als viele Experten.

Erst recht gilt dies seit seiner Hochzeit mit Christa Müller, einer engagierten Volkswirtin, die seine engste Beraterin geworden ist. Lafontaines Problem: Seine wirtschaftspolitischen Grundüberzeugungen werden in Deutschland von kaum einem anerkannten Ökonomen geteilt. Schlimmer noch: sie werden vielfach belächelt.

Die Abneigung beruht auf Gegenseitigkeit. Für Wirtschaftsliberale hat Lafontaine seit je her wenig Sympathie, unbeirrt zog er schon als SPD-Parteivorsitzender gegen die "Marktradikalen" zu Felde.

Das "Geschwätz" anerkannter Ökonomen

Die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit durch eine Angebotspolitik, also eine Förderung der Arbeit gebenden Unternehmen, hielt er stets für einen Irrweg, die Thesen weltweit anerkannter Ökonomen für "Geschwätz". Stattdessen wollte er die Nachfrage stärken und insbesondere die "kleinen Einkommen" entlasten, um so über verstärkten Konsum für Wirtschaftswachstum zu sorgen.

Frühzeitig verband sich der Politiker mit dem Ökonomen Heiner Flassbeck, einem der wenigen Nachfrage-Theoretiker von wissenschaftlichem Rang. Denn eigentlich gilt die im Kern auf den britischen Ökonomen John Maynard Keynes zurückgehende Nachfrage-Theorie heute als überholt. Arbeitsplätze entstehen vielmehr durch Verbesserung der Investitionsbedingungen, höhere Löhne führen nur zu noch mehr Entlassungen.

Außenseiter Flassbeck, heute Chefökonom der Entwicklungsländer-Organisation Unctad in Genf, sah das immer anders. Die Löhne in Deutschland seien nicht etwa zu hoch, sondern seit Jahren zu langsam gestiegen, argumentierte er.

Wer Arbeitsplätze schaffen wolle, müsse die Löhne in Höhe des jährlichen Produktivitätsanstiegs wachsen lassen. Für den Wahlkämpfer Lafontaine wurde daraus die Forderung nach einem "Ende der lohnpolitischen Bescheidenheit".

Umverteilung von Reich zu Arm

Nach dem Regierungswechsel im Herbst 1998 machte der neue Bundesfinanzminister Lafontaine seinen Vertrauten Flassbeck, bis dahin Konjunkturchef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin, zum Staatssekretär.

Gemeinsam mit dem Ex-Staatsrat von Hamburg, dem Buchautor Claus Noé, suchte Flassbeck seine Ideen in der Politik durchzusetzen. Dies misslang weitgehend - und führte im März 1999 mit zu Lafontaines hastigem Rücktritt und der Flucht zurück ins Saarland.

Bereits kurz nach Amtsantritt passierte dem Superminister, der die Finanzpolitik bestimmen, die Partei leiten und den Kanzler kontrollieren wollte, die erste Panne. Die Interview-Aussage vor laufender Kamera, die Regierung sei gescheitert, wenn es ihr nicht gelinge, bis zum Ende der Legislaturperiode 2002 die Arbeitslosigkeit von vier auf drei Millionen zu senken - ein völlig unrealistisches Ziel - wurde zum Kommunikations-Gau.

Allein gegen alle

Verhängnisvoller war es, dass die zaghaften Strukturreformen aus der Ära Helmut Kohl bei Rente und Arbeitsrecht (Kündigungsschutz) zurückgenommen wurden. Lafontaine erstickte die gerade erst begonnene Diskussion über notwendige Strukturreformen im Ansatz - mittlerweile gehen die Reformen längst über Kohls damalige Gesetze hinaus.

Wirtschaft zahlte für Wohltaten

Noch schneller stieß Lafontaine als steuerpolitisch Verantwortlicher an seine Grenzen. Zwar startete er die erste der rot-grünen Steuerreformen - doch noch mit ganz anderen Vorzeichen als heute allgemein akzeptiert.

Nicht um eine Nettoentlastung aller Steuerzahler und erst recht nicht um ein einfaches, transparentes Steuersystem ging es dem Finanzminister und SPD-Chef, sondern um eine Umverteilung von Reich zu Arm. Zentrale Elemente waren für ihn die Erhöhung des Kindergeldes und die Senkung des Eingangssatzes bei der Einkommensteuer.

Weil aber zugleich die Streichung von Steuervergünstigungen bei den Arbeitnehmern tabu sein sollte, musste die Wirtschaft die Wohltaten weit gehend allein bezahlen. Die Unternehmen, so Lafontaines Credo, könne man ruhig weiter belasten.

Das war ganz im Sinne des "Roten Jochen" Steffens, der Jahre zuvor als SPD-Chef in Schleswig-Holstein seine Partei dazu aufgerufen hatte, "die Belastbarkeit der Wirtschaft" zu testen.

Dem Weltökonom entgleitet der Alltag

Um diese Belastbarkeit aber war es bereits zu Lafontaines Ministerzeit schlecht bestellt. Teilweise massive Lohnkostenprobleme, drückende Sozialabgaben und der sich rapide verstärkende internationale Wettbewerb im Zeichen der Globalisierung drückten viele, insbesondere mittelständische Unternehmen mit dem Rücken an die Wand.

Der Kraft des Faktischen konnte sich nicht einmal der Überzeugungstäter Lafontaine ("Das Herz schlägt links") entziehen. Aus Einsicht, aber vor allem auch auf Druck des Kanzlers musste er seine Steuerpläne immer wieder revidieren und am Ende blickte der Chef - so in einer denkwürdigen Pressekonferenz kurz vor seinem Rücktritt - selbst nicht mehr durch.

Dem Weltökonom war der Alltag entglitten, das Ergebnis: Chaos pur. Auch auf internationaler Ebene richtete Lafontaine Unheil an. Getreu seiner Grundüberzeugung wollte der Finanzminister einen neuen Policy mix durchsetzen: Die Notenbanken sollten mit der Regierungspolitik in Gleichklang kommen, die Stärkung der Binnennachfrage mit ständigen monetären Impulsen verbunden werden.

Lafontaine plädierte für Zinssenkungen und setzte die damals noch mächtige Deutsche Bundesbank unter Druck. Präsident Hans Tietmeyer sollte an die Kandarre genommen werden, seine Zinspolitik sei "nicht sakrosankt", giftete Minister-Gattin Müller in Talkshows. Die Folge: Schon allein um ihre Unabhängigkeit zu beweisen, widersetzten sich Bundesbank und andere Notenbanken allen Wünschen Lafontaines.

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