Oskar Lafontaine:Abgang einer Lichtgestalt

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Im saarländischen Landtag spricht Oskar Lafontaine über vieles - nur nicht über seine Krebserkrankung. In der Linken beginnt nun die Debatte um seine Nachfolge.

Thorsten Denkler

Peter Müller spricht. Es ist die erste Regierungserklärung des saarländischen Ministerpräsidenten nach der Wahl. Das ist schon eine Sensation an sich - Müller führt die erste Koalition aus CDU, FDP und Grünen überhaupt. Und doch steht mal wieder ein anderer Mann im Mittelpunkt.

Oskar Lafontaine: Am Donnerstag wird sich der Linken-Chef operieren lassen. (Foto: Foto: Reuters)

Einem Bulldozer gleich schiebt er sich am Morgen durch den saarländischen Landtag, drückt SPD-Fraktionschef Heiko Maas die Hand, grüßt den ein oder anderen Abgeordneten, setzt sich dann in die erste Reihe. Der Fraktionschef der Linken im Landtag scheint vor Kraft kaum laufen zu können.

Morgen wird er operiert. Oskar Lafontaine hat Krebs.

Die Nachricht wurde gestern um 15.18 Uhr von der Fraktionspressestelle der Linken im Bundestag verschickt: "Ich werde mich am Donnerstag zu einem seit längerem geplanten chirurgischen Eingriff in eine Klinik begeben. Es handelt sich um eine Krebserkrankung. Nach überstandener Operation werde ich zu Beginn des neuen Jahres unter Berücksichtigung meines Gesundheitszustandes und der ärztlichen Prognosen darüber entscheiden, in welcher Form ich meine politische Arbeit weiterführe."

In drei Sätzen nur, zwei kurzen und einem langem, macht Oskar Lafontaine Spekulationen des Nachrichtenmagazins Der Spiegel um eine angebliche Affäre mit der Parteilinken Sahra Wagenknecht ein Ende. Laut dem Blatt sei dies der Grund für Lafontaines Rückzug von der Fraktionsspitze im Bundestag nach der Wahl gewesen. Er habe damit seine Ehe retten wollen.

Die Nachricht über den OP-Termin eröffnet aber auch Platz für neue Spekulationen. In Fraktion und Partei sind die Genossen über die Krebserkrankung geschockt. Debatten über eine Zeit nach Lafontaine verbieten sich. Jetzt gelte es, Lafontaine für seine Genesung alles Gute zu wünschen, sagen die Genossen.

Im saarländischen Landtag antwortet Lafontaine, der frühere Ministerpräsident, auf die Regierungserklärung des amtierenden Chefs Müller. Kein Wort zur Erkrankung, kein Wort zu den Spekulationen über seine politische Zukunft, zu den besonderen Umständen der Rede.

Oskar Lafontaine spricht über Landesfinanzen, über Personalbestand, über Steuerstruktur ganz im Stil, als wäre er immer noch der Napoleon von der Saar. Nach seiner Rede spricht FDP-Fraktionschef Horst Hinschberger als Erster an diesem Morgen Lafontaines Krebserkrankung an, er wünscht ihm alles Gute.

Es soll Lafontaines vorerst letzter öffentlicher Auftritt sein. Am Donnerstag die Operation, in den sechs Wochen danach stehen keine Termine in seinem Kalender. Dann will er entscheiden, ob und wie er zurückkommt.

Bleibt er Parteichef? Bleibt er im Bundestag? Bleibt er Fraktionschef im saarländischen Landtag? Bleibt er Abgeordneter im saarländischen Landtag? Alles ungeklärte Fragen.

Im Video: Der Chef der Linkspartei muss sich einer Operation unterziehen. Er wird sich zumindest vorübergehend aus der Politik zurückziehen.

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Linker Scharfmacher oder der gefährlichste Mann Europas wurde er von Kritikern genannt. Oskar Lafontaine hatte noch viel vor. Nun bremst ihn ein Krebsleiden.

Fraktionsintern wird jedoch davon ausgegangen, dass der Krebs bei Lafontaine früh erkannt wurde und die Heilungschancen deshalb außerordentlich gut seien. Die Wahrscheinlichkeit, dass der einstige SPD-Chef und Bundesfinanzminister auf die Bundesebene zurückkehrt, wird als weitaus höher eingeschätzt, als dass er sich im neuen Jahr entscheidet, vollends der Politik zu entrücken.

Die Krankheit aber unterbricht nur die parteiinternen Debatten über eine Zeit nach Lafontaine. Der Saarländer ist nicht unumstritten in den eigenen Reihen. Er gilt als wenig teamfähig, als einer, der im Zweifel macht, was er will. "So ist er eben", "so kennen wir ihn", sagen manche schulterzuckend, wenn Lafontaine mal wieder auf eigene Rechnung gearbeitet hat.

Seine Parteigänger verzeihen ihm viel. Sie wissen: Ohne Lafontaine wäre die Linke nicht da, wo sie heute steht. Es gibt eine gesamtdeutsche Linke, im Osten stabil dritte oder sogar zweite Kraft. Im Westen ist sie etabliert. Doch auch Dankbarkeit kennt Grenzen.

Zwischen der Linken Ost und der Linken West tun sich Gräben auf. Im Osten stehen die Realos, regierungsfähig und regierungserfahren. Sie machen Politik im Rahmen des Möglichen. Im Westen stehen die, die stolz sind, zu den "linken Spinnern" zu gehören, wie kürzlich ein Delegierter auf dem Landesparteitag der Linken in Nordrhein-Westfalen unter großem Applaus rief.

Auf beiden Seiten hat Lafontaine Probleme. Realos wie Bodo Ramelow warnen davor, für maximal-linke Positionen die Regierungsfähigkeit im Bund dauerhaft aufs Spiel zu setzen. Im Westen fühlen sich die "linken Spinner" von Lafontaine zu wenig unterstützt. Der rät etwa in Nordrhein-Westfalen selbst davon ab, die Genossen vor Ort in Regierungsverantwortung zu nehmen.

Für seine Fans ist Lafontaine eine Lichtgestalt. Nach innen aber bröckelt seine Autorität. Da ist zum Beispiel sein Vorschlag, in Bundestagsfraktion und Partei erneut eine Doppelspitze einzuführen. Lafontaine will eine Frau aus dem Westen neben Fraktionschef Gregor Gysi und eine Frau aus dem Osten als Parteichefin neben ihm selbst. Die Idee ist mit Verwunderung bis hin zu klarer Ablehnung aufgenommen worden.

Oskar Lafontaine wird gehen, die Frage ist nur wann. Er hat die Partei groß gemacht, aber er ist nicht mehr ihre Zukunft. Viele in der Partei wollen sich nicht länger abhängig machen von ihm.

Bodo Ramelow, der Fraktionsvorsitzende der Linken in Thüringen, etwa hat seine Partei bereits in einem Interview mit der Leipziger Volkszeitung aufgefordert, sich über die Zeit nach Lafontaine Gedanken zu machen: "Das hat nichts mit seiner Krebsoperation zu tun. Bei einem Lebensalter von 66 Richtung 67 bei Lafontaine muss man sich als Partei auf den Wechsel vorbereiten."

Ein Vorschlag, der nicht bei allen gut ankommt: "Herr Ramelow kann ja schon über alles nachdenken, aber das ist eine Frage, die mich im Augenblick, ehrlich gesagt, nicht sonderlich bewegt", sagte Gregor Gysi, Fraktionsvorsitzender der Linken im Bundestag. Er gehe davon aus, dass Lafontaine sich Anfang des Jahres dafür entscheidet, in der Bundespolitik aktiv zu bleiben.

Der Partei fehlt noch das Personal für den Wachwechsel. Einen zweiten Lafontaine wird es so schnell nicht geben. Die, die in den Startlöchern stehen, haben aber nicht mal den Hauch des Charismas, das der große Vorsitzende hat. Darum hoffen alle, dass er schnell zurückkommt, für kurze Zeit wenigstens. Er soll zumindest im nordrhein-westfälischen Wahlkampf im Frühjahr 2010 noch einmal einen großen Sieg für die Linken einfahren. Danach, so die Vermutung, wäre dann Zeit genug, neue Köpfe zu profilieren.

Gut möglich, dass Lafontaine nach der NRW-Wahl zumindest auf Bundesebene endgültig seinen Hut nimmt. Es wäre wohl ein Abgang zur rechten Zeit.

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