Österreich:Wurst voran

Seit eine vollbärtige Dame im Abendkleid vergangenes Jahr in Kopenhagen den Eurovision Song Contest gewann, ist ganz Österreich weltoffen, liberal und tolerant. Ganz Österreich? Nicht die Politik.

Von Cathrin Kahlweit

Conchita Wurst ist, man kann es nicht anders sagen, persönlich ganz entzückend. Charmant, höflich, und gesegnet mit einer Gabe, die Diplomaten gut brauchen können: Sie gibt jedem Gesprächspartner das Gefühl, dass sie sich momentan nichts Schöneres vorstellen könnte, als zum x-ten Mal über Toleranz, Menschen- und Homosexuellenrechte zu sprechen.

Österreich hat Glück gehabt mit dieser Welt-Botschafterin, die vor einem Jahr den Musikwettbewerb Eurovision Song Contest gewann und seither international überraschend ernst genommen wird: eine Dragqueen, die nie aus der Rolle fällt. Wenn sich Frau Wurst kritisch über die Situation von Homosexuellen in Österreich äußert, tut sie das übervorsichtig. Niemand beißt die Hand, die einen füttert. Also sagt sie höchstens, es sei erstaunlich, dass "das so lange dauert" mit den neuen Gesetzen, die der Schwulen- und Lesbencommunity nach Österreichs Sieg in Kopenhagen in der ersten Euphorie in Aussicht gestellt worden waren.

Schwul, lesbisch, transgender - die Bevölkerung ist da längst nicht mehr so ablehnend wie früher. Wenn Conchita Letzte geworden wäre beim ESC, wäre die Begeisterung der Österreicher für die Botschaft ihres Stars wahrscheinlich weniger überbordend. So aber ist sie ganz selbstverständlich landesweit als bärtiger Kopf auf einem berühmten Porträt von Gustav Klimt plakatiert, mit dem für den Life Ball in Wien geworben wurde. Und den Ball selbst, der sich dem Kampf gegen Aids verschrieben hat, eröffnete sie natürlich auch. Beim UN-Generalsekretär war sie eingeladen, darauf ist man sehr stolz, und bei Kanzler Werner Faymann auch. Conchita hat alle etwas lockerer gemacht.

Nur die Politik des Landes, das sich mit Reformen grundsätzlich schwertut, hinkt in gesellschaftlichen Fragen der Wirklichkeit hinterher. In Großbritannien bekennt sich Premier David Cameron dazu, er sei für die Homo-Ehe, nicht obwohl - sondern weil er konservativ sei. In Irland fand am Freitag ein Verfassungsreferendum für die Homo-Ehe statt, das von allen großen Parteien befürwortet wird. Selbst katholische Länder wie Spanien sind weiter. Aber in Österreich, das sich derzeit als Gastgeber des 60. ESC mit seiner Aufgeschlossenheit brüstet, sind Homo-Ehen nicht erlaubt. Eingetragene Partnerschaften dürfen nicht auf dem Standesamt geschlossen werden. Paare dürfen keinen "Familiennamen" tragen. Vom Verfassungsgericht, nicht von der Politik gekippt wurden die Verbote, außer den leiblichen Kinder des Partners auch gemeinsam fremde Kinder zu adoptieren oder sich als Lesbe den Kinderwunsch per Samenspende zu erfüllen. Der Standard spricht von "Österreichs liberaler Fassade" und Conchita als "Aushängeschild".

Die konservative Volkspartei, die sich anfangs eher schwertat mit diesem globalen Aushängeschild, das sich zu seiner Homosexualität bekennt und Perücke zur Abendrobe trägt, wehrt sich bis heute gegen eine "Anlassgesetzgebung". Ein runder Tisch, der Parteien und gesellschaftliche Gruppen zusammenführt, hat auch noch kein greifbares Ergebnis gebracht. Im Familienministerium heißt es, dass Veränderungen ja "nicht auf Knopfdruck" geschehen könnten.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: