Österreich:Wo die Not spürbar wird

Österreich: Auf dem Weg Richtung Norden: Eine Gruppe Flüchtlinge bei Dobova nahe der Grenze zwischen Kroatien und Österreich.

Auf dem Weg Richtung Norden: Eine Gruppe Flüchtlinge bei Dobova nahe der Grenze zwischen Kroatien und Österreich.

(Foto: Darko Bandic/AP)

In Wien suchen Lokalpolitiker Lösungen für Flüchtende.

Von C. Kahlweit, M. Köpf, Wien

Das Timing könnte nicht besser sein: Nur einen Tag, nachdem die Wiener Regierung eine Obergrenze für Flüchtlinge verkündet hat, die schon im Mai dieses Jahres erreicht sein könnte, findet in der Hauptstadt eine Internationale Bürgermeisterkonferenz statt. Geladen sind Kommunalpolitiker aus Libanon und Jordanien, aus der Türkei und Griechenland, den Staaten der Balkanroute und der EU. Und natürlich ist die Obergrenze ein großes Thema, denn sie wirkt sich auf alle Nachbarstaaten per Domino-Effekt aus - was die Regierung beabsichtigt hatte. Sie erwarte, dass andere Länder ebenfalls solche Maßnahmen treffen und so den Flüchtlingsstrom bremsen, bestätigte Innenministerin Johanna Mikl-Leitner in der Boulevardzeitung Österreich.

Derweil leben in Libanon allein etwa zwei Millionen Flüchtlinge bei einer Gesamtbevölkerung von vier Millionen, in Jordanien mit seinen knapp zehn Millionen Bürgern sind es 2,6 Millionen. Und so berichten Lokalpolitiker aus dem arabischen Raum auf der Konferenz davon, dass sie nicht genug Wasser herbeischaffen können für die Flüchtlinge und der Abwässer und Abfälle nicht mehr Herr werden. Sie klagen über Versorgungsengpässe und Bildungsnot, über Ausbeuter und Profiteure unter Vermietern und Schleppern, die an der Not der Millionen verdienten. Es ist ein trauriges Treffen, das von privaten Sponsoren und der ÖBB finanziert, von der Kreisky- und der Kahane-Stiftung organisiert, und unter anderem vom Künstler André Heller initiiert wurde. Und es soll doch noch ein ermutigendes Treffen werden, bei dem besprochen wird, wie man sich besser organisieren, besser helfen kann.

Co-Gastgeber ist der Sozialdemokrat Andreas Babler, Bürgermeister der Stadt Traiskirchen in Niederösterreich, wo sich das überbelegte Landes-Erstaufnahmezentrum für Flüchtlinge befindet. Der 42-Jährige ist einer der exponiertesten Kritiker der Regierungslinie in der Flüchtlingspolitik. Seit SPÖ und ÖVP nun eine Obergrenze von 127 500 Geflüchteten bis 2019 bekannt gegeben haben, ärgert er sich noch mehr als sonst über seine eigene Partei. Kanzler Werner Faymann (SPÖ), sagt er, habe sich bei seiner Zustimmung, welche viele Sozialdemokraten noch einen Tag vorher für undenkbar gehalten hätten, offenbar nur an parteipolitischen Interessen orientiert und einen Bruch der Koalition vermeiden wollen. Dieter Posch, Bürgermeister aus Neudörfl im Burgenland und Vorzeige-Politiker bei der Integration von Flüchtlingen, ergänzt bedauernd, viele Funktionäre seien offenbar erleichtert, dass man ihnen nun von oben die Verantwortung abnehme. Posch ist, wie Babler, ein scharfer Kritiker der neuen Parteilinie.

Auch aus der Wiener SPÖ wird massiver Widerstand gegen die Obergrenze gemeldet, die viele Mitglieder als Tabubruch betrachten. Und Gutachter Walter Obwexer, der für die Koalition die Machbarkeit der Obergrenze prüfen soll, lässt via ORF wissen, Österreich dürfe "nicht vollkommen dicht machen". Leicht wird es die Regierung in Wien innenpolitisch nicht haben.

An der österreichisch-deutschen Grenze in Bayern haben die Behörden in den vergangenen Monaten zu einem vergleichsweise reibungslosen Verfahren zur Übergabe der Flüchtlinge gefunden, so chaotische Szenen wie noch im Herbst gibt es inzwischen nicht mehr. In Bussen und teilweise auch per Bahn reisen Gruppen von jeweils 50 Flüchtlingen ein, die Bundespolizei steigt meist auf österreichischem Gebiet zu und geleitet die Neuankömmlinge in Notaufnahme-Zentren in Rosenheim, Passau und Freilassing, von wo aus die Asylbewerber nach einer ersten Identifizierung die Weiterreise antreten. Auf diese Weise sind in den vergangenen Tagen jeweils etwa 3000 Flüchtlinge ins Land gekommen. Bei den im vergangenen September eingeführten Grenzkontrollen stößt die Bundespolizei dagegen kaum auf Flüchtlinge. Dauerhafte Kontrollen gibt es in Bayern nur an fünf von insgesamt 70 Grenzübergängen - vor allem an Kontrollpunkten an den Autobahnen bei Passau, Salzburg und im Inntal. Dort bilden sich regelmäßig kilometerlange Rückstaus.

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