Osama Bin Ladens Leibwächter:Ein Leben für den Heiligen Krieg

Als Leibwächter von Al-Qaida-Chef Osama bin Laden führte Nasr al-Bahri ein Leben im Zeichen des blutigen Dschihad. Der Gewalt hat er mittlerweile abgeschworen, aber sein Weltbild ist geblieben: Attacken auf US-Ziele wie das World Trade Center hält er für legitim - bis heute nennt er Bin Laden ehrfürchtig "den Scheich".

Tomas Avenarius

Die ersten Feinde getötet hat er mit 20, aus ein paar hundert Metern Entfernung. "In Bosnien, das waren Serben", sagt Nasr al-Bahri gelassen. "Zwei. Ich war damals Scharfschütze." Später kamen andere Opfer dazu, und er war näher dran: in Afghanistan, Tschetschenien, Somalia. Ein Leben zeichnet sich ab, ein Leben im Zeichen des blutigen Dschihad. Der Mann, der es erzählt, sitzt auf dem Fußboden seines Hauses in Sanaa, der Hauptstadt des Jemen. Er ist freundlich und redet ganz offen, ein Familienvater, der seinem Sohn ab und an über den Kopf streicht und dabei über den Heiligen Krieg redet.

Abu Jandal a former personal bodyguard of Osama Bin Laden during an interview with '60 Minutes'

Nasr al-Bahri war der Leibwächter Osama Bin Ladens. Noch heute nennt er diesen "Scheich" - als Ausdruck des Respekts.

(Foto: REUTERS)

An der Wand stehen Regale voller Bücher, arabische Buchstaben schwingen sich über die grünen und braunen Einbände: Werke über den Islam. Standardwerke und die Schriften von Querdenkern. Dazwischen der 9/11-Bericht, auf Englisch. Lesezeichen ragen aus zerlesenen Seiten. Bahri sagt: "Mein Englisch ist nicht so gut, leider." Leider - das Buch über den Terroranschlag betrifft den Jemeniten mehr als die meisten anderen Menschen: Bahri war der Leibwächter von Osama bin Laden. "Mein leiblicher Vater mag mich ernährt und gekleidet haben", sagt er. "Der Scheich hat mich das Leben gelehrt."

Draußen, ein paar Straßen weiter, tritt die jemenitische Revolution auf der Stelle. In den Straßen der Hauptstadt stehen Panzer und Soldaten, campieren Demonstranten. Seit Monaten bewegt sich nichts. Das Volk rüttelt an den Säulen des Regimes. Der Präsident des Landes ist einer von vielen arabischen Autokraten, verschrien als korrupt und ungerecht. Bahri, der mit Bin Laden jahrelang für den Sturz eben dieser korrupten Potentaten kämpfte, schüttelt verärgert den Kopf: "Revolution? Morgens demonstrieren Männer und Frauen getrennt, abends amüsieren sie sich miteinander auf dem Platz. Das ist doch keine Revolution: am Tag ein Spielplatz und am Abend ein Nachtclub."

Politologe, frommer Muslim und Dschihadist

Eine Lebensgeschichte im Zeitalter von al-Qaida: Bahri wächst auf im saudischen Dschidda, als Sohn eines Mechanikers. Er studiert Politik und ist ein frommer Muslim. Dabei folgt er der strengen saudischen Spielart des Islam. Schon als ganz junger Erwachsener kämpft er in Bosnien, dann zieht er als Söldner für die heilige Sache durch die Welt. Bereit, sein Leben zu geben, überzeugt von der Mission eines militanten Islam, den Bin Laden mit al-Qaida auf die Spitze und zu organisatorischer Perfektion getrieben hat: "Wir wollten sterben in Afghanistan. Das Paradies wartete." Der Jemenit leistet in Afghanistan einen Treueeid, er wird Al-Qaida-Mann und bedingungslos loyaler Diener seines Herren. Er wohnt in Afghanistan vier Jahre mit Bin Laden im selben Haus, folgt "dem Scheich" auf Schritt und Tritt, spielt mit dessen Kindern. Bahri nennt auch den toten Bin Laden "Scheich" - als Ausdruck des Respekts.

Kennengelernt hatten sie sich 1996, nach Bahris Ankunft in Afghanistan: Bin Laden lud den jemenitisch-saudischen Quasi-Landsmann zum Essen ein, drei Abende hintereinander. Der damals 40-jährige Al-Qaida-Chef analysierte beim Essen die Lage in Saudi-Arabien, höhnte über die Korruption des Königs und seiner Prinzen, geißelte das Vasallen-Verhältnis zu den USA. Der Politologe Bahri ist bis heute beeindruckt: "In drei Tagen erklärte er mir die Welt."

Bis 2000 bleibt Bahri an der Seite Bin Ladens. Er nennt sich "Abu Jandal", rettet seinem Chef bei einem Attentatsversuch das Leben, genießt bei den Mudschaheddin einen Ruf als Killer. Bin Laden macht ihn zu einem seiner persönlichen Leibwächter. Abu Jandal ist dabei, wenn der Al-Qaida-Boss mit Taliban-Führern wie Mullah Omar spricht oder mit anderen Al-Qaida-Größen wie dem Ägypter Aiman al-Sawahiri.

"Die USA ist ein legitimes Ziel"

2000 kommt es zum Bruch: Bahri sagt lachend, schuld daran seien die Frauen. "Seine Ehefrau dachte, ich wolle ihm eine neue, jüngere Frau suchen." Bahri setzt sich ab und geht in sein Heimatland. Er wird schon am Flughafen verhaftet, im Gefängnis gefoltert, sieht monatelang kein Sonnenlicht. Nach seiner Entlassung geistert er ein paar Monate durch die Medien. Heute schlägt er sich in Sanaa mit Jobs durch, er kann seine Familie kaum ernähren und wird vom jemenitischen Geheimdienst überwacht, regelmäßig vorgeladen und immer wieder kujoniert.

Bahri lacht: Er hat al-Qaida und der Gewalt abgeschworen, aber er bleibt bis heute ein Dschihadi, wenn auch ohne Waffe. Die Frage nach dem 11. September und dem Tod von 2982 unschuldigen Menschen kommentiert er mit einem Schulterzucken: "Die USA sind ein legitimes Ziel." Bei der Frage nach dem Tod des Al-Qaida-Chefs, der im Mai 2011 von US-Elitesoldaten erschossen wurde, wird er ernst: "Ein großer Verlust. Wir brauchen einen wie ihn in unserer Zeit."

Was bleibt, ist die Verehrung für den Mann, der hinter dem 11. September stand. Der hat ihn psychisch eng an sich gebunden: Als der Leibwächter in Afghanistan verletzt wird, träufelt Bin Laden Honig in die Wunde, pflegt ihn über Wochen.

Als Bahri Vater eines Sohnes wurde, flüstert der Terrorführer dem Neugeborenen einen glücksbringenden Koranvers ins Ohr. Dinge, die verbinden. Bahri sagt: "Manchmal sage ich im Spaß, mein Sohn Habib ist der Sohn des Scheichs." Der Mann, der von sich sagt, Bin Laden "besser gekannt zu haben als die meisten anderen", will vom New Yorker Attentatsplan nichts gewusst haben: "Der Scheich sagte nur, dass er etwas Großes in den USA plane. Danach würde alles anders werden, al-Qaida für immer auf der Flucht sein."

Ein Kampf ohne Waffen

Um einen wie Nasr al-Bahri zu verstehen, muss man drei Jahrzehnte zurückgehen. In Saudi-Arabien, wo der Jemenit in den siebziger und achtziger Jahren aufwächst, ist "Dschihad" ein Zauberwort. Das Königshaus schickt die jungen Männer von 1981 an nach Afghanistan, in den Heiligen Krieg gegen die Sowjets. Der Dschihad wird zum Lebensmodell einer ganzen Generation: Erzürnte Väter schicken ihre rebellischen Söhne an die Front, damit diese als Gotteskrieger das wahre Leben kennenlernen. Vom Reichtum gelangweilte Prinzen ziehen in den Krieg, junge Saudis verbringen den Urlaub am Hindukusch. Andere folgen - Ägypter, Jemeniten, Libyer.

Einer der vielen tausend Saudis ist Osama bin Laden: Sohn eines Bauunternehmers aus dem Jemen, der in Saudi-Arabien sein Glück gemacht hat. Als Günstling des Herrschers ist der alte Bin Laden einer der reichsten Männer des Landes. Sein Sohn Osama liefert den Gotteskriegern Maschinen, mit denen sie Schützengräben und Bunker anlegen. Und kämpft persönlich gegen die Sowjets. Am Ende des Afghanistan-Kriegs legt der Millionärs-Mudschahed ein Register an: Namen, Adressen und Kontakte aller ausländischen Dschihadis in Afghanistan. Diese "Basis" ist die Geburt von al-Qaida: Aus diesen Zettelkästen des Saudis erwächst das Terrornetzwerk, das den Anschlag vom 11. September 2001 verübt.

Der Dschihad als Pflicht und Abenteuer

Bin Laden hat sich da schon abgewendet vom saudischen Königshaus, ja er hat neben Russen und Amerikanern auch dem saudischen König, den arabischen Herrschern den Krieg erklärt. Anschläge im Nahen Osten, in Afrika. Dann der 11. September. Terror gegen Unschuldige - für Bin Laden ist es die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln. Ideologisch macht er es seinen Anhängern leicht: Ob Flugzeuge auf das World Trade Center, Autobomben in Irak oder Attentate in Afghanistan oder Palästina - alles ist die gerechte Strafe dafür, dass Muslimen Unrecht geschieht. Bahri stimmt dem noch heute zu: "Der Scheich hatte sich von allen weltlichen Dingen befreit, um dem Islam zu dienen und den Muslimen ihre Würde und ihre Rechte zurückzugeben."

Es ist nicht Bin Laden allein, der das Weltbild formt. Als Schüler hatte Bahri die Geistlichen den Dschihad predigen hören, die Helden aus Afghanistan nach Hause kommen sehen, den Stolz der Familien auf ihre "Märtyrer" gespürt. Er war zu jung für den Kampf: "Ich hatte immer gespendet für den Heiligen Krieg und wollte 1990 selbst nach Afghanistan gehen." 1989 zogen die Sowjets ab, der Krieg war - fürs Erste - zu Ende. Bahri, im Kopf bereits Dschihadi, folgte den Mudschaheddin auf den Balkan: Jugoslawien zerfiel, die christlichen Serben kämpfen gegen die unterlegenen Bosnier und die waren Muslime. "Bosnien war ein einziges Gemetzel", sagt Bahri. Die arbeitslos gewordenen Kämpfer aus Afghanistan eilten den Bosniern zu Hilfe. "Was für eine Schule!", sagt Bahri begeistert. "Dschihadis aus allen arabischen Ländern, aus Afrika, Asien. Wir haben sehr viel gelernt voneinander!"

Der Dschihad als Pflicht und Abenteuer. Es klingt wie 1936, als Brigaden von jungen Internationalisten aus Deutschland, England und den USA gegen die Franco-Faschisten antraten, Schriftsteller wie Ernest Hemingway oder Arthur Koestler im spanischen Bürgerkrieg für die Republik kämpften. Wem die Stunde schlägt, am Hindukusch. Auch Männer wie Bahri haben Überzeugungen, ein Wertesystem: Für die Menschen im Westen bleibt der schreibende und schießende Haudegen Hemingway ein Held. Die Muslime in Saudi-Arabien, Ägypten und Libyen verehren ihre Afghanistan-Kämpfer. Wenn Bahri in Sanaa in ein Taxi steigt, ruft der Fahrer begeistert: "Sie sind doch der Leibwächter von Osama bin Laden! Ich freue mich, Sie kennenzulernen!"

Vom Westen missverstanden

Nasr al-Bahri ist heute fast vierzig Jahre alt. Seit 20 Jahren ist er für den Dschihad unterwegs. Er hat der Gewalt abgeschworen, das Weltbild aber bleibt: der islamische Staat als Gesellschaftsmodell, als Lösung für soziale Ungerechtigkeit. "Das Gute am Gefängnis war: Ich hatte Zeit, den Koran immer wieder durchzulesen." Bahri hat viele Bücher gelesen. Dennoch gehen für ihn Dinge zusammen, die für die Menschen im Westen nie zusammengehören werden: freie Wahlen und ein Leben mit dem Koran als Verfassung. Frauen, die arbeiten oder studieren, und die Steinigung von Ehebrechern oder Homosexuellen. "Wenn die Ehebrecher nicht verheiratet sind, können sie heiraten. Bei Ehebruch unter Verheirateten bleibt nur Steinigung."

Ideologien wandeln sich nicht über Nacht, nur die Mittel zu ihrer Durchsetzung ändern sich. Bahri hält inzwischen erfolgreich junge Jemeniten vom Morden und von einem sinnlosen Tod im Namen von al-Qaida ab. Die Organisation von heute sei nicht die, für die er gekämpft hat: "Bin Laden hat Fehler gemacht. Die Ahnungslosen vor einem unsinnigen Tod zu schützen, das ist mein Dschihad." Bahri fühlt sich bis heute missverstanden, besonders im Westen. Ein französischer Journalist hat eine Biographie über ihn verfasst. "Der hat geschrieben, was er wollte. Nichts trifft den Kern." Jetzt arbeitet der Jemenit selbst an einem Buch. Den Titel hat er schon: "Was ich von Osama bin Laden gelernt habe."

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