Wahl:Van der Bellen wird Präsident Österreichs

Mit nur 31 000 Stimmen Vorsprung siegt der Grüne vor dem Rechtspopulisten Norbert Hofer.

Von Sebastian Schöpp, Wien

Alexander Van der Bellen hat mit äußerst knappem Vorsprung die Wahl zum österreichischen Bundespräsidenten gewonnen. Auf den früheren Vorsitzenden der Grünen entfielen nach Auszählung am Montag 50,34 Prozent, auf seinen rechtspopulistischen Gegner Norbert Hofer (FPÖ) 49,66 Prozent. Hofer gestand seine Niederlage auf Facebook ein: "Natürlich bin ich heute traurig. Ich hätte gerne für Euch als Bundespräsident auf unser wunderbares Land aufgepasst."

Van der Bellen gab sich am Montagabend in einer ersten Erklärung versöhnlich. Er wolle für eine neue Gesprächskultur in der Politik werben, jetzt fühlten sich offenbar viele Menschen "nicht ausreichend gesehen oder gehört oder beides". Van der Bellen sagte: "Wir werden eine andere Kultur brauchen." Die Politik dürfe sich nicht mehr so sehr mit sich oder den Medien beschäftigen, sie müsse sich den realen Sorgen und Nöten der Menschen zuwenden. Der knappe Wahlausgang sei ein Zeichen für die gespaltene Gesellschaft in Österreich. "Gemeinsam ergeben wir dieses schöne Österreich", sagte der 72-Jährige. Statt von einem Graben, der Österreich trenne, spreche er lieber von zwei Hälften, die beide zu Österreich gehörten. "Die eine Hälfte ist so wichtig wie die andere."

Erstmals seit Kriegsende stellt nun keine der beiden Großparteien, die die Regierung bilden, das Staatsoberhaupt. Die Bewerber von SPÖ und ÖVP schieden in der ersten Wahlrunde vor vier Wochen aus. Die Stichwahl wurde auch außerhalb Österreichs mit Spannung verfolgt. In Istanbul sagte Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier zu Van der Bellens Wahl: "Ganz Europa fällt ein Stein vom Herzen." In Brüssel hatten sich zuvor am Montag mehrere EU-Außenminister kritisch zum Erstarken der Rechtspopulisten geäußert.

Bundespräsident Joachim Gauck gratulierte Van der Bellen zur Wahl. "Ich freue mich, dass Sie sich als überzeugter Europäer auch im Rahmen Ihrer neuen Aufgabe für eine starke, verlässliche und langfristig auch vertiefte Europäische Union einsetzen wollen", schieb er. Auch Grünen-Chef Cem Özdemir gratulierte: "Wir freuen uns, dass unser Nachbarland mit ihm ein Staatsoberhaupt bekommt, das für ein offenes und pro-europäisches Österreich steht." SPD-Generalsekretärin Katarina Barley sagte: "Es ist ein guter Tag für Österreich und ein guter Tag für Europa."

Bei der Urnenwahl am Sonntag lag noch der FPÖ-Mann in Führung. Das vorläufige Ergebnis lautete: 51,9 Prozent für Hofer, 48,1 Prozent für Van der Bellen. Darin waren die 14 Prozent Briefwahlstimmen nicht enthalten. Deren Auszählung dauerte bis Montagnachmittag, weil einige Gemeinden so klein sind, dass die Stimme bei Auszählung nicht mehr anonym wäre. Die Wahlkarten wurden deshalb in größere Bezirke gebracht. Das Endergebnis fiel denkbar knapp aus: Van der Bellen erhielt 2 254 484 Stimmen, Hofer 2 223 458, rund 31 000 Stimmen Differenz.

Die Wahl hat Österreich stark polarisiert, aber auch politisiert. "Österreich politisch zerrissen", titelte am Montag das Boulevardblatt Kronen Zeitung. Beide Kandidaten konnten ihre Stammklientel mobilisieren. Erste Analysen ergaben, dass Hofer bei männlichen Wählern (54 Prozent) und auf dem Land sowie bei Arbeitern (71 Prozent) gut abschnitt. Van der Bellen lag bei jungen Wählern (56 Prozent) und bei über 50-Jährigen vorne. Die Wahl brachte eine Kluft zwischen Stadt und Land zum Vorschein. Van der Bellen gewann in allen Landeshauptstädten, sonst hätte er die Aufholjagd nicht geschafft. Im ersten Durchgang holte der Grüne nur 21,3 Prozent Stimmen, Hofer 35 Prozent. Nach Analysen des Politikforschungsinstituts Sora gelang es Van der Bellen zudem, 208 000 einstige Nichtwähler zu gewinnen. FPÖ-Mann Hofer unterstützten 129 000 Wähler dieser Gruppe.

Aktuelles Lexikon: Briefwahl

Noch nie haben in Österreich so viele Menschen per Brief abgestimmt: Bei der zweiten Runde der Präsidentenwahl beantragten 885 437 Wahlberechtigte, ihre Stimmen nicht an der Urne, sondern per "Wahlkarte" abzugeben, wie in Österreich die Briefwahl heißt. Doch nicht diese schiere Masse ist dafür verantwortlich, dass die Stimmauszählung bis zum Montagabend dauerte. Grund ist das Wahlgesetz im Nachbarland. Es sieht bereits seit den Fünfzigerjahren vor, dass die Wahlkarten verzögert ausgezählt werden. "Am Tag nach der Wahl, 9.00 Uhr, prüft der Bezirkswahlleiter die im Weg der Briefwahl bis zum Wahltag, 17.00 Uhr, eingelangten Wahlkarten", heißt es in § 14a. des Bundespräsidentenwahlgesetzes. Warum diese Verzögerung? Im Unterschied zu Deutschland wird in Österreich die Briefwahl dezentral ausgezählt. Die Wahlkarten aus den 2100 Gemeinden werden in 117 Bezirkswahlämtern aggregiert, das heißt angehäuft. Dies geschieht aus Rücksicht auf das Briefwahlgeheimnis, denn im Nachbarland sind viele Gemeinden so klein, dass bei einer dezentralen Auszählung der Wahlkarten die Anonymität des Wählers nicht mehr gewährleistet ist. "Sodann hat die Bezirkswahlbehörde die Wahlergebnisse zusammenzurechnen (und) unverzüglich der Landeswahlbehörde bekannt zu geben", heißt es im Gesetz weiter. Bei 740 000 Briefwahl-Stimmen, die dann tatsächlich abgegeben wurden, dauert das natürlich.

Marc Hoch

Van der Bellen sagte, er wolle in seiner Amtszeit auch die Wähler seines Kontrahenten gewinnen. Als Zeichen der Überparteilichkeit lasse er sofort seine Grünen-Mitgliedschaft ruhen. Van der Bellen hatte betont, ihm liege das Bekenntnis zu Europa am Herzen. Er werde sich im Ausland dafür einsetzen, dass Österreich trotz des starken Abschneidens seines rechtspopulistischen Gegners differenziert wahrgenommen werde, sagte er im ORF. Nicht alle FPÖ-Wähler seien rechts. "Das ist nur ein Teil, vielleicht ein kleiner Teil. Der andere Teil der Wähler ist zornig, wütend über die Vergangenheit des Stillstands."

Hofers Wahlkampf stand im starken Kontrast. Er punktete mit seinem Anti-EU-Kurs und der Forderung nach strenger Asylpolitik. FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache wertete Hofers Abschneiden vor Bekanntgabe des Ergebnisses als "historisch". "Wir sind die Mitte der Gesellschaft", sagte er.

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