Osama bin Laden:Tod eines Ideologen

Osama bin Laden gab dem vielzitierten "Kampf der Kulturen" ein Gesicht. Doch auch wenn er damit Geschichte schrieb: Durchgesetzt hat sich seine Version des autoritären Schwert-Islam nicht. Die Revolutionen im Nahen Osten zeigen, dass "die muslimische Welt" kein homogener Block ist - und dass sich dort viele nach etwas ganz anderem sehnen als nach einem Gottesstaat.

von Kurt Kister

Verbrechern, die nicht als Diktatoren Staaten lenkten, gelang es selten, Geschichte zu machen. Osama bin Laden aber hat unzweifelhaft Geschichte gemacht, und ebenso unzweifelhaft war er ein großer Verbrecher. Er führte einen Rachefeldzug im Namen Gottes, der, gäbe es ihn denn, wahrlich ein Blutsäufer-Baal sein müsste, um gutzuheißen, wie viele Tausende - egal welchen Glaubens und welcher Herkunft - allein Bin Ladens Selbstmord-Attentäter bisher verstümmelt oder umgebracht haben.

Osama Bin Laden bei US-Operation getötet

"Verstorben" steht unter dem Bild Osama bin Ladens in der Liste der "Most Wanted" auf der Homepage des FBI. Bin Laden hat mit Waffengewalt und ohne Skrupel gekämpft - so starb er auch.

(Foto: dpa)

Ohne den sich messianisch gebärdenden Gewalttäter Bin Laden hätte es die Kriege in Afghanistan und im Irak nicht gegeben. Washington hätte nicht zuerst am Hindukusch zurückgeschlagen und dann im Irak etwas versucht, was George W. Bush in naiver Wut ausgerechnet einen "Kreuzzug" nannte. Osama, der moderne Assassinen-Fürst aus Saudi-Arabien, wähnte sich sein Leben lang im Krieg gegen die Kreuzzügler.

Bin Laden hat jenem viel zitierten, hoch umstrittenen "Kampf der Kulturen" ein Gesicht gegeben, mehr noch: Er war mit Rauschebart und Sturmgewehr die Verkörperung dieses Kampfes. Was in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die stets im Schatten der nuklearen Vernichtung ausgetragene West-Ost-Konkurrenz war, schien im 21.Jahrhundert der aus alten Zeiten wiederauflebende Krieg zwischen Orient und Okzident zu werden.

Wer im Westen seine Vorurteile über "den" Islam nähren wollte, der musste nur auf Bin Laden schauen. Er war die Projektionsfigur aller Ängste und gleichzeitig ein wirklicher Fanatiker, der durch seine scheinbar grenzenlose Überlebensfähigkeit in Teilen der muslimischen Welt zum Superhelden avancierte. Osama bin Laden war die Symbolfigur des vergangenen Jahrzehnts, der Derwisch mit der Kalaschnikow.

Nun ist er so gestorben wie er gelebt hat. Er ist, um das Matthäus-Evangelium zu paraphrasieren, durch das Schwert umgekommen, weil er zum Schwert gegriffen hat. Die Debatte, ob das Vorgehen der US-Kommandosoldaten gegen einen im Sinne des Völkerrechts Nicht-Kombattanten legal, gar verhältnismäßig war, ist ziemlich müßig. Bin Laden hätte sich niemals lebend gefangen nehmen lassen. Und anders als Petrus war er auch niemals bereit, das Schwert in die Scheide zu stecken.

Der vermeintliche Saladin vom Hindukusch

Vermutlich wird der Tod den Mythos Osama eher nähren, als dass er ihn ersticken wird. Das Märtyrertum spielt bei vielen Moslems auch heute noch eine erhebliche Rolle, so abstrus der Gedanke gerade Gläubigen eigentlich erscheinen müsste, dass ein liebender Gott den Tod jener Menschen, die ihn lieben, wünschen, gar belohnen könnte.

Und da der 11.September noch vor dem Kennedy-Mord zum Lieblingssujet aller Verschwörungstheoretiker avanciert ist, wird auch Osamas Ende nebst der Beseitigung seiner Leiche tausenderlei Anlässe des Aufbaus von Parallelwelten bieten. In gewisser Weise wird Osama bin Laden weiterleben - vielleicht gerade weil es kein Grabmal gibt, in dem er bestattet worden ist. Etliche, vor allem jüngere Muslime werden ihn als Märtyrer und vermeintlichen Saladin des Hindukusch in Jahren noch verehren. Im Zeitalter des Internet bedarf es für diese Art der Heiligenpflege keiner realen Wallfahrtsstätte mehr.

Bin Laden hat sich nicht durchgesetzt

Auch wenn Osama bin Laden Geschichte gemacht hat, so hat er sich dennoch nicht durchgesetzt. Seine Form des autoritären Schwert-Islam beleidigt die große Mehrheit jener Muslime, die in ihrer Religion nichts wesentlich anderes sehen als viele Christen in ihrer: eine wichtige Privatangelegenheit, die viel mit der Seele und wenig mit dem Staat zu tun hat. Osama bin Laden war ein religiös verblendeter Verbrecher und zudem ein geschickter Guerillaführer, der vorgeblich Unrecht und Armut bekämpfte, in Wirklichkeit aber für einen autoritären Gottesstaat stritt.

Die jüngsten Verwerfungen, ja Revolutionen in Nordafrika und im arabischen Raum zeigen deutlich, wie falsch es ist, diese Region immer nur unter dem Rubrum "die muslimische Welt" zusammenzufassen. Die Religion ist, anders als dies auch orientalische und okzidentale Reaktionäre gerne behaupten, nur eines von mehreren Merkmalen. Die Menschen in Ägypten, Libyen oder Syrien wollen kein blutrichterliches Kalifat wie Bin Laden es anstrebte und oft nicht einmal eine stärkere Islamisierung des Gemeinwesens. Sie wollen vielmehr Dinge, die Bin Laden, die Taliban oder Teherans Gottesstaatler dezidiert ablehnen. Sie wollen frei reden können, die Kleptokratie stürzen, Toleranz erleben und ausüben.

Als der Reformator Gorbatschow in den achtziger Jahren von seinen Reformen überholt wurde, glaubten manche, nun sei das Ende der Geschichte gekommen und der Westen habe gewonnen. Das war falsch. Als Osama bin Laden am 11.September 2001 die Welt ins Chaos stürzte, sahen viele darin den Übergang in die heiße Phase des Kriegs der Kulturen. Auch dies war glücklicherweise falsch. Die Vorstellung, dass "der" Islam jener eine Weg für alle von Marokko über die Mongolei bis nach Malaysia sei, ist Humbug. Wer das glaubt, der ist ein extremer Außenseiter auch für jene Gesellschaften, die er nach seiner Vorstellung zu einer einzigen Gemeinschaft formen will. Osama bin Laden hat für ein imaginiertes, imaginäres großes Ganzes mit Waffengewalt und ohne Skrupel gekämpft. Er hat als Ideologe gelebt und ist auch so gestorben.

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