Opposition gegen Berlusconi in Italien:"Holen wir uns unser Land zurück"

Junge Reformer wollen Italiens eingerostete Politmaschinerie am liebsten "verschrotten" - allen voran der Bürgermeister von Florenz, Matteo Renzi. Tausende hat er in seine Stadt geladen, um Ideen zu sammeln, wie Italien reformiert werden kann. Die Leute sind sich sicher: Silvio Berlusconi hält sich nur dank käuflicher Abgeordneter an der Macht.

Andrea Bachstein, Florenz

Einen Urknall wollen sie, der wegsprengt, was Italien lähmt, und endlich alle Potentiale des Landes freisetzt. Mindestens 8000 Menschen sind am Wochenende nach Florenz gekommen, um Ideen zu sammeln, die umkrempeln sollen, was nicht funktioniert. Nach der jämmerlichen Rolle der Regierung von Ministerpräsident Silvio Berlusconi beim Management der Schuldenkrise fragt Europa besorgt, wie es um den Ernst und Willen der Italiener steht, wenn es ums Sparen und Reformieren geht. Beim "Big Bang" in Florenz ist dieser Wille jedenfalls geballt vorhanden.

Opening Of Pitti Immagine Uomo 79

"Der Verschrotter" wird der Bürgermeister von Florenz genannt. Matteo Renzi gilt vielen jungen Italienern als Hoffnungsträger. Er verlangt nach einer neuen politischen Führungsschicht - auch in seiner Partei, der sozialdemokratischen PD.

(Foto: Getty Images)

Eingeladen hat zu dem Treffen der Bürgermeister der Stadt, der immer mehr beachtete "Verschrotter" Matteo Renzi. So wird er genannt, weil er die ganze führende Generation der Politiker zum Alteisen werfen will - auch in seiner eigenen Partei, der sozialdemokratischen PD. 36 Jahre alt ist Renzi, und sein Pragmatismus und sein Kommunikationstalent machen ihn zu einer Hoffnungsfigur vieler jüngerer Menschen in der größten Oppositionspartei. Aber nicht nur in ihr.

Mit konkreten Vorschlägen sollten die Leute zum "Big Bang" im einstigen Bahnhof Leopolda kommen. In mindestens tausend Statements - jedes fünf Minuten lang - erklären sie dort, was sie zuerst täten, wenn sie an der Regierung wären. Es sind Junge und Ältere da, aber die meisten sind zwischen 30 und 40 Jahre alt. Schriftsteller und Professoren treten auf, eine wütende Studentin, eine gestandene Senatorin, junge Unternehmer und Anwälte, Turins früherer Bürgermeister, aber auch eine Lehrerin aus einem Problemviertel Palermos.

Sie erklären, was Firmengründungen erleichtern würde, wie die Justiz reformiert werden sollte und wie der Politikapparat verkleinert werden könnte. Sie erläutern, wo der Staat sparen kann und wie trotzdem Geld für Kultur übrigbliebe. Von Bildung über Frauenförderung bis zum Energiesparen reichen die Themen. Alle wollen Erneuerung und sind voller Überdruss an der jetzigen Politik und den verkrusteten Strukturen. Eine öffentliche Ethik wünschen sie sich, dass Leistung und Gemeinwohl zählen - und die Zukunft der Wirtschaft gesichert ist.

"Holen wir uns unser Land zurück", ruft einer - von der politischen Kaste, die es geraubt hat. Die Energie, mit der sie den alten Bahnhof laden, wollen sie dem Land geben, auch ohne Anordnungen aus Brüssel. "Wenn Italien zum Problem der EU geworden ist, dann sind die Politiker hier gescheitert", sagt vor der Halle Giuseppe Roccafiorita. Der 34-jährige Anwalt aus Ravenna findet es gut, dass Frankreich und Deutschland Druck auf Italien machen: "Seit 20 Jahren regieren uns inkompetente Leute." Der junge Unternehmer Filippo Rizzato ist aus der Gegend von Padua angereist und hat einen Vorschlag zur Steuerreform vorgetragen. Er sagt, die guten Ideen, die es in Italien gebe, bräuchten nur ein glaubwürdiges Gesicht in der Politik - das von Renzi. "Die Italiener können gut arbeiten", sagt Rizzato. Er ist überzeugt, dass sie es aus der Krise schaffen können. Nur würde es vielen schwer fallen, sich für Silvio Berlusconi anzustrengen. Es brauche ein Vorbild in der Politik.

Wie lange hält sich Berlusconi?

Die 8000 in Florenz stehen nicht alleine, das zeigt eine am Sonntag veröffentlichte Umfrage: Als am dringendsten sehen es 99,3 Prozent der Befragten an, die Zahl der Abgeordneten zu reduzieren. 97,5 Prozent wünschen härtere Strafen für Steuerhinterziehung - eine Ursache des Staatsdefizits von 1900 Milliarden Euro. Doch "Big Bang" und die Umfrage sind nur Ausschnitte eines Landes der Widersprüche: Zwischen Exzellenz und Rückständigkeit, zwischen Nord und Süd, zwischen Worten und Taten. Deshalb schaut Michele Borrelli auch skeptisch auf Italien. Er ist Erziehungswissenschaftler und Philosoph, Professor an der Universität von Kalabrien. Borrelli hat in Deutschland studiert und dort jahrelang an Hochschulen gelehrt, er kann Vergleiche ziehen und mit Distanz auf sein Land blicken.

Den Skandal zur Institution gemacht

Natürlich gebe es viele Fähige und Anständige, und natürlich habe Italien ein großes Potential. Aber damit es den Wandel schaffe, "braucht es die Hilfe von Europa". Druck wünscht er sich sogar, die EU dürfe eigentlich einen Mann wie Berlusconi, "Modell der Korruption auf allen Ebenen", nicht dulden. Solange Berlusconi regiere, meint Borrelli, werde es keine Politik geben, die die Wirtschaft ankurbelt. Berlusconis Mehrheit im Parlament "repräsentiert nicht mehr die Mehrheit des Landes", sagt Borrelli. Die Regierung halte sich nur dank käuflicher Abgeordneter. Das Problem sei, dass viele bereit seien, sich kaufen zu lassen - nicht nur in der Politik.

Der Premier habe zwar die öffentliche Moral ruiniert und "den Skandal zur Institution" gemacht. Aber, so Borrelli: "Berlusconi ist nicht vom Himmel gefallen. Er ist Produkt Italiens." In Italien nähmen viele Bürger den Staat als Feind wahr, der sie abkassiere. Die Ursachen dieser Ansicht reichten bis zur Staatsgründung vor 150 Jahren. Und nach dem Zweiten Weltkrieg, sagt Borrelli, habe Italien einen großen Fehler begangen. Während Deutschland auf politische Bildung und Erziehung zur Demokratie setzte, seien diese Themen aus Italiens Schulen verbannt worden. Deshalb seien Gemeinsinn und demokratische Überzeugung oft unterentwickelt. Zu viele kümmerten sich nur um ihre eigenen Interessen. Das lebe der Regierungschef vor.

Was Borrelli beschreibt, erklärt beispielsweise die fast selbstverständliche Steuerhinterziehung. Er wolle die Hoffnung nicht aufgeben, sagt der Professor, schon seiner Kinder wegen. Aber die Einstellung vieler Italiener zum Staat zu ändern, das sei eine Arbeit für Generationen, sie sei nicht in einigen Monaten zu schaffen. Wie lange Silvio Berlusconi sich noch im Amt halten kann, weiß niemand, auch wenn seine Regierung zerstritten ist und wackelt. Es bis 2013 zu schaffen, das ist sein Ziel. Bei einem durchaus möglichen Abstimmungsunfall im Parlament, könnte es aber auch ganz schnell gehen mit seinem Ende.

Spekuliert wird zudem über vorzeitige Wahlen im Frühjahr. Nach einer neuen Umfrage würden die sechs Parteien von der Mitte bis ganz links mit 43,9 Prozent die meisten Stimmen erhalten. Nur müssten sie sich auch einig sein. Das ist aber nicht einmal die größte Partei PD. Zünglein an der Waage könnten die drei bürgerlichen Kleinparteien der Mitte werden, die in der Umfrage 13,1 Prozent auf sich vereinen. Sie erwägen eine Koalition mit dem Regierungslager - allerdings ohne Berlusconi. Seine PDL, ihr Partner Lega Nord und die winzige "Rechte" kämen demnach auf 36,5 Prozent. Bleiben die anderen uneinig, würde das nach dem jetzigen Wahlgesetz wieder zur absoluten Mehrheit reichen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: