Olympia:Bachs Gnadenspiele

Die Megastädte Paris und Los Angeles könnten als Ausrichter der nächsten Spiele eine großartige Kulisse für den Sport abgeben. Das IOC aber hat ein ganz anderes Motiv, warum es sich diesen Gastgebern geradezu unterwirft. Es geht um die vielleicht letzte Chance.

Von Claudio Catuogno

Beach-Volleyball im Schatten des Eiffelturms. Radrennen auf den Champs-Élysées. Fechten unter der gläsernen Kuppel des Grand Palais. Bogenschießen vor dem Invalidendom. Will da wirklich noch jemand behaupten, die Olympischen Spiele stünden am Scheideweg - wo ihnen gerade diese Kulisse angedient wird? Paris will die Spiele 2024 ausrichten, an den zauberhaftesten Plätzen dieser insgesamt sehr zauberhaften Stadt. Für Olympia ist das ein Glücksfall - je bombastischer die Verpackung daherkommt, umso nachsichtiger lässt sich ja bisweilen über den Inhalt hinwegsehen.

Auch Los Angeles will die Spiele 2024 und verspricht: die Lässigkeit von Long Beach und Santa Monica. Außerdem ganz viel "Hightech" - und vor allem Spiele, für die man so gut wie nichts neu bauen müsste. In Rio de Janeiro hat der olympische Kraftakt von 2016 den Bankrott einer gesamten Region beschleunigt, in L.A. wären alle Sportstätten schon da. Entsprechend positiv sieht die Bevölkerung das Projekt: 78 Prozent der Einwohner sind dafür.

Es ist also nur verständlich, dass das Internationale Olympische Komitee (IOC) unter seinem Präsidenten Thomas Bach gerade sehr erpicht darauf ist, mit beiden Metropolen ins Geschäft zu kommen. Indem es die Spiele 2024 und 2028 im Paket vergibt, anstatt die Kandidaten, wie bisher üblich, in einen Bieterwettkampf zu treiben. Am liebsten wäre es den Olympia-Verwaltern sogar, die Städte könnten sich selbst darauf einigen, wer welchen Termin übernimmt. Das ist dann schon ein erstaunliches Verfahren, wenn man bedenkt, dass es bisher das stolze Selbstverständnis des IOC-Zirkels war, alle paar Jahre eine Gewinnerstadt zu küren (und dabei bisweilen diskret die Hand aufzuhalten). Das Verfahren zeigt, wie ernst die Lage ist.

Paris und Los Angeles könnten dem IOC aus der Bredouille helfen

Denn die Wahrheit ist: Paris und Los Angeles sind derzeit die einzigen Großstädte auf diesem Planeten, die Olympia noch eine Heimat geben wollen (mal abgesehen von Planspielen in Doha oder der immer mal wieder aufgewärmten Idee einiger Lokalgrößen, die Spiele an Rhein und Ruhr auszutragen). Hamburg, Rom, Budapest, Boston - sie alle hatten ihre Kampagnen für 2024 wieder storniert. Selbst L.A. ist in den USA nur der Ersatzkandidat.

Da kann Thomas Bach noch so sehr von der "Win-win-win"-Situation reden, die eine Doppelvergabe aus seiner Sicht schafft: für Paris, für L.A., für das IOC. Tatsächlich offenbart sich in dem ungewöhnlichen Prozess das Dilemma der olympischen Gegenwart. Die Olympia-Skepsis vor Ort hat oft mit Themen der Stadtentwicklung zu tun: mit der Angst vor steigenden Mieten, mit den als Knebelung empfundenen Bedingungen des IOC. Doch gerade in offenen Gesellschaften fragt sich das Publikum zunehmend, was genau sich da eigentlich hinter dem Label Olympia verbirgt. Eine Scheinwelt? Superhelden, die Dopingfahnder austricksen? 2016 in Rio wollte Thomas Bach selbst dann noch um jeden Preis ein russisches Team dabeihaben, als längst klar war, dass Politik und Geheimdienste in Moskau ein groß angelegtes Doping-Betrugssystem unterhielten. Für die olympische Glaubwürdigkeit war das der endgültige Sargnagel.

Das IOC braucht Paris und L.A., umgekehrt ist das nicht unbedingt der Fall. Die nächsten Winterspiele finden in der Retortensiedlung Pyeongchang in Südkorea statt, im Sommer 2020 trifft man sich in Tokio, und nachdem sich für die Winterspiele 2022 in München, Oslo und Graubünden jeweils keine Mehrheiten fanden, wählte das IOC tatsächlich den Sommer-Ausrichter von 2008. Skifahren in Peking.

Mit dem respektablen Duo Paris/L.A. hat sich das IOC etwas Zeit erkauft. Das Problem ist: Nichts deutet darauf hin, dass es sie nutzen wird, um den Spielen wieder ein glaubwürdiges Fundament zu geben.

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