Österreich:Spalter als Brückenbauer

Gipfel der EU-Staats- und Regierungschefs

Wie weit rechts steht er? Sebastian Kurz bei dem Treffen mit EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker (rechts) am Rande des Gipfels.

(Foto: Wiktor Dabkowski/dpa)

Wahlsieger Sebastian Kurz ist noch gar nicht im Amt - da reist er schon zu einer Art Antrittsbesuch nach Brüssel. Einen Beitritt zur EU-kritischen Visegrad-Gruppe schloss er aus.

Von Daniel Brössler und Peter Münch, Brüssel/Wien

Die Küsschen müssen sein. Das weiß jeder, der Jean-Claude Juncker besucht. Sebastian Kurz, der österreichische Wahlsieger, ziert sich ein wenig, dann weist ihm der Präsident der EU-Kommission umso entschlossner den Platz. "Rechts musst du stehen", sagt Juncker. "Du steht ja rechts auf beiden Füßen." Die Fotografen machen Bilder. Danach kann es hinter der verschlossenen Bürotür darum gehen, wie weit rechts Kurz steht.

Noch ist der Österreicher nicht Bundeskanzler, aber das Interesse an ihm ist in Brüssel so groß als wäre er es schon. Sebastian Kurz ist Teilnehmer beim Treffen der Konservativen und Christdemokraten, das stets den EU-Gipfeln vorgeschaltet ist, doch er nutzt die Dienstreise zu einer Art vorgezogenem Antrittsbesuch. Außer von Juncker wird er noch von EU-Ratspräsident Donald Tusk empfangen. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel trifft sich mit ihm zum Gespräch. Alle gehören sie wie Kurz der Europäischen Volkspartei (EVP) an, freuen sich über dessen Wahlsieg, wüssten aber gerne, was sie nun erwartet: eine Koalition mit den Rechtspopulisten von der FPÖ?

Kurz, der sich einen "Pro-Europäer" nennt, hält sich bedeckt. "Jede Regierung, die ich bilde, wird eine pro-europäische sein, die Europa aktiv mitgestalten möchte, die Europa zum Positiven verändern möchte", sagt er. Erhalte er den Auftrag zur Regierungsbildung - was nach der für Donnerstagabend geplanten Verkündung des amtlichen Endergebnisses nun umgehend zu erwarten ist - werde er mit allen Parlamentsparteien reden. Seinen Gesprächspartnern macht er klar, dass in Österreich noch nichts entschieden und auch ein Regierungsbündnis der zweitplatzierten Sozialdemokraten mit der FPÖ oder seiner ÖVP mit der SPÖ denkbar ist.

Kurz versucht auch Sorgen auszuräumen, dass Österreich künftig die migrationsfeindliche Visegrad-Gruppe aus Polen, Tschechien, Ungarn und der Slowakei verstärken könnte. Entsprechende Vermutungen seien die "Unwahrheit". Darauf setzt man bis auf Weiteres auch in der EVP. "Ich kann mir gut vorstellen, dass Sebastian Kurz eine Brückenbauerfunktion zwischen Ost und West in Europa einnehmen kann, wenn Österreich im kommenden Jahr die Ratspräsidentschaft innehat", meint der Chef der EVP-Fraktion im EU-Parlament, Manfred Weber (CSU).

Als "Brückenbauer" in einem auseinanderdriftenden Europa hat Kurz sich selbst auch schon angedient. Ansonsten aber ist er - wie in allem anderen auch - bislang sehr vage geblieben, was seine europapolitschen Vorstellungen angeht. Im Wahlkampf war Europa nur ein Thema, wenn es um vermeintliches Versagen ging - bei der Grenzsicherung und der Abwehr von Migranten. "Wir brauchen keine Union, die detailliert regelt, welche Farbe Pommes frites haben sollen", heißt es bei Kurz, "sondern eine Union, die in der Lage ist, Sicherheit für ihre Bürgerinnen und Bürger zu gewährleisten."

In den österreichischen Koalitionsverhandlungen dürfte Europa nun jedoch eine durchaus bedeutsame Rolle spielen. Schließlich hat Bundespräsident Alexander Van der Bellen, der der Regierung am Ende zustimmen muss, den Verhandlern mit auf den Weg gegeben, dass "die europäischen Grundwerte der Kompass für die Zukunft Österreichs bleiben müssen". Das darf als Warnung vor einer Regierungsbeteiligung der FPÖ verstanden werden.

Im Jahr 2000 wurde die Bildung einer Regierung aus ÖVP und FPÖ mit EU-Sanktionen beantwortet

Im Europäischen Parlament sitzen die Abgeordneten der Freiheitlich zusammen in einer Fraktion mit den erklärten Europa-Feinden um den Front National von Marine Le Pen. Noch im vorigen Jahr hatte die FPÖ selbst noch einen Öxit, also einen Austritt Österreichs aus der EU nach dem Vorbild des britischen Brexit, ins Spiel gebracht. Weil sich das jedoch beim Wahlvolk als unpopulär erwies, korrigierte Parteichef Heinz-Christian Strache diesen Kurs und stellte klar, man wolle "nicht austreten, sondern das Europaprojekt in eine richtige Richtung bringen". Im Klartext bedeutet das bei ihm weniger Zentralisierung und mehr Renationalisierung, weniger Merkel also und mehr Viktor Orbán. Den ungarischen Premierminister lobt Strache schon lange als "den einzigen Regierungschef, der den Verstand noch nicht verloren hat". Anders als Kurz plädiert er nicht für eine Brückenfunktion, sondern für eine Mitgliedschaft Österreichs in der Visegrad-Gruppe.

All dies wird Kurz zu bedenken haben, wenn er in die Koalitionsverhandlungen eintritt. EU-Sanktionen, mit denen im Jahr 2000 noch die Bildung einer Regierung aus ÖVP und FPÖ beantwortet wurden, wird er nun nicht mehr befürchten müssen. Aber es dürfte ihm an möglichst breiter Anerkennung gelegen sein, wenn Österreich in der zweiten Jahreshälfte 2018 die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt.

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