Organtransplantation:Tödlicher Mangel

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Nierenkranke müssen in Deutschland jahrelang auf eine Operation warten - viele überleben das nicht.

Von Werner Bartens

Für Günter Kirste liegt es am Zeitgeist: 98 Prozent der Deutschen würden ein Spenderorgan wollen, wenn sie erkrankten. Aber nur 67 Prozent stimmen zu, dass ihren Angehörigen nach dem Tod ein Organ entnommen wird. Und lediglich zwölf Prozent der Bevölkerung besitzen einen Spenderausweis.

"Immer mehr Menschen fühlen sich vom Staat allein gelassen. Sie sehen deshalb nicht ein, sich für andere einzusetzen", sagt Transplantationschirurg Kirste, der seit dem vergangenen Jahr Vorsitzender der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) in Neu-Isenburg ist.

Die fehlende Spendenbereitschaft ist ein Grund für den seit langem beklagten Organmangel in Deutschland. Zwar sind seit 1963 mehr als 50000 Nieren und insgesamt etwa 75.000 Organe transplantiert worden.

Trotzdem tut sich Günter Kirste schwer, von einer Erfolgsgeschichte zu sprechen. Denn seit Anfang der neunziger Jahre hat sich die Zahl der übertragenen Nieren zwischen 2000 und 2500 jährlich eingependelt.

Erweiterte Spendenkriterien

Dem stehen rund 10.000 Patienten auf der Warteliste gegenüber. Fünf bis sechs Jahre beträgt die durchschnittliche Wartezeit für eine neue Niere hierzulande. "Die Zahl der Spenden ist auch nur deswegen konstant, weil die Spenderkriterien erweitert wurden", sagt Kirste.

Heute werden auch Spenderorgane von 75-Jährigen sowie von Menschen akzeptiert, die vor ihrem Tod zwei Wochen lang auf der Intensivstation behandelt worden sind. Beides wären vor zehn Jahren Ausschlusskriterien gewesen.

Ein anderer Grund für das Fehlen von Spenderorganen ist die mangelnde Kooperation der Ärzte. Nur 40 Prozent der Krankenhäuser in Deutschland beteiligen sich an der Suche nach Organspenden.

Die anderen scheuen offenbar den Aufwand. Denn in mehr als drei Viertel der Fälle entscheiden die Angehörigen. Es bedarf oft ausführlicher Gespräche, bis sie nach einem Todesfall der Organentnahme zustimmen.

Dabei verpflichtet das Transplantationsgesetz von 1997 die Krankenhäuser eigentlich, potenzielle Spender zu melden. "Das kontrolliert nur keiner", ärgert sich Kirste. Die DSO koordiniert bundesweit die Organspenden; die gemeinnützige Stiftung Eurotransplant im niederländischen Leiden ist seit 1967 für die Vermittlung aller Organe zuständig, die in Deutschland, Österreich, den Niederlanden, Belgien, Luxemburg und Slowenien verpflanzt werden. Dadurch soll es Patienten erleichtert werden, schneller ein für sie passendes Organ zu bekommen.

Bei Eurotransplant sind derzeit 16.000 Patienten registriert, die in den sechs Ländern auf Niere, Leber, Herz, Lunge oder Bauchspeicheldrüse warten.

Die Spenderorgane werden nach einem prozentualen Schlüssel vergeben. Gewebeverträglichkeit, die bisherige Wartezeit und die Dringlichkeit des Eingriffs spielen dabei eine Rolle.

Der regionale Faktor wird auch berechnet, weil zu lange Transportwege die Erfolgsaussichten mindern. Kommt ein Organ aus Hamburg nach München, verlängert sich die "kalte Ischämiezeit" - das ist die Zeit, die das Organ nicht durchblutet, sondern in einer Eislösung konserviert wird.

Die Warteliste ist eigentlich eine Mogelpackung. Fast 9300 Patienten, die auf eine Nierenspende warten, waren 2004 in Deutschland registriert.

Verzerrte Warteliste

Insgesamt gibt es jedoch rund 48.000 Nierenkranke hierzulande, die auf die regelmäßige Blutwäsche angewiesen sind und dringend ein neues Organ bräuchten, denn die Hälfte der Dialysepatienten stirbt innerhalb von zehn Jahren. Manche Nierenkranke kommen aber nie auf die Warteliste.

Die Begründung: Sie seien zu alt oder aufgrund anderer schwerer Erkrankungen sei es zu riskant, sie zu operieren.

Dies ist eine verdeckte Form der Altersdiskriminierung: Dem medizinischen Ethos würde es entsprechen, Kranken unabhängig davon zu helfen, ob sie voraussichtlich noch fünf Jahre oder noch fünf Jahrzehnte vor sich haben.

Wer 30-Jährigen und nicht 70-Jährigen ein Spenderorgan zuteilt, handelt nicht medizinisch, sondern utilitaristisch: Das Leben des Jüngeren wird für "wertvoller" gehalten.

Die Praxis bestätigt diese Tendenz. Nur rund zehn Prozent der Patienten auf der Warteliste sind älter als 65 - obwohl sich in dieser Altersgruppe etwa die Hälfte aller chronisch Nierenkranken findet.

Großzügiger Osten

Es gibt erstaunliche regionale Unterschiede in der Spendenbereitschaft: Der Osten ist generöser. In Mecklenburg-Vorpommern kommen 36,5 Organspenden auf eine Million Einwohner, in Bayern 13,2.

Auch international hinkt Deutschland hinterher. Umgerechnet auf die Einwohnerzahl gibt es in Österreich und Belgien fast doppelt so viel Transplantationen wie hier.

Und in Spanien ist die Spendenbereitschaft so groß, dass dort alle, die auf eine Organverpflanzung angewiesen sind, nach spätestens drei Monaten eine Transplantation bekommen.

© SZ vom 4.6.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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