Europäische Union:EU friert Fördermilliarden für Ungarn ein

Europäische Union: Unter Druck: Die EU-Kommission verlangt von Ungarns Ministerpräsidenten Viktor Orbán, gegen Korruption im eigenen Land vorzugehen.

Unter Druck: Die EU-Kommission verlangt von Ungarns Ministerpräsidenten Viktor Orbán, gegen Korruption im eigenen Land vorzugehen.

(Foto: Bart Maat/IMAGO/ANP)

Die Kommission verlangt, dass der autoritäre Premier Orbán den Rechtsstaat stärkt und die Korruption bekämpft. Die EU-Regierungen müssen den Vorstoß aber noch billigen.

Von Björn Finke, Brüssel

Die EU-Kommission verschärft den Kampf gegen den Abbau des Rechtsstaats in Ungarn: Die Behörde will 7,5 Milliarden Euro an Fördergeldern zurückhalten, wegen der grassierenden Korruption. Zugleich möchte die Kommission aber im Prinzip den Weg dafür ebnen, dass die Regierung des autoritären Ministerpräsidenten Viktor Orbán 5,8 Milliarden Euro an Zuschüssen aus dem Corona-Hilfstopf erhalten kann. Allerdings werden Tranchen erst freigegeben, wenn Ungarn wichtige Reformen umgesetzt hat, um die Unabhängigkeit der Justiz und die Korruptionsbekämpfung zu stärken. Brüssel setzt also auf das Prinzip Zuckerbrot und Peitsche.

Beide Beschlüsse fällte die Kommission am Mittwoch. Die endgültige Entscheidung darüber müssen jedoch die EU-Regierungen bis Jahresende treffen. Dies könnte bei der ohnehin geplanten Zusammenkunft der EU-Finanzminister kommenden Dienstag geschehen. Es ist aber gut möglich, dass die Finanzminister dafür ein Sondertreffen eine Woche später einberufen. Das Einfrieren der Fördermittel wäre ein herber Schlag für Orbán. Er hat sich den Wahlsieg im April auch mit teuren Versprechen gesichert; das Haushaltsdefizit soll in diesem Jahr bei mehr als sechs Prozent der Wirtschaftsleistung liegen. Orbán musste daher Steuern erhöhen. Zudem leidet das Land unter einer Inflationsrate von mehr als zwanzig Prozent.

Der gewiefte Taktiker Orbán blockierte zuletzt wichtige Vorhaben der EU, bei denen Einstimmigkeit nötig ist. Dies sollte seine Verhandlungsposition verbessern. Konkret geht es um Unterstützung an die Ukraine von 18 Milliarden Euro für 2023 sowie um die Einführung einer Mindeststeuer für Konzerne in der EU. Diese beiden Vorhaben plus das Einfrieren der Fördermittel für Ungarn und die prinzipielle Billigung der Corona-Hilfen werden wohl alle gleichzeitig im Dezember von den EU-Finanzministern entschieden - für Christian Lindner und seine 26 Kollegen steht ein dramatischer Showdown zum Jahresende an. EU-Diplomaten hoffen, dass Orbán den Widerstand gegen die Mindeststeuer und die Ukraine-Hilfen aufgibt, wenn die anderen EU-Regierungen im Gegenzug dem Vorschlag der Kommission folgen und den Weg für Geld aus dem Brüsseler Corona-Topf freimachen.

Ungarn muss 27 Super-Meilensteine erreichen

Denn hier herrscht massiver Zeitdruck: Ungarn ist der einzige EU-Staat, dessen Reform- und Investitionsplan für den Corona-Fonds noch nicht gebilligt wurde. Dort warten 5,8 Milliarden Euro an Zuschüssen bis Ende 2026, die nicht zurückgezahlt werden müssen. Gelingt die Verständigung nicht bis Jahresende, verfallen 70 Prozent der Zuschüsse. Eine Einigung bedeutet freilich nicht, dass sofort Geld fließt. Der Plan sieht vor, dass Ungarn 27 "Super-Meilensteine" erfüllen muss, bevor die Kommission erste Tranchen freigibt. Zu diesen Zwischenzielen gehört etwa, unabhängige und wirksame Antikorruptionsbehörden aufzubauen, mit dem Europäischen Amt für Betrugsbekämpfung (Olaf) zusammenzuarbeiten, den obersten Gerichtshof frei von politischem Einfluss zu halten oder ungarische Richter nicht länger daran zu hindern, juristische Fragen an den Europäischen Gerichtshof zu verweisen.

Das Beispiel Polen zeigt, wie schwierig es sein kann, trotz abgenickten Plans an die Milliarden zu kommen: Die Regierung in Warschau hat sich bereits im Juni mit der Kommission auf den Reform- und Investitionsplan für den Corona-Topf verständigt. Das Dokument schreibt als Meilensteine Reformen vor, um die Unabhängigkeit der Justiz zu stärken. Ähnlich wie bei Ungarn beklagt die Brüsseler Behörde hier große Defizite. Bislang ist es der nationalkonservativen Regierung aber nicht gelungen, diese Zwischenziele zu erreichen - und von den 22,5 Milliarden Euro an Zuschüssen aus dem Hilfsfonds ist noch nichts geflossen.

Im Fall von Ungarn nutzt die Kommission jedoch nicht nur die Zuschüsse aus dem Corona-Fonds als Druckmittel. Zugleich ist Ungarn das erste Land, gegen das die Behörde den neuen Rechtsstaatsmechanismus anwendet. Der erlaubt es, Fördergelder zurückzuhalten, wenn Mängel bei Rechtsstaat und Korruptionsbekämpfung deren ordnungsgemäße Verwendung gefährden. Im April eröffnete die Behörde das Verfahren; im September drohte Haushaltskommissar Johannes Hahn, 7,5 Milliarden Euro einzufrieren, wenn Orbán nicht bis Mitte November 17 Reformen umsetzt, die den Kampf gegen Korruption und Vetternwirtschaft verbessern. Die Kürzung betrifft drei EU-Hilfsprogramme für benachteiligte Regionen. Diese unterstützen zum Beispiel den Bau von Straßen, Klärwerken und Kinderhorten. Insgesamt soll Ungarn bis 2027 mehr als 34 Milliarden Euro an Regionalförderung oder als Agrarsubvention erhalten.

Die Kommission kam nun zu dem Schluss, dass die Regierung die 17 Versprechen nicht befriedigend erfüllt hat. "Ungarn hat sich zweifellos in die richtige Richtung bewegt", sagte Kommissar Hahn am Mittwoch in Brüssel. "Doch insgesamt bleibt ein Risiko für EU-Gelder, da es an zentralen Stellen der Reformen weiter Lücken gibt." Hahn empfiehlt daher den EU-Finanzministern, die Fördermittel wirklich einzufrieren. Die 17 Reformversprechen sind jetzt Teil der 27 Super-Meilensteine für den Corona-Hilfstopf. Gelingt es Orbán also, alle Hürden für die Auszahlung der Corona-Zuschüsse zu nehmen, würde dies auch die eingefrorenen 7,5 Milliarden Euro loseisen.

Die EU-Finanzminister entscheiden im Ministerrat, dem Gremium der Mitgliedstaaten, mit sogenannter qualifizierter Mehrheit. Es müssen demnach mindestens 15 der 27 Länder zustimmen, die zusammen 65 Prozent der Gesamtbevölkerung der EU ausmachen. Dass genug Regierungen das Einfrieren der Fördergelder billigen, ist nicht sicher, aber wahrscheinlich.

Aus dem Europaparlament gab es am Mittwoch viel Unterstützung für die Beschlüsse der Kommission. Die CSU-Abgeordnete Monika Hohlmeier, die Vorsitzende des Haushaltskontrollausschusses, nannte das Zurückhalten der Milliarden "folgerichtig": "Die Verstöße gegen die Rechtstaatlichkeit in Ungarn sind so schwerwiegend und tiefgreifend, dass sie nicht durch oberflächliche, kosmetische Reformen in wenigen Monaten behoben werden können."

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