Österreich:Zur Not eine Sonderverordnung

Wien bereitet sich auf weitere Flüchtlinge vor: Sobald 37 500 Asylanträge eingegangen sind, soll eine Art Notstand gelten.

Von Cathrin Kahlweit, Wien

Schon bei den Begrifflichkeiten scheiden sich die Geister: "Notverordnung" nennt ÖVP-Innenminister Wolfgang Sobotka das Gesetz, das am Dienstag in Wien fertiggestellt und flugs in eine vierwöchige Begutachtung geschickt wurde, "Sonderverordnung", sagt Österreichs SPÖ-Kanzler Christian Kern vorsichtig, doch beide meinen das Gleiche: Sobald im laufenden Jahr mehr als 37 500 Asylanträge in Österreich eingegangen sind, ist geplant, eine Art Notstand auszurufen, weil die öffentliche Ordnung und die innere Sicherheit gefährdet sowie Arbeitsmarkt und Wohnungsmarkt überfordert seien. Von diesem Moment an müssten Asylanträge nicht mehr bearbeitet und Antragsteller nicht mehr ins Land gelassen werden.

So weit, so kompliziert für einen Staat wie Österreich, der sich der Genfer Konvention verpflichtet fühlt, weshalb Kanzler Kern am Dienstag in Wien das eigentlich Selbstverständliche betonte und erklärte, man wolle das Gesetz juristisch sauber formulieren, um zu vermeiden, dass der Europäische Gerichtshof es gleich wieder kippt. In Kraft treten würde die Verordnung erst ab dem 37 501. Antrag und dann erst einmal für sechs Monate - was insofern verwirrend ist, als qua Parlamentsbeschluss vom Frühjahr für das Jahr 2017 ohnehin nur eine Quote von maximal 35 000 möglichen Anträgen gelten soll.

Um die Zahl bei 37 500 einzufrieren, sollen zudem Vereinbarungen mit Ungarn, Slowenien und Italien für die Rückführung von Flüchtlingen getroffen werden, die ihren Asylantrag nicht erst in Österreich stellen - was sich, zumindest im Falle von Ungarn, als Ding der Unmöglichkeit herausstellen dürfte. Schließlich hatte Ungarns Regierungssprecher Zoltán Kovács am Montag in Wien keinen Zweifel daran gelassen, dass Budapest nicht einen einzigen Flüchtling im Rahmen des Dublin-Abkommens zurücknehmen werde.

Kritiker der Sondervereinbarung warnen für den Fall, dass diese wirklich kommt, vor Bildern von überfüllten Transitzonen an Österreichs Grenzen, die sich schnell in Elendsquartiere verwandeln könnten. Kern betonte, dass es so weit nicht kommen müsse, weil die Zahl von 37 500 Asylanträgen für 2016 womöglich gar nicht erreicht werde: Die Einreisen aus Ungarn hätten sich miniminiert, zudem kooperiere man verstärkt bei der Sicherung der Außengrenzen, was den Zustrom von Asylbewerbern zusätzlich senke. Auch die Zahl von 11 700 Flüchtlingen, die im ersten Halbjahr 2016 von den deutschen Behörden abgewiesen und nach Österreich zurückgeschickt wurden, habe die Lage nicht dramatisch verschärft. Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (ÖVP) sekundierte, die Notverordnung sei eine "Vorbereitung für den Ernstfall, der hoffentlich nicht eintreten wird".

Kern stellte am Dienstag neben einigen Details der Sonderverordnung auch weitere Pläne der rot-schwarzen Koalition für die nächsten Monate vor, darunter: Maßnahmen zur Steuertransparenz, 200 000 neue Arbeitsplätze bis 2020, eine Ausbildungspflicht für unter 26-Jährige, Investitionsanreize für Unternehmen - und einen Kriterienkatalog für künftige Koalitionen.

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