Operation Nachruf:In der Ruhe liegt die Kraft

Die Nachrufe auf Queen Mum lagen schon Jahrzehnte in den Schubladen.

Petra Steinberger

(SZ vom 4.8.00) - Es war wieder mal ein kleiner Skandal, einer von der Sorte, wie ihn die britischen Medien so lieben. Da hatte doch tatsächlich die eine große alte Institution gewagt, der anderen großen alten Institution eine Abfuhr zu verpassen. Und das auch noch öffentlich. Unglaublicherweise hatte sich die BBC geweigert, die Parade zu Ehren der Queen Mother zu übertragen - zwei Wochen vor ihrem 100. Geburtstag.

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Schweigen statt falscher Worte

"How dare the BBC snub Queen Mother", plärrte die Daily Mail vom Titel, als sie von diesem Sakrileg erfuhr: "Wie kann die BBC es wagen, die Königinmutter so vor den Kopf zu stoßen, sie so zu beleidigen. " Es half nichts, dass auch noch Gerüchte aufgekommen waren, die BBC habe lieber die tägliche Soap-Folge von Neighbours zur gewohnten und zielgruppenkompatiblen Zeit für die 14-49-Jährigens bringen wollen als eine Live-Parade mit Pferden und Uniformen und Elefanten zu Ehren einer Dame, die vor 51 Jahren die Zielgruppe verlassen hat. Jedenfalls forderte die Mail wegen republikanischer Sympathien den Kopf des BBC-Chefs Greg Dyke. Die Entscheidung zeige "das Ausmaß der journalistischen Unfähigkeit, unverzeihlich in einer solchen von der Öffentlichkeit finanzierten Institution".

Unfähigkeit? Die königliche Dame hatte seit 1923 kein persönliches Interview mehr gegeben. Dem Fernsehen schon gar nicht. Damals, als sie den späteren König George VI. , damals noch Duke of York, heiratete, hatte die BBC frech gefragt, ob man denn die Hochzeit im Radio übertragen dürfe. Abgelehnt. "Leute könnten zuhören, während sie im Pub sitzen und noch dazu den Hut aufbehalten", ließ der zuständige Geistliche verlauten. Später wurde Queen Mum gefragt, ob sie im Fernsehen über die Abdankung ihres Schwagers Edward VIII. von 1936 und Wallis Simpson reden wolle. "Ich fürchte, das kann ich nicht", meinte sie.

"Aber Ma'am, Ihr ganzes Leben hat sich dadurch verändert. "

"Ja. Ich weiß. Aber ich kann es einfach nicht. "

Vielleicht war es gerade ihr Schweigen, das den sonst konkurrenzlos bösartigen britischen Medien Respekt abtrotzte. Wer nichts sagt, kann auch nichts Falsches sagen. Besser noch, man kann in diesen Menschen hineininterpretieren, was man gerade möchte. Angenehm.

In der Tat, für viele Briten war ihre Ansprache anlässlich der Parade zum Hundertsten die erste Gelegenheit zu erfahren, dass Queen Mum nicht nur großartig winken kann. Und dass sie sich auch nicht anhört wie die Manchester-Stimme ihrer Puppe aus Spitting Image. Denn übertragen wurde die Parade natürlich doch, von ITV, dem Schmuddelkind unter den britischen Fernsehsendern. 7,3 Millionen Leute schalteten sich allein zu ihrer Rede dazu, und ITV konnte später verkünden, für diese Tageszeit sei das die höchste Zuschauerzahl seit sieben Jahren gewesen.

Wobei das Hoch von 1993 bezeichnenderweise dadurch zustande gekommen war, dass eine Folge von Coronation Street in den Vorabend gezogen wurde, weil danach ein Fußballfinale angesetzt war. Manchmal tun sich die Engländer schwer, ob sie ihrer täglichen Lieblingssoap den Vorzug geben sollen oder Fußball oder doch dem realen Dokudrama um die Royals und ihrer Übermutter mit dem vollständigen Titel: "Queen Elizabeth the Queen Mother". (Böse Stimmen behaupten übrigens, den habe sie sich zugelegt, damit man sie zweimal als Königin anreden müsse. ) Jedenfalls reagierte die andere "alte Tante" BBC beleidigt auf die Angriffe. Immerhin gebe man eine Million Pfund für den echten Geburtstag von Ma'am am 4. August aus. Man wolle, gereizter Seitenhieb Richtung ITV, "die Stimmung der Nation am Tag selbst einfangen". Wie auch immer: Ein solcher Akt der Respektlosigkeit wäre noch vor ein paar Jahren undenkbar gewesen. Die Königliche Familie war heilig, und die Allerheiligste von ihnen war "Königin Elisabeth die Königinmutter". Noch vor zwei Jahren machten die BBC-Nachrichten ihre Hüftoperation zur Spitzenmeldung, während in der Regierung diskutiert wurde, ob man nun einen neuen Krieg gegen den Irak beginnen solle oder eher nicht. Die Fernsehsender unterschieden sich zwar in ihrer Behandlung der Royals - die Times definierte BBC 1 als "vorsichtig neutral", BBC 2 als "skeptisch", Channel 4 als "republikanisch" und ITV als Gameshow mit dem Titel Wer will einmal ein Monarch werden? -, aber das Knie wurde gebeugt im Angesicht des Königlichen.

Dann kam Diana. Königin der Herzen - perfiderweise ein Name, den man einst Queen Mum gegeben hatte. Diana starb, und weil man mit ihrem Ableben weniger gerechnet hatte, wurden zwecks Sofortumbau des Programms eben die Pläne aus den Schubladen gezogen, die dort für den Fall lagen, dass die Mutter von Volk und Königin ihren nächsten Geburtstag nicht mehr erleben sollte.

Die geheimen Pläne gibt es im Londoner Regierungsviertel, Codename: "Operation Lion". Pläne gibt es auch in der BBC, wo immer mal wieder und sehr klammheimlich jener unvermeidbare Tag geprobt wird, der über Großbritannien hängt wie eine Gewitterwolke. Der königliche Biograph Anthony Holden durfte einmal daran teilnehmen, noch vor Dianas Ableben. Es wird so aussehen: Das normale Programm wird gestrichen, berichtet er, keine East Enders, keine Coronation Street, keine Neighbours. Mit traurigen Augen und schwarzer Krawatte werden die Sprecher die Nachrichten verlesen und live vom Ort berichten. Dem Programm werden Filmeinspielungen aus der Zeit des german blitzkrieg - the blitz - und damit Queen Mum's einzig großer Stunde der Tapferkeit beigemischt. Holden: "Ehrlich gesagt, sonst gibt es ja nicht viel zu erzählen. "

Aber ums Erzählen einer Lebensgeschichte geht es eh nicht mehr. In den letzten Wochen und Monaten vor jenem 100. Geburtstag ist "God Bless You, Ma'am!" zum Schlachtruf der Royalisten geworden, während die immer forscher werdenden Republikaner in den Medien nach alter englischer Art Gift und Galle über sie ausschütten. Ein Kolumnist des Independent meinte gar, "da müssen doch eine Menge Leute dafür beten, dass sie nicht in der letzten Minute vom Hocker kippt. Ich wette, jedesmal wenn sie niest, kommt eine Legion von königlichen Dienern angerannt und schreit: ,Bringt ihr ein Wick, for God's sake, ich habe schon den Einsatz für die Staatskutsche hinterlegt. '"

In jedem Fall kann man damit rechnen, dass sich zumindest die BBC nicht daneben benehmen wird. Man wird am heutigen Freitag brav mehrere Stunden live berichten. Und man wird nett sein zu Queen Mum. Weil sie und ihre Familie im Lauf der Jahre genauso gebeutelt worden sind wie "Auntie" BBC selbst. Ein Relikt aus Zeiten des Empire versteht eben das andere.

Und Buckingham Palace? Dort behandelt man die Berichterstattung zum Geburtstag so, wie man es meistens und meist mit Erfolg gemacht hat, wenn die Medien den alten Royalisten-Republikaner-Streit ausfochten. Ein Palastsprecher stellt sich hin und sagt: "Wir halten es für unangemessen, uns einzumischen. "

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