Oppositionelle Syrerin in Deutschland:Sippenhaft auf syrisch

Jeden Tag anonyme Hass-Nachrichten: Sondos Sulaiman spürt selbst im deutschen Exil den Druck von Anhängern des syrischen Präsidenten Assad. Trotzdem kämpft sie von Berlin aus für Demokratie in ihrem Heimatland. Doch sie lebt in ständiger Angst um ihre Angehörigen. Wie das Regime in Damaskus einer Aktivistin das Leben zur Hölle macht.

Lydia Bentsche

Mehrmals pro Woche bekommt Sondos Sulaiman Nachrichten aus Syrien. Manchmal erreichen sie zehn E-Mails und Facebook-Nachrichten an einem Tag. Die 33-Jährige lebt in Berlin, ihre Eltern und sieben Geschwister in Syrien, 3000 Kilometer entfernt. Kontakt hat sie nicht. Trotz der vielen Post.

Sondos Sulaiman

Von den anonymen Nachrichten und Drohanrufen lässt sich Sondos Sulaiman nicht einschüchtern. In Berlin arbeitet sie weiter für die Al-Hadatha-Partei, die für Freiheit und Demokratie in Syrien kämpft. Angst hat sie nur um ihre Familie in der Heimat.

(Foto: oH)

Seit Monaten wartet Sulaiman auf ein Lebenszeichen von ihren Verwandten. Aber es kommt keines. Stattdessen: Botschaften von Menschen, die Sulaiman nicht kennt. Von denen sie glaubt, dass sie Anhänger des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad sind. Der autokratische Herrscher unterdrückt sein Volk, Kritik ist verboten. Wer wie Sulaiman im Exil für die Freiheit kämpft, bekommt zu lesen, er solle damit aufhören. Andernfalls sei seine Gesundheit in Gefahr. Oder die seiner Familie.

Sulaiman ist kein Einzelfall. Vielen syrischen Regimekritikern im Ausland ergeht es ähnlich. Amnesty International schildert in einem aktuellen Bericht die Erfahrungen von 30 Exil-Syrern in acht Staaten. Sie berichten, wie sie von syrischen "Diplomaten" überwacht und drangsaliert werden. Weil sie öffentlich für Freiheit demonstrieren und anprangern, dass Assad seit Monaten mit Panzern auf friedliche Demonstranten schießen lässt, um seine Macht zu sichern.

Manch einer kollabiert unter dem Druck des Regimes, Sulaiman will stark bleiben. "Angst? Ich habe keine Angst", sagt sie im Gespräch mit sueddeutsche.de. "Der Druck lässt mich unter Schwierigkeiten leben, aber ich weiß, dass es in Deutschland viel sicherer ist als in Syrien."

Seit elf Jahren kämpft Sulaiman für die Freiheit

Vor elf Jahren verließ sie ihre Heimat. Schon damals hatte sie sich gegen das Regime gewandt - wenn auch verhalten. Es reichte, um den syrischen Sicherheitsdienst zu alarmieren. Mitarbeiter drohten ihr so lange, bis sie Asyl in Deutschland beantragte. Sulaiman floh nach Halle an der Saale, später ging sie nach Berlin.

Die studierte Arabistin verdiente ihr Geld zunächst als Lehrerin für Arabisch. Nach Feierabend engagierte sie sich für die Al-Hadatha-Partei, die "Partei der Modernität und Demokratie für Syrien". Eine Gruppe von Oppositionellen, die 2001 im syrischen Untergrund entstand und heute von Deutschland aus operiert.

Je länger Baschar al-Assad herrschte, desto wichtiger wurde Sulaiman die Politik. Heute widmet sie ihre Zeit ganz der Partei. Sie betreut die Website, demonstriert, trifft Vertreter des Auswärtigen Amts, schreibt an das Europäische Parlament und tritt, wenn sie das für angebracht hält, auch in Hungerstreiks.

Im Juni veröffentlichte sie ein Video auf YouTube, in dem sie besonders die alawitische Minderheit in Syrien auffordert, für ihre Freiheit zu kämpfen. Assad ist Alawit, er gibt vor, seine Glaubensbrüder zu schützen und nur durch seine Zugehörigkeit zu dieser Minderheit den Vielvölkerstaat zusammenhalten zu können. Sulaiman betont deshalb explitzit: "Ich spüre, dass es gerade wichtig ist, offen zu sagen: Ich bin Alawitin und gegen das Regime."

Kein Kontakt zur Familie

Sie erzählt, dass sich viele Alawiten nach der Veröffentlichung des Videos bei ihr gemeldet hätten, um sie zu unterstützen. Das habe sie bestärkt. Doch auch das Regime reagierte - mit einer Einschüchterung.

Sulaimans Bruder wurde zum staatlichen Fernsehsender zitiert. "Er wurde gezwungen, schlechte Dinge über mich zu erzählen", sagt die Schwester. Er habe lügen müssen: "Mein Bruder sagte, dass er bisher nichts von meinen Aktivitäten wusste und dass ich dafür Geld von der deutschen Regierung und den europäischen Ländern bekomme."

Früher hat sie mit ihm oft über ihre Träume für die Zukunft Syriens gesprochen. Dann brach der Kontakt ab. "Der Sicherheitsdienst weiß alles, er hat sein Telefon abgehört", sagt Sulaiman. Ihre ganze Familie werde überwacht. Die Angehörigen wurden davor gewarnt, mit der Regimekritikerin Kontakt aufzunehmen. "Der Druck des Regimes wurde immer intensiver", erzählt Sulaiman. Ihre Verwandten hätten sie gebeten, nicht mehr anzurufen. Auch das Internet gilt als unsicher. Assads Häscher kontrollieren alle Kommunikationswege.

Ein Bericht von Amnesty International bestätigt das. Er nennt Beispiele von Exil-Syrern, deren Angehörige in der Heimat eingeschüchtert, eingesperrt oder gar gefoltert werden - auch wenn sie sich selbst nicht an Protesten beteiligen: Sippenhaft. Syrer würden gezwungen, im Staatfernsehen bestimmte Aussagen zu machen, um Freunde oder Verwandte in Misskredit zu bringen.

Nach monatelanger Kontaktsperre ertrug Sulaiman die Ungewissheit nicht mehr. Sie bat einen Bekannten in Syrien, ihre Familie zu besuchen. Zunächst vergeblich: "Zwischen den Dörfern stehen alle paar Kilometer Gruppen von Polizisten. Niemand darf einfach durchgehen."

Erst nach mehr als einem Monat sei es dem Bekannten gelungen, mit Sulaimans Schwager zu sprechen. Endlich erfuhr sie, dass ihre Angehörigen gesund sind. "Doch sie haben schreckliche Angst. Meine Schwester fürchtet sich, das Haus zu verlassen. Der Sicherheitsdienst verbreitet schlimme, falsche Informationen über mich. Das ist sehr schwer für meine Familie."

Ein demokratisches Syrien: "Das ist mein Traum"

Trotzdem will Sulaiman die Hoffnung nicht aufgeben. Nur so könne sie weiter für ein freies Syrien kämpfen. "Ein gutes Leben in einem demokratischen Land, in einem Rechtsstaat, in einem Land, das die Frauen- und Menschenrechte akzeptiert und achtet: Das ist mein Traum."

Sie weiß, dass es auf dem Weg dorthin noch viele Probleme gibt. Mit den Protesten sei jedoch ein Anfang gemacht. Dass sich inzwischen auch in Syrien viele Menschen gegen Assad richten, hat Sulaiman überrascht. "Ich dachte, die Menschen bräuchten noch mehr Zeit. Aber jetzt ist Syrien auf einem guten Weg. Unsere Ziele sind näher als zuvor."

Bis es so weit ist, erträgt sie die bedrohliche Post, die jede Woche auf sie einprasselt. Und hofft auf gute Nachrichten von ihrer Familie.

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