Organtransplantationen:Chinas schmutziges Geheimnis

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Der stellvertretende chinesische Gesundheitsminister Huang und seine Kollegen verneigen sich vor einer verstorbenen Patientin, die ihre Organe spendet (Foto: REUTERS)

"Profitgetrieben, unethisch und eine Verletzung der Menschenrechte": Pro Jahr werden in China tausende Organe transplantiert - die meisten von Ihnen stammen von Hingerichteten. Die Regierung will diese viel kritisierte Praxis nun abschaffen.

Von Kai Strittmatter, Peking

Etwa zehntausend Organe werden derzeit pro Jahr in Chinas Krankenhäusern verpflanzt. Die Mehrzahl davon stammt aus den Körpern von Hingerichteten. China ist heute das einzige Land der Welt, in dem Exekutionen systematisch zur Beschaffung von Spenderorganen eingesetzt werden, Menschenrechtler prangern das seit Langem an.

Nun soll die Praxis nach und nach abgeschafft werden. Von November an sollen in ausgewählten Krankenhäusern erstmals ausschließlich die Organe freiwilliger Spender verpflanzt werden. Das erklärte diese Woche in Peking der frühere Vize-Gesundheitsminister Huang Jiefu. Organtransplantationen müssten auch in China in Zukunft "den weltweit allgemein anerkannten ethischen Standards genügen", sagte Huang, der ein Komitee leitet, das den Übergang überwachen soll.

Der Gesundheitsbürokrat Huang Jiefu, der einst das Handwerk des Transplantationschirurgen in Australien lernte, ist seit Längerem bekannt als Gegner der jahrzehntealten Praxis, hingerichtete Straftäter sozusagen als Organersatzteillager zu benutzen. In ungewöhnlich klaren Worten hatte Huang das auch schon einmal als "profitgetrieben, unethisch und eine Verletzung der Menschenrechte" kritisiert. Im März 2012 war Huang Koautor eines Fachaufsatzes im angesehenen Magazin The Lancet, demzufolge in China bei zwei Dritteln aller Transplantationen Organe von Verstorbenen eingesetzt werden: "Davon wiederum stammen mehr als 90 Prozent von exekutierten Gefangenen."

Das Image leidet

Solche Offenheit gab es nicht immer in Peking. Lange war die Praxis ein schmutziges Geheimnis, später verteidigte sich die Regierung mit dem Argument, man hole nun vor jeder Organentnahme das Einverständnis der Todeskandidaten ein. Menschenrechtler bezweifeln das, verwiesen schon in den Neunzigerjahren auf den Transplantationstourismus kranker Patienten aus Hongkong und anderen Ländern. Oft reisten diese kurz vor wichtigen Feiertagen bei einschlägigen Krankenhäusern an: Die Zahl von Antikriminalitätskampagnen und damit auch von Hinrichtungen stieg in China vor solchen Tagen regelmäßig.

Auch die Staatspresse gab zuletzt zu, dass Chinas Image darunter litt. "Chinesische Mediziner haben deshalb nicht einmal die Chance, ihre Forschungen über Organverpflanzung in internationalen Zeitschriften zu publizieren", sagte der Arzt Yang Chunhua vom Krankenhaus der Guangdonger Sun-Yat-sen-Universität der Pekinger Zeitung Global Times.

Der Ruf nach einem landesweiten System der freiwilligen Organspende erhielt zudem Unterstützung durch die Tatsache, dass China in den vergangenen Jahren die Zahl der Hinrichtungen eingeschränkt hat. Noch immer werden nirgends auf der Welt so viele Menschen exekutiert wie in China. Die Zahlen sind geheim, Beobachter sprechen von vielleicht 3000 bis 8000 Hinrichtungen im Jahr. Selbst wenn es nur 3000 wären, wie die amerikanische Duihua-Stiftung schätzt, dann hieße das: China richtet mehr als vier Mal so viele Menschen hin wie der Rest der Welt zusammen.

Aber: Noch vor einem Jahrzehnt waren es pro Jahr wahrscheinlich weit über zehntausend. Reformer im System arbeiten seit Jahren mit gewissem Erfolg an mehr Zurückhaltung bei den Todesurteilen. Das heißt für die Krankenhäuser: Die Zahl der zur Verfügung stehenden Organe ist stark zurückgegangen.

Transplantationsmedizin
:US-Forscher züchten Nieren im Labor

In Zeiten, da Tausende Patienten auf ein Spenderorgan warten, sind solche Meldungen hoch willkommen. US-Wissenschaftler konnten künstliche Nieren in Ratten verpflanzen und zum Funktionieren bringen.

Vor drei Jahren rief Chinas Gesundheitsministerium erste Experimente mit einem System der Organspende ins Leben, das jenen im Westen ähnelt. Im März dieses Jahres wurde dann eine landesweite Organspende-Organisation gegründet. Aufseher Huang Jiefu berichtete am Donnerstag dieser Woche von ersten Erfolgen: Im Jahr 2010 gab es landesweit gerade mal 63 freiwillige Organspenden, im Moment seien es schon 130 im Monat. Ein Zuwachs, der sich dennoch bescheiden ausnimmt bei einem Volk von 1,3 Milliarden Bürgern, von denen jedes Jahr 300 000 auf die Warteliste für eine Transplantation kommen.

Konfuzianische Tradition steht im Weg

Mehr noch als in anderen Ländern haben die Befürworter der Organspende mit dem Misstrauen und der Zurückhaltung der Bürger zu kämpfen. Huang selbst hatte oft auf konfuzianische Traditionen hingewiesen, die der Medizin hier leider im Wege stehe: Die Einwilligung des Spenders selbst reicht in China nicht, auch dessen Familie muss der Organentnahme noch zustimmen. Und die hängt oft noch dem traditionellen Glauben an, wonach ein Körper möglichst unversehrt begraben werden muss.

Aber die Tradition ist nicht das einzige Hindernis: Wichtigster Partner der Gesundheitsbürokratie ist das Chinesische Rote Kreuz - und das hat wegen mehrerer Korruptionsskandale in den vergangenen Jahren einen miserablen Ruf. Selbst in der Staatspresse werden skeptische Bürger zitiert: Warum spenden, solange man nicht wisse, ob das Organ wirklich einem Bedürftigen zukomme? Wohl auch deshalb wollten die Verantwortlichen diese Woche keinen Termin nennen, bis wann China völlig auf die Organentnahme nach Hinrichtungen verzichten will.

© SZ vom 17.08.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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