Oktoberrevolution:Was von Lenin übrig blieb

Oktoberrevolution: Russische Kommunisten feiern in Moskau den Jahrestag der Oktoberrevolution, doch die Führung des Landes blickt eher ambivalent auf die Ereignisse von 1917.

Russische Kommunisten feiern in Moskau den Jahrestag der Oktoberrevolution, doch die Führung des Landes blickt eher ambivalent auf die Ereignisse von 1917.

(Foto: AFP)

Die Oktoberrevolution gehört zu Russland wie Wodka und Kreml. Doch in Putins Reich sind Revolutionen nicht gerne gesehen. Das Land hadert mit der Erinnerung.

Kommentar von Frank Nienhuysen

Russlands Kommunisten genießen noch einmal einen historischen Moment. Mit einem Marsch feiern sie die Oktoberrevolution vor 100 Jahren, als die Bolschewisten mühelos eine bereits erschöpfte liberale Regierung entmachteten. Sie können dabei an großen Symbolen ihrer Zeit entlangziehen: Noch immer liegt der Revolutionsführer Wladimir Illjitsch im Moskauer Mausoleum, noch immer trägt die gewaltige Staatsbibliothek den Namen Lenin.

Auf den Kremltürmen leuchtet der Rote Stern, die fünf Zacken stehen für die alle Kontinente umspannende Bewegung. Doch der Stern strahlt längst auch inmitten der kapitalistischen Welt: als Logo des New Yorkers Kaufhauses Macys etwa, oder auf den Etiketten des sehr unkommunistischen Bierbrauers Heineken. Und nicht einmal Russland selbst hält das Gedenken in Ehren.

Präsident Wladimir Putin hat das Jahr 1917 einmal mit einer Autobombe verglichen, "die unter das Gebäude gelegt wurde, das Russland heißt". Der Staat erträgt das historische Jubiläum deshalb eher wie einen kalten Regenguss, der auch wieder vorüberzieht.

Der Feiertag, zur Sowjetzeit am 7. November stets mit großem Pomp ausgetragen, ist längst auf den 4. November vordatiert und erinnert an die Befreiung Moskaus von der polnischen Besatzung im Jahr 1612. Die Erinnerung stört, Russland würde es sehr begrüßen, wenn es nie wieder eine Revolution gäbe. Revolution bedeutet Umsturz. Die Führung in Moskau versteht sich hingegen als Hüterin politischer Stabilität. Wozu also an Zeiten des Umsturzes erinnern?

Von allen Republiken des einstigen Sowjetimperiums begeht nur noch Weißrussland den 7. November als Feiertag. In Russland, wo man sich schon mit Grausen an die jüngeren Volten in Georgien, der Ukraine oder an die Massenproteste vor fünf Jahren im eigenen Land erinnert, pflegt man einen sehr pragmatischen Umgang mit den Ereignissen vor einem Jahrhundert. Die lange Geschichte Russlands dient dabei als Reservoir, aus dem man sich nach Bedarf bedienen kann, um so etwas wie historische Kontinuität zu schaffen.

So gehört die orthodoxe Kirche, in den sowjetischen Dekaden malträtiert, inzwischen wieder zu den Säulen des Staates. Gotteshäuser, einst gnadenlos konfisziert, werden an die Kirche zurückgegeben. Aber auch vom Kommunismus der Sowjetunion, den selbst die Kommunisten nicht wirklich zurückhaben wollen, werden wichtige Bestandteile übernommen: Mütterchen Staat etwa, das beansprucht, sich um alles zu kümmern - wenn im Gegenzug seine Autorität nicht in Zweifel gezogen wird.

Niemand in Russland will zurück in die Vergangenheit

Dazu kommt der Einfluss der mächtigen Geheim- und Sicherheitsdienste und der Ehrgeiz, zu den Großmächten auf dem Globus gehören zu wollen. Der Tag des Sieges im Mai, nicht Lenins Oktoberrevolution, bestimmt das Maß der Erinnerungskultur. Man kokettiert mehr mit Stalin als mit Lenin.

Zurück in die Vergangenheit will niemand in Russland. Das Land hat sich von der kommunistischen Ideologie verabschiedet, verzichtet zugleich aber darauf, den westlichen Wertekanon von Demokratie, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit mit gleichem Eifer zu übernehmen. Diese Melange erzeugt in Russland überhaupt keinen Widerspruch: Der Staat kontrolliert und bestimmt, trotzdem regiert auch der Kapitalismus mit Vehemenz, trotzdem können Russen individuelle Lebensentwürfe verwirklichen, solange sie sich mit Kritik zurückhalten.

Freilich: Schöpferische Kraft, der kreative Wettbewerb in Kunst, Politik und Wirtschaft - all das wird nicht gefördert. So leiden bürgerliche Freiheiten, und die Gesellschaft nimmt ihre Einschränkungen in Kauf. Das sind wohl die eindrücklichsten Hinterlassenschaften der kommunistischen Epoche.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: