Online-Durchsuchungen:Ein Kampf um Troja

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Das Bundesverfassungsgericht präsentiert ein neues "Computer-Grundrecht". Es lässt aber trotzdem Trojaner und Online-Durchsuchungen in Ausnahmefällen zu und stellt genaue Regeln dafür auf. Das Grundsatzurteil ist kein Freibrief, sondern eine Mahnung.

Heribert Prantl

Die Geburt eines neuen Sterns ist ein astrophysikalisches Schauspiel. Die Geburt eines neuen Grundrechts ist eine juristische und gesellschaftspolitische Sensation. Diese Sensation hat sich soeben in Karlsruhe ereignet.

Die Richter am Bundesverfassungericht haben das Recht auf Online-Durchsuchungen stark eingeschränkt. (Foto: Foto: ap)

Das Bundesverfassungsgericht hat, zum zweiten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik, ein neues Grundrecht erschaffen: Das erste war, im Streit über die Volkszählung vor 25 Jahren, das Grundrecht "auf informationelle Selbstbe-stimmung".

Das neue Grundrecht trägt einen noch komplizierteren Namen, die Richter nennen es "Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme". Man kann das neue Grundrecht auch "Computer-Grundrecht" nennen.

Es ist das neue Grundrecht des Internet-Bürgers: Es schützt private Computer und Speichermedien, es bewahrt Computer-Dateien vor beliebigem staatlichen Zugriff, es schützt die Persönlichkeit und Intimität der Bürger im elektronischen Zeitalter.

Hurtige Sätze reichen nicht

Gleichwohl läßt aber das Bundesverfassungsgericht in seiner nicht nur juristisch, sondern auch technisch kundigen Entscheidung die staatliche Online-Durchsuchung zu, aber nur unter strengen Voraussetzungen; sie hätten aber noch strenger sein können - und müssen. Das nordrhein-westfälische Gesetz freilich, das Gegenstand der Überfprüfung war, ist rundum verfassungswidrig. Es wurde für nichtig erklärt.

Der Bundesinnenminister wird nun sein Online-Durchsuchungsrecht (das er in einem geplanten Paragraphen 20 k des BKA-Gesetzes formuliert hat und das er dem Bundeskriminalamt gewähren will) völlig neu fassen müssen. Mit ein paar hurtigen Sätzen, wie bisher vorgesehen, wird es nicht abgetan sein.

Die lalligen Allgemeinplätze, die bisher die staatliche Infiltration in Computer-Systeme rechtfertigen sollten (wenn "die Abwehr der dringenden Gefahr oder die Verhütung von Straftaten ... auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre") sind verfassungswidrig.

Die Verfassungsrichter verlangen vom Gesetzgeber mehr Konkretisierung: Sie verbieten die Computer-Durchsuchung im bloßen Vorfeld von Straftaten, sie lassen die abstrakte Gefahr, von der Sicherheitsbehörden so gern reden, nicht genügen - sie verlangen eine Gefahrenprognose die auf eine "konkrete Gefahr" bezogen ist.

Sie verlangen Grundrechts-Sensibilität beim Zugriff auf Dateien - und weil die Richter ahnen, dass das nicht funktioniert, verlangen sie, dass bei der Auswertung der kopierten Dateien die höchstpersönlichen Daten sofort gelöscht werden müssen. Weil die Verfassungsrichter den staatlichen Zugriff auf Computer eindringlich und komplett unter Richtervorbehalt stellen, wird auch diese Datenlese und Datenlöschung richterlicher Kontrolle übertragen werden müssen.

Grundrechtsname als Mantra

Der neue Kampf um Troja ist also entschieden: Der Staat darf "Bundestrojaner" einsetzen, um in Computer einzudringen, er darf es aber nur in besonderen Fällen konkreter Gefahr und nur unter richterlicher Aufsicht und Kontrolle. Die Karlsruher Entscheidung ist also eine "Ja, aber-Entscheidung", wobei diesmal dem Ja nicht nur ein Aber, sondern viele große Aber folgen.

Sie gibt dem Bürger ein neues Grundrecht, gibt aber auch dem Staat sogleich den Zugriff darauf. "Was ist denn die Alternative zur Online-Duchsuchung?", so ist in den vergangenen Monaten in vielen sicherheitspolitischen Diskussionen gefragt worden. Die Antwort "keine Online-Durchsuchung" hat sich das höchste Gericht nicht zu geben getraut - angesichts der Hinweise der Sicherheitsbehörden darauf, dass per Internet und Computer auch Terrorpläne geschmiedet und gespeichert werden.

Das Verfassungsgericht hat versucht, dem Bürger zu geben, was des Bürgers, und dem Staat, was des Staates ist. Im Gesetzgebungsverfahren wird nun über die Interpretationshoheit einzelner Sätze gestritten werden: Im Zentrum des Streits wird Seite 76 des Urteils stehen; dort legt das Gericht dar, wie groß und konkret und personalisierbar eine Gefahr sein muss - es eiert aber dann doch ziemlich herum (man liest förmlich, wie die acht Richter hier um die Formulierungen gerungen haben).

Die Geburtsurkunde des neuen Computer-Grundrechts ist zwar lang, 106 Seiten lang - immer wieder wiederholt sie den Namen des neuen Grundrechts, als wolle es ihn der Politik eintrichtern. Es ist das Mantra der Richter bei dieser großen Entscheidung: Das Gericht doziert vom neuen Mediengrundrecht, während es das nordrhein-westfälische Verfassungsschutzgesetz in viele kleine Schnipsel zerreißt.

Schutzbedürftigkeit des Internet-Bürgers

Von diesem Gesetz, es war das erste in Deutschland, das die staatliche Online-Durchsuchung zugelassen hat, bleibt nichts, aber auch gar nichts übrig. Es ist von vorn bis hinten verfassungswidrig, es ist, wie die Verfassungsjuristen sagen, nichtig - weil es selbst die rechtsstaatlichen Regeln negiert, die heute schon gelten.

Es verstößt gegen die Gebote der Normenklarheit, der Normbestimmtheit, gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip. Das nordrhein-westfälische Landesgesetz ist ein brutal-anschauliches Exempel für die Grundrechtsferne des Gesetzgebers auf dem Gebiet der inneren Sicherheit. Es sollte dem Bundesgesetzgeber zur Warnung dienen, wenn er nun daran geht, ein ordentliches Online-Durchsuchungsgesetz zu schreiben.

Das höchste Gericht hat die neue Schutzbedürftigkeit des Internet-Bürgers erkannt: Der Artikel 10, der das Fernmeldegeheimnis schützt, tut dies nur für den laufenden Telekommunikationsverkehr. Der Artikel 13, der die Unverletztlichkeit der Wohnung schützt, schützt nicht vor der Infiltration der Computer.

Und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung schützt nur einzelne Daten, nicht aber die Gesamtheit von Dateien und Informationen, wie sie im PC gespeichert sind. Diese Schutzlücke hat das Verfassungsgericht mit dem neuen Grundrecht geschlossen. Der PC gilt, weit mehr als das Telefon, mehr sogar als Wohnung und Schlafzimmer, als Inbegriff der Privatheit.

Wenn sich der Staat nicht zurückhält, gerät die Aktzeptanz der Sicherheitsgesetze ins Wanken. Der gesellschaftliche Schaden, den daher der Online-Durchsucher anrichtet, kann erheblich größer sein als der kriminalistische Nutzen. Das heißt: Der Staat muss sich sehr zurückhalten. Das Urteil des Verfassungsgerichts zur Online-Durchsuchung ist kein Freibrief, sondern eine Mahnung.

© SZ vom 28.2.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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