Österreich:Wie Kanzler Kurz die EU auf seine Linie bringt

European Commission President Jean-Claude Juncker speaks with Austrian Chancellor Sebastian Kurz during an informal EU summit on migration at EU headquarters in Brussels

Jean-Claude Juncker und Sebastian Kurz "schwimmen in dieselbe Richtung".

(Foto: REUTERS)
  • Wien hat die EU-Ratspräsidentschaft inne und will seine harte Linie bei der Migration durchsetzen.
  • Die Strategie hat offenbar Erfolg: Bei seinem Wien-Besuch betont EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker den Schutz der Außengrenzen.
  • Doch einen Streitpunkt gibt es noch: Wer finanziert die totale Abschottung?

Von Alexander Mühlauer, Wien

Am Wiener Ballhausplatz ist in diesen Tagen häufig von einem Umbruch die Rede. Sebastian Kurz, der dort als Bundeskanzler residiert, spricht am liebsten von einer Trendwende oder, um es noch deutlicher zu sagen, von einem "totalen Systemwechsel". Ein "Umdenken in den Köpfen" habe stattgefunden. Die Europäische Union lege beim Thema "Migration" endlich den Fokus auf die Sicherung ihrer Außengrenzen.

Kanzler Kurz kann für sich beanspruchen, dass er dies schon seit Jahren fordert. Nun scheinen ihm der Zeitgeist und die politischen Realitäten recht zu geben. Wie es aussieht, wird die österreichische Abschottungspolitik zum Mainstream in Europa.

Wie sehr sich die Wiener Position durchsetzt, zeigte sich am Freitag, als Jean-Claude Juncker zusammen mit Kurz vor die Presse trat. Der EU-Kommissionspräsident war nach Wien gekommen, um mit der österreichischen Regierung den politischen Fahrplan bis zum Jahresende abzustimmen. Seit Juli hat die Alpenrepublik die EU-Ratspräsidentschaft inne, Kurz hat der illegalen Migration den Kampf angesagt. "Österreich und die Kommission schwimmen in dieselbe Richtung", sagte Juncker.

Als Beweis dafür kündigte der Kommissionschef an, im September einen Vorschlag zum Außengrenzschutz zu präsentieren. Er will die Grenz- und Küstenschutzbehörde Frontex schneller als geplant auf 10 000 Mitarbeiter aufstocken. Dieses ursprünglich für das Jahr 2027 geplante Ziel werde nun auf 2020 vorgezogen, sagte Juncker. Und stellte fest, dass er ohnehin "niemanden" kenne, der gegen den Schutz der EU-Außengrenzen sei. Kurz bedankte sich seinerseits für diesen "realistischen Blick".

Es ist erstaunlich, mit welcher Hartnäckigkeit es Kurz gelungen ist, den Kommissionspräsidenten in dieser Frage auf Wiener Linie zu bringen. In Brüssel ist nun von einer EU-Grenzschutz-Polizei die Rede, die sogenannte Wirtschaftsmigranten davon abhalten soll, sich nach Europa aufzumachen.

Das ist ganz im Sinne von Kurz, der sich vor einem Monat noch sehr viel stärkere Widerworte von Juncker anhören musste. Als der Österreicher Anfang Juni mit seinem Kabinett nach Brüssel zum Antrittsbesuch kam, ging es hoch her. Zwischen Juncker und Kurz sei es "überhaupt nicht gut gelaufen", sagt einer, der dabei war. Und das sei noch milde ausgedrückt.

Der EU-Kommissionspräsident sieht nicht nur Kurz' Koalitionspartner, die rechtspopulistische FPÖ, kritisch. Ihm geht es gegen den Strich, dass der Wiener Kanzler die hohen Bezüge der EU-Kommissionsbeamten zum Thema machen will. In Brüssel gibt es starke Zweifel, dass Österreich während des Ratsvorsitzes so agiert, wie es sich in der Öffentlichkeit präsentiert: als ehrlicher Makler, der Brücken bauen will. Dafür sei die Agenda zu sehr von der eigenen Position in der Migrationspolitik geprägt, heißt es in der Kommission. Auch wenn Kurz für sich beansprucht, kein Ein-Themen-Kanzler zu sein, ist es offensichtlich, was ihn antreibt.

Beim Brexit scheint es so etwas wie Einigkeit zu geben

In der kommenden Woche sollen die EU-Innenminister unter Vorsitz von FPÖ-Mann Herbert Kickl die Migrationsbeschlüsse des jüngsten EU-Gipfels vorantreiben. Im September steht dann der nächste Gipfel der Staats- und Regierungschefs mit dem Schwerpunkt Migration in Salzburg an. Bis dahin will auch Juncker mit seinen Vorschlägen zum Außengrenzschutz fertig sein. Österreichs Kanzler plant außerdem ein gemeinsames Gipfeltreffen mit afrikanischen Staaten.

Kurz ist entschlossen, vor den Europawahlen im Frühjahr 2019 ein klares Signal zu geben: Die EU tut alles dafür, um ihre Bürger zu schützen. "Ein Europa, das schützt", lautet das Motto seiner Ratspräsidentschaft. Es ist ein Slogan, gegen den niemand etwas haben kann. Die Frage ist nur, was man unter Schutz versteht. Oder vor wem oder was dieses Europa seine Bürger schützen soll. Kurz hat das längst für sich beantwortet: vor Flüchtlingen.

Streit dürfte allerdings die Frage auslösen, woher das Geld für all die Abschottungspläne kommen soll. Kurz hat schon klargemacht, dass er mit dem Kommissionsvorschlag zum nächsten EU-Finanzrahmen nicht einverstanden ist. Österreich ist nicht bereit, mehr Geld in die gemeinsame Kasse zu überweisen. Diese Haltung stört die Kommissionsspitze. Denn wie sollen die Haushaltsverhandlungen vorangetrieben werden, wenn die amtierende Ratspräsidentschaft ihre roten Linien schon jetzt gezogen hat?

Beim Thema Brexit scheint es hingegen so etwas wie Einigkeit zwischen Brüssel und Wien zu geben. Kurz will einen harten Brexit vermeiden. Sollte es nicht klappen, beim EU-Gipfel im Oktober eine Vereinbarung zu finden, könne man noch weiterverhandeln. In Brüssel ist man fast schon erleichtert: Immerhin diese Tür lässt Kurz noch offen.

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