Optionen:Wie das Europa der zwei Geschwindigkeiten funktionieren kann

Die EU-Verfassung ist (vorläufig) gescheitert. Vor allem Deutschland und Frankreich wollen aber mit der europäischen Integration weitermachen. Dafür gibt es mehrere Möglichkeiten - innerhalb und außerhalb der EU-Verträge.

Von Bernd Oswald

Der gescheiterte Gipfel von Brüssel hat gezeigt: Die Union der 25 ist zu heterogen, um ein gleiches Integrationstempo für alle Mitglieder beizubehalten. In Zukunft wird die EU vermutlich ein Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten sein.

Dabei ist diese Erfahrung nichts Neues. Beispiele dafür: der Abbau der Grenzkontrollen, wie sie im Schengener Abkommen vereinbart wurden oder in jüngster Zeit die Wirtschafts- und Währungsunion: Nur zwölf der 15 Mitgliedstaaten haben den Euro als Bargeld eingeführt.

Differenzierte Integration

Nun müssen Methoden der Zusammenarbeit für die integrationswilligen Staaten gefunden werden.

Im Vertrag von Nizza ist die Methode der verstärkten Zusammenarbeit (VZ) vorgesehen, wie sie schon bei der Wirtschafts- und Währungsunion und beim Schengener Abkommen, das den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den Binnengrenzen der EU regelt, praktiziert wurde. Einige wenige Mitglieder wollten sich daran nicht beteiligen, respektierten aber die Zusammenarbeit der anderen EU-Mitglieder auf diesen Feldern.

Außerdem gibt es die Möglichkeit des "Opting out": Staaten, die in einzelnen Politikbereichen nicht so weit gehen wollen wie andere, können eine EU-weite Vereinbarung nur bis zu einem bestimmten Punkt mittragen und bei allem, was darüber hinaus geht, außen vor bleiben. Dänemark praktiziert das schon jetzt beim Schengener Abkommen.

Zusammenarbeit außerhalb der EU?

Ob eine differenzierte Integration aber mit dem im EU-Vertrag vorgesehenen Instrument der verstärkten Zusammenarbeit zu machen ist, ist angesichts der hohen Hürden fraglich.

Je größer die Mindestteilnehmerzahl und das Zustimmungsquorum, je stärker die Rücksichtnahme auf die EU-Gesetze und die Interessen der Nicht-Teilnehmer ausfallen, umso unattraktiver wird die innervertragliche Kooperation. Umgekehrt gewinnt die außervertragliche Zusammenarbeit so an Attraktivität.

Vor allem Großbritannien schätzt die zwischenstaatliche Zusammenarbeit außerhalb des EU-Vertragssystems, mit Abstrichen auch Dänemark und Schweden.

Für die Zukunft der differenzierten Integration zeichnen sich drei Entwicklungsmöglichkeiten ab. Erstens eine Kooperation ohne erkennbare Struktur, wo sich je nach Thema unterschiedliche Staatenkoalitionen in verschiedenen Politikfeldern bilden.

Zweitens eine Struktur nach Themen. Dieses Szenario geht davon aus, dass nur noch Kernbereiche der EU-Politik wie der Binnenmarkt gemeinsam betrieben werden. In allen anderen Bereichen könnte es dann zu Formen verstärkter Zusammenarbeit kommen.

In der dritten Variante bilden die Mitgliedstaaten die Struktur. Es gäbe einen Kern von Staaten, die in allen Bereichen zusammenarbeiten wollen und andere, die nur bei einigen Projekten teilnehmen würden.

Mehr Flexibilität, dafür Zwei-Klassengesellschaft?

Durch die Erweiterung der EU auf 25 Mitglieder werden die Unterschiede zwischen dem Willen und der Fähigkeit zu weiterer Integration noch offener zutage treten als jetzt. Vor diesem Hintergrund spricht also einiges dafür, dass die differenzierte Integration in einer größer und damit auch heterogener werdenden EU eine Zukunft hat.

Die differenzierte Integration ist ein möglicher Ausweg aus dem Dilemma zwischen Erweiterung und Vertiefung der EU. Ihr Image wird nach und nach das Stigma des Separatismus verlieren. Ein Europa der zwei oder noch mehr Geschwindigkeiten böte ein großes Maß an Flexibilität. Jeder europäische Staat könnte je nach Interessenlage und Tradition selbst entscheiden, wann er in welchem Politikbereich wie viel Souveränität abgeben möchte.

Andererseits könnte so bei den Staaten, die nicht die Avantgarde bilden, der Eindruck entstehen, zum Europa zweiter Klasse zu gehören. Viel hängt auch von der Frage ab, ob sich die Formen differenzierter Integration innerhalb oder außerhalb des EU-Rahmens abspielen.

Flexible EU wird schwieriger zu steuern

Falls sich die Avantgarde parallele Organe aufbaut, könnte das die Gemeinschaft in zwei Teile zerreißen. Die Frage, wie EU-interne und externe Organe dann zusammenarbeiteten, würde die europäische Politik wieder undurchschaubarer machen.

So wäre möglicherweise nur noch schwer erkennbar, ob es sich um einen EU-Beschluss handelt oder um eine Aktion einiger Kerneuropa-Staaten. Für die Arbeit der EU wäre eine externe Kooperation eines Teils ihrer Mitglieder eine Konkurrenz.

Auch eine verstärkte Zusammenarbeit im EU-Rahmen wäre nicht ganz unproblematisch, denn eine EU, in der Differenzierung, Abstufung und Flexibilisierung an der Tagesordnung sind, ist komplex und erfordert einen hohen Steuerungsbedarf.

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