Oppositioneller zur Lage in Syrien:"Assad soll eine neue Regierung führen"

Die Angst vor einem Bürgerkrieg in Syrien wächst: Während der UN-Sicherheitsrat über eine Verurteilung des Assad-Regimes berät, fordert der Oppositionelle Kadri Dschamil ein Kabinett der nationalen Einheit - mit dem aktuellen Staatschef an der Spitze.

Tomas Avenarius, Damaskus

Einer der führenden Vertreter der Opposition in Syrien hat die Forderung des Westens und der Arabischen Liga nach einem Rücktritt von Präsident Baschar al-Assad zurückgewiesen. Stattdessen solle so schnell wie möglich eine Einheitsregierung gebildet werden, sagte der Marxist Kadri Dschamil von der Front für Wandel und Befreiung der Süddeutschen Zeitung in Damaskus.

An der Spitze dieser Regierung solle Assad selbst stehen, dem Dschamil vorwarf, bei der Lösung des Konflikts Zeit zu verlieren: "Die Regierung der Nationalen Einheit hätte sozusagen schon gestern gebildet werden müssen", sagte Dschamil. "Es ist fünf vor zwölf. Wir nähern uns immer schneller dem Bürgerkrieg."

Der Marxist und Ökonom Dschamil wird als möglicher Premierminister in einer solchen Regierung gehandelt. Er selbst bezeichnete dies als "Gerücht". Präsident Assad hatte aber jüngst eine Einheitsregierung als Instrument für eine Aussöhnung vorgeschlagen. Er sucht das Gespräch mit der sogenannten alten Opposition, der Dschamil angehört. Diese meist säkularen und alt-linken Parteien werden von der Exil-Opposition und von den Aufständischen im Land als Marionetten des Regimes betrachtet.

Die alte Opposition leidet seit Jahrzehnten unter dem Assad-Regime. Seit Beginn des Aufstands vor zehn Monaten versucht Damaskus aber, sie politisch einzubinden, als Gegengewicht zu den Regimegegnern in den aufständischen Städten und zur Exil-Opposition. Wie viel Rückhalt die Alt-Opposition im Vergleich zu den Aufständischen hat, lässt sich kaum sagen. Anders als die neue Opposition ist sie in Parteien organisiert.

"Die syrische Krise endet nicht allein damit, dass Assad geht"

Auch der Friedensplan der Arabischen Liga, über den der UN-Sicherheitsrat am Dienstag in New York diskutieren wollte, sieht ein Einheitskabinett vor. Zusätzlich wird darin jedoch gefordert, Assad müsse seine Machtbefugnisse an den Vizepräsidenten abgeben. Dieser solle eine Einheitsregierung bilden, die Wahlen abhalte. Westliche Staaten und die Arabische Liga wollen den Sicherheitsrat zu einer harten Verurteilung des Assad-Regimes und zur Forderung nach dem Rücktritt des Staatschefs bewegen. Ein Veto Russland gilt aber als sicher.

In der Einheitsregierung, sagte Dschamil weiter, müssten neben der herrschenden Baath-Partei jene Teile der Opposition vertreten sein, die jede ausländische Intervention in Syrien ablehnten sowie die lokalen Volkskomitees, die den Aufstand in den Städten koordinierten. Am besten wäre es, wenn Assad den Vorsitz führe: "Syrien ist eine Präsidialrepublik, nur dann hat das neue Kabinett volle Machtbefugnisse." Dschamils Vorschlag steht im krassen Gegensatz zu den Forderungen der Aufständischen, die Assads Rücktritt verlangen. Dies wies Dschamil zurück: "Die syrische Krise endet nicht allein damit, dass Assad geht."

Wichtigste Aufgabe des Kabinetts sei es, Gewalttäter auf beiden Seiten zur Rechenschaft zu ziehen, alle politischen Gefangenen freizulassen und Opfern der Kämpfe Wiedergutmachung zu zahlen. Dschamil begrüßte den russischen Vorschlag, in Moskau Gespräche zwischen Regime und Opposition abzuhalten. Der in Istanbul sitzende Syrische Nationalrat SNC lehnt dies ab, solange Assad regiere. Dschamil sagte: "Wenn jemand den Rücktritt des Präsidenten zur Bedingung für den Dialog macht, welchen Dialog sucht er dann eigentlich?"

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