Österreich:Vorwärts ins Ungewisse

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Ziel: Weniger Flüchtlinge im Land - Wiens vages Konzept.

Von Cathrin Kahlweit

"Richtwert" sagte der Kanzler, "Obergrenze" sagte der Vizekanzler, aber das seien "semantische Spielereien". Letztlich meinen beide dasselbe: Die SPÖ unter Werner Faymann und die ÖVP unter Reinhold Mitterlehner haben sich auf ein Limit für die Zahl der Flüchtlinge geeinigt, die ins Land gelassen werden sollen. Maximal 127 500 sollen es bis 2019 sein, allerdings fangen hier die Unklarheiten schon an, von denen es im Beschlusspapier und in der Pressekonferenz am Mittwoch viele gab. Der Familiennachzug etwa ist in diesen Zahlen bereits eingerechnet. De facto also wird die Obergrenze für Flüchtlinge, die in den kommenden vier Jahren in Österreich bleiben dürfen, anfangs sogar weit niedriger liegen als 37 500 im Jahr 2016, 35 000 in 2017, 30 000 in 2018 und 25 000 in 2019. Wie aber der Familiennachzug geschätzt - und wie entsprechend die Erstankömmlinge gezählt werden sollen, damit die Gesamtzahl die avisierten 127 500 nicht überschreitet - das blieb offen.

Ohnehin beriefen sich die Regierungspartner, die in Wien einen Asylgipfel mit den Landeshauptleuten und Vertretern der Gemeinden abgehalten hatten, immer wieder darauf, dass sie erst einmal nur eine "strategische Richtung", eine politische Lösung gesucht und gefunden hätten. Diese enthalte zwar auch Überlegungen, die Mindestsicherung (Sozialhilfe) für Asylbewerber zu verringern sowie zum Asyl auf Zeit, außerdem Integrationsmaßnahmen und Werteschulungen. Die konkrete Umsetzung aber und Details zu den geplanten Einreisebegrenzungen und den erweiterten Grenzkontrollen, zur Rechtmäßigkeit des Vorhabens wie auch zu Absprachen mit Deutschland und Slowenien - die müssten erst noch ausgearbeitet werden.

Und so war es einigermaßen erstaunlich, mit welcher Chuzpe mehrere Politiker gegen Mittag im Kanzleramt eine Kehrtwende in der Flüchtlingspolitik verkündeten, die erst in der Zukunft durch Gutachten und weitere Erkundungen überhaupt konkretisiert und abgesichert werden soll. Ob denn die Sache mit Deutschland abgesprochen sei, wollte ein Journalist wissen. Nun ja, sagte der Kanzler, 2015 seien bekanntlich 95 Prozent der Flüchtlinge nach Deutschland weitergereist. Da es aber auch in Berlin und München eine ähnliche Debatte gebe wie in Österreich, man also auch dort über Obergrenzen nachdenke, wisse man nicht, wie sich die Sache entwickele. Die Absprache sei also ohnehin keine "einmalige Aufgabe". Und der Salzburger Landeshauptmann Wilfried Haslauer malte gleich mal ein "Schreckensszenario" an die Wand, das mit einer Aufforderung gepaart war. Was denn wohl passiere, wenn Deutschland beschließe, die Zahl der Flüchtlinge seinerseits zu begrenzen, Österreich aber weiter einen "hohen Zuzug" habe? Oder wenn in Zukunft die "Ströme über den Brenner" kämen? Nein, anstatt den "fünffachen Aufwand" an Kontrollen zu betreiben in Deutschland, Österreich und am Westbalkan, an dessen Ende im schlimmsten Fall ein Zaun zwischen Bayern und Oberösterreich stehe, müsse man irgendwann eindeutig die "Kräfte bündeln". Die Botschaft, die sich da versteckte, lautete: Macht es so wie wir.

Offenbar hatten sich vor dem Asylgipfel weniger die Hauptstädte als vielmehr die Parteien abgesprochen - also ÖVP mit CSU, SPÖ mit SPD. Zudem soll Innenministerin Johanna Mikl-Leitner die slowenische Regierung "vorgewarnt" haben, die ja im Zweifel die abgewiesenen Flüchtlinge selbst beherbergen oder aber vergleichbare Schritte wie Wien unternehmen müsste. Sollten sich die Flüchtlingsströme nicht reduzieren, sondern verlagern, werde man nicht nur an der slowenisch-österreichischen Grenze, sondern auch am Brenner Grenzanlagen installieren, sagte Faymann. Und zur Gretchenfrage, wie der Zuzug gestoppt werde, wenn die Obergrenze erreicht sei, erläuterte die Innenministerin wenig hilfreich, bei 37 500 werde eben - "gestoppt".

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